Polizeigewalt in Deutschland: Das Dunkelfeld aufhellen

Eine unabhängige Studie zeigt: Die wenigsten von Gewalt Betroffenen stellen eine Anzeige. Zurück bleiben resignierte Opfer.

Polizisten entfernen ein Banner von einem Gebäude, auf dem Banner steht "110 tötet"

Kann man so nicht stehen lassen: Protest in Berlin in Solidarität mit den Opfern von Polizeigewalt Foto: Christian Mang

Es ist eine Diskussion in der Dauerschleife. Immer wenn die Polizei wieder Schmerzgriffe gegen die Letzte Generation verübt, wenn sie Demonstrierende rabiat verhaftet oder Menschen bei Einsätzen gar zu Tode kommen – dann wird wieder hitzig über Polizeigewalt diskutiert. Zu Recht. Nur haben sich in dieser Diskussion längst alle Seiten eingemauert: Für die einen sind all das Einzelfälle, für die anderen zeigen sie ein strukturelles Problem. Was stimmt, weiß man nur leider nicht, denn lange Zeit fehlte dazu jegliche Empirie – auch weil dies Polizei und konservative Politik lange verweigerten.

Erinnert sei, wie vehement sich der frühere Innenminister Seehofer und die SPD vor drei Jahren über eine Polizeistudie stritten. Dabei ist klar: Natürlich braucht es eine solche, um endlich Klarheit zu bekommen. Umso verdienstvoller ist es, dass ein Team um den Kriminologen Tobias Singelnstein nun eine unabhängige Studie vorlegt.

Der bedenkliche Befund: Das Dunkelfeld der Polizeigewalt bleibt hoch, und Betroffene haben kaum Chancen, gegen Übergriffe anzukommen. Klar ist: Die Polizei ist befugt, in bestimmten Situationen Gewalt anzuwenden. Aber dass etwas im Argen liegt, lässt sich schon an den wenigen Zahlen ablesen, die nun vorliegen. Da wäre etwa der jüngste Zwischenbericht der Polizeistudie, die Seehofer doch noch in Auftrag gab und wo selbst dort von „mehr als nur Einzelfälle(n)“ die Rede ist, in denen Po­li­zis­t:in­nen problematische Einstellungen aufzeigten.

Oder da sind die 2.790 Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzungen im Amt aus dem Jahr 2021. Zu Anklagen kam es fast nie, am Ende gab es gerade mal 27 Verurteilungen – ein Prozent der Fälle. Und: Laut der Singelnstein-Studie stellten überhaupt nur 9 Prozent der von Gewalt Betroffenen eine Anzeige. Die allermeisten Fälle von Polizeigewalt bleiben damit unsichtbar.

Die Gründe liegen auf der Hand. Po­li­zis­t:in­nen sind nach Gewaltfällen oft nicht identifizierbar, Kollegen sagen nicht gegeneinander aus, und vor Gericht wird den Beamten eher geglaubt. Betroffene resignieren da schon von vornherein und verzichten auf Anzeigen – auch, um nicht Gegenanzeigen zu kassieren. Eine fatale Spirale: Denn zurück bleiben Gewaltopfer, die oftmals lange Zeit an den Folgen leiden. Und denen am Ende nur Ohnmacht bleibt.

Polizeibeauftragte können helfen

Das Dunkelfeld der Polizeigewalt aufzuhellen, kann daher nur ein Anfang sein. Gut ist, dass die meisten Länder inzwischen eine Kennzeichnungspflicht haben; auch die Bundespolizei soll folgen. Auch Polizeibeauftragte könnten helfen – als Anlaufstelle für von Gewalt Betroffene und Intervenierende bei strukturellen Problemen in der Behörde. Zudem muss gesichert sein, dass bei Vorwürfen Kollegen nicht gegen direkte Kollegen ermitteln dürfen.

Vor allem aber muss der Wandel von innen kommen – und hier hilft sogar die Dauerschleifendebatte. Denn sie mahnt die Polizei, sich immer wieder zu erinnern, dass ihre Gewalt angemessen und die Ausnahme bleiben muss. Dass Deeskalation und Kommunikation, wo immer möglich, das oberste Gebot sein sollten. Und dass Gewaltausbrüche und Fehler intern offen thematisiert werden müssen. Das sollten für eine moderne, demokratische Polizei Selbstverständlichkeiten sein.

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Seit 2010 bei der taz, erst im Berlin Ressort, ab 2014 Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Studium der Publizistik und Soziologie. Mitautor der Bücher "Staatsgewalt" (2023), "Fehlender Mindestabstand" (2021), "Extreme Sicherheit" (2019) und „Bürgerland Brandenburg" (2009).

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