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Gentrifizierung in BerlinUnten angekommen in der Elendsspirale

Angesichts des Ergebnisses der Sanierung des ehemaligen Kunsthauses "Tacheles" in Mitte, fürchtet unser Kolumnist Schlimmes für das Quartier.

„Behutsam“ sollte das ehemalige Kulturzentrum Tacheles saniert werden. Mit fürchterlichem Ergebnis Foto: Paul Zinken/dpa

E s sieht fürchterlich aus nach der „behutsamen Sanierung“ des ehemaligen Kunsthauses an der Oranienburger Straße: Hundert Waben aus Beton und Glas. Auf ihrer Seite drohen die Bauherren noch „mehr Kultur“ an, „namensgebend“ für das gesamte Quartier: „Kultur wird ihre inspirierende Kraft entfalten“.

Wie ähnliche besetzte Großobjekte in Athen, Paris und Amsterdam verlief die Ruine in Mitte, die einst als Prachtpassage gebaut und gleich pleitegegangen war, in Richtung glänzenden Elendsspirale: Künstler- Journalisten-Touristen-Investoren-Tote Hose.

1989/90 sollte der Bau gesprengt werden. Das konnten ihre Besetzer mit Denkmalschützern, Bezirksamt und dem „Runden Tisch“ verhindern. Sie bekamen sogar 700.000 Euro jährlich für ihre „Kulturarbeit“. Das Tacheles konnte damit eine Artistenschule, eine Hunde-Schurschule und einen „Tresorraum“ erhalten.

Nur gut, dass gerade das Buch von Su Tiqqun, „bis 1997 Weichensteller der Karrieren der Anderen im Kunsthaus Tacheles“, erschienen ist: „Zeugin und Täter. Zur Geschichte des Kunsthauses Tacheles in Berlin“. Da kann man die Wandlungen der Immobilie verfolgen – vom Kaiserreich bis zum neuen Besitzer, dem schwerreichen Jülicher August Jagdfeld, dem man zuvor die Besetzer/Künstler aus seinem Investitionsweg geräumt hatte. Dazu vor allem Erzählungen über die Wandlungen der vielen Nutzer vom überkochenden Künstler zum koksenden Arschloch.

Kunsthaus mit bewegter Geschichte

Das ist die eigentliche Geschichte: Von 1990 bis 2012, die „Tacheles-Zeit“ voller „ungezügelter, kreativer Kraft“, die von der Autorin ebenso akribisch wie dramaturgisch aufgearbeitet wurde, wobei sie mit vielen Tachelern auch abrechnet. Auch implizit: Wenn sie den „Selbstmord“ einer Künstlerin, die ihre Amphetamine selbst herstellte, schildert, die tot auf dem Grundstück neben einem zur Kunst erklärten Krankenwagen lag, wo sie von Besuchern für Teil des Kunstwerks gehalten wurde – bis ein Kind die Wahrheit entdeckte.

Das Tacheles-Kollektiv selbst hatte 2009 ein „Schwarzbuch“ über den Investor August Jagdfeld und seine „Fundus-Gruppe“ veröffentlicht, Inhaberin der wertvollsten DDR-Objekte (u. a. Heiligendamm, die Halbinsel Wustrow, Hotel Adlon). 1999 erhielt Jagdfeld das Bundesverdienstkreuz. Aber dann ging es bergab mit seiner „Fundus-Gruppe“ – dem „größten Immobilienunternehmen in Deutschland“ laut Wikipedia. Immer mehr Ärger, Prozesse, Verkäufe, Namensänderung… Ein „Wieder-Klein-Werden schaffen“, wie einige Pariser Philosophen das genannt hätten. „Das ist der Preis für Größenwahn“, so das Manager-Magazin.

Das Tacheles, ein 25.000 Quadratmeter großes „Filetstück“, für rund 50 Millionen Euro von ihm gekauft, veräußerte er mit einem Gewinn von 150 Millionen an die New Yorker Vermögensverwalter Perella und Weinberg, die daraufhin verlauten ließen: „Man wolle einen Teil der Innenstadt aktiv mitgestalten“.

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Autor
geb. 1947, arbeitet für die taz seit 1980, Regionalrecherchen, ostdeutsche Wirtschaft, seit 1988 kulturkritischer Kolumnist auf den Berliner Lokalseiten, ab 2002 Naturkritik.
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2 Kommentare

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  • Man muss auch mal loslassen können.

    Eines der Grundprobleme Berlins ist, dass zu viele nicht akzeptieren können, dass die wilden Zeiten, als man in Mitte für 200 Euro in 120 Quadratmetern Altbau leben und mittwochs auf einen illegalen Rave in einer innerstädtischen Industrieruine gehen konnte, vorbei sind. Das war vor einem Vierteljahrhundert. Genausogut könnte man dem Kaiser nachtrauern und versuchen, krampfhaft die alten Zeiten beizubehalten.

  • Tacheles war Folklore und eher kunstfern, da überproportional mit sich selbst beschäftigt. Da ging es mindestens so sehr um das Bedienen des Marktes wie sonst im Art-Business. Nur mit deutlich weniger Erfolg mangels Potential.