Abenteuerlustiger Film „Trenque Lauquen“: Das Geheimnis im Wirklichen
Die argentinische Regisseurin Laura Citarella hat mit wenig Geld viel Raum für Fantasie geschaffen. „Trenque Lauquen“ ist ein rätselhaftes Filmobjekt.
Der Film „Trenque Lauquen“ ist Kino als ausgesprochen eigenwilliges Objekt: Er besteht aus zwei Teilen, zusammen mehr als vier Stunden, 12 Kapitel, einer überschaubaren Anzahl Figuren, deren Zusammenhang sich nach und nach erst ergibt, und alles dreht sich, oder bewegt sich um einen Angelpunkt, den man buchstäblich aus einem See gefischt hat: ein Wesen, das Mensch ist oder Tier, das vielleicht auch seine Gestalt und Art wandelt, das sich von einer bestimmten gelben Blume ernährt und das man nie zu sehen bekommt.
Auf diesen, ihren Angelpunkt, stößt die Erzählung allerdings erst im Verlauf. Es beginnt nämlich eher wie ein Bibliothekskrimi aus dem 19. Jahrhundert. Eine Frau, Laura (Laura Paredes), ist im titelgebenden argentinischen Städtchen, in dem sie nur zu Gast ist, auf der Suche nach berühmten oder bedeutenden Frauenfiguren, die sie in einer Radiosendung präsentieren kann, wie zum Beispiel: Lady Godiva, die einst nackt auf dem Pferd durch Coventry ritt.
Und sie stößt bei der Suche auf die russische Revolutionärin Alexandra Kollontai beziehungsweise deren „Autobiografie einer sexuell emanzipierten Kommunistin“ beziehungsweise zwischen zusammengeklebten Seiten dieses Bandes auf einen vergilbten Brief, der seinerseits auf weitere Briefe in anderen Büchern verweist.
Carmen Zuna ist der Name der Autorin der Briefe, sie war, wie sich nach einiger Detektivarbeit ergibt, in Trenque Lauquen vor Jahrzehnten als Lehrerin tätig. Sie wechselte Briefe mit ihrem Geliebten, dessen Spur sich in Italien verliert. Die Briefe sind teils sehr heftig erotisch, worüber sich auch das Verhältnis Lauras zu Ezequiel (Ezequiel Perri) entflammt.
„Trenque Lauquen“. Regie: Laura Citarella. Mit Laura Paredes, Ezequiel Pierri u. a. Argentinien/Deutschland 2022, Teil 1: 128 Min./Teil 2: 132 Min.
Wesen aus dem See
Von dem war noch gar nicht die Rede, dabei beginnt das Ganze mit ihm. Und mit Rafa (Rafael Spregelburd), Lauras Freund, in dessen Haus sie ziehen wollte. Nun aber ist sie verschwunden, Rafa und Ezequiel suchen nach ihr.
In Rückblenden puzzelt sich die Vorgeschichte zusammen, nach und nach, mit Ruhe und mit Geduld präsentiert der Film, der die Erzähler*innenpositionen und Perspektiven geschickt auf die einzelnen Kapitel verteilt, was geschehen ist, die Liebesbriefe-in-Büchern-Geschichte, die Wesen-aus-dem-See-Geschichte, das alles mit sich langsam entfaltenden und verschiebenden Entwicklungen in der Erzählgegenwart verschlungen, mit dem Radio als Medium der Sprache und Töne verbunden, und mit dem Herumfahren im Auto als Medium der Bewegung.
Klar ist, dass sich der Film als Erzählung, die Sprünge macht und Sprünge hat, an Rätseln und Geheimnissen entlang organisiert. Es ist aber die Wirklichkeit selbst, die dabei durchquert oder durchstreift wird: Blicke immer wieder auf den Ort Trenque Lauquen, Landschaften, Häuser, die Straßen. Kein Zufall, dass die Figuren die Namen der Darsteller*innen tragen. Am ehesten ist es die Musik von Gabriel Chwojnik, die die Slow-Cinema-Bilder und Atmosphären von Zeit zu Zeit in andere Gegenden schubst, mal Richtung Spannung, mal Richtung Horror, mal sehr schwer definierbar.
Was man nicht loswird, und auch nicht loswerden soll, ist das Gefühl, dass es von Anfang an nicht um die Lösung der Rätsel und die Auflösung der Geheimnisse geht, sondern um das Geheimnishafte mitten im Realen als solches. Und um das Erzählen selbst, dessen Fortgang die Rätsel zwar organisieren, aber so, dass sich das Wesen der Geschichte so sehr der eindeutigen Bestimmung entzieht wie das unsichtbar bleibende Gestaltwandelwesen aus dem See.
Zwar öffnet sich am Ende eine Tür und man gelangt in einen Raum irgendwo zwischen Treibhaus, Science-Fiction-Kulisse und Kunstinstallation, aber hier schließt sich nichts, eher öffnet sich was, ein verlassener Raum, den die Protagonistin bestaunt und wieder verlässt. Das Ende selbst bewegt sich hinaus in die Natur, klärt nichts, Laura Citarella lässt nur, wie eine Zauberin, die keine Tricks nötig hat, die Figur in der Landschaft verschwinden.
Die Freiheit, alles so zu tun, wie es richtig erscheint
Vom Himmel gefallen ist dieses eigenwillige Filmobjekt nicht. Der Zusammenhang seiner Entstehung ist ganz im Gegenteil klar: Er trägt den Namen El Pampero Cine, existiert seit rund zwanzig Jahren in Buenos Aires und um Buenos Aires herum, produziert Filme, aber ist keine Firma, sondern eine Clique, ein Kollektiv von Filmemacher*innen, in dem alle mal diese, mal jene Funktion übernehmen.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „Trenque Lauquen“
Den auch schon viel bewunderten, noch verspielteren Zwölfstünder „La Flor“ von 2018, bei dem Mariano Llinás Regie geführt hat, hat Laura Citarella produziert; Alejo Moguillansky, selbst Regisseur einiger Filme, hat den Schnitt bei „La Flor“ wie bei „Trenque Lauquen“ gemacht. Dessen Hauptdarstellerin Laura Paredes hat auch schon in „La Flor“ mitgespielt und nun das Drehbuch zu „Trenque Lauquen“ gemeinsam mit Citarella geschrieben.
Fantasie hat die Gruppe, großen Erfolg auf Festivals inzwischen auch, Geld im engeren Sinn hat sie für ihre Projekte meist nicht und will sie auch nicht, sofern es die Freiheit, alles so zu tun, wie es richtig erscheint, einschränken würde. Man arbeitet lieber nach Art der Termiten und errichtet mit sich geduldig voran arbeitender Erfindungskraft auf leise Art spektakuläre Bauten unter und über der Erde.
Die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit ist dabei so durchlässig wie die zwischen Filmarbeit und dem Leben daneben. Was dabei entsteht, ist eine arme Kunst, die ihren Reichtum daraus bezieht, dass Mangel an Geld in vieler Hinsicht misslich sein mag, eines aber nicht durchkreuzt und begrenzt: den Möglichkeitsraum, den eine wild wuchernde Fantasie des Erzählens bespielt.
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