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Robuster Stil in den FußballarenenViel Autsch und Aua

Der Spitzenfußball tritt wieder ein in eine Ära des superrobusten Duells. Die Barcelonisierung des Spiels ist von gestern, Treter sind Trendsetter.

Hart und kompromisslos: Daniel Carvajal (o., Real) bringt Jack Grealish (City) zu Boden Foto: Reuters

K önnte gut sein, dass die Zeit der Knochenbrecher im Fußball wieder angebrochen ist. Die Halbfinals in der Champions League ließen das erahnen. Der Ruf, den sich Andoni Goikoetxea, Roy ­Keane, Emilio Butragueño oder Vinnie Jones („Die Axt“) einst erworben haben, wird heute wieder gehört – und für gut befunden. Gut eineinhalb Jahrzehnte ging der kontinentale Fußball in eine etwas andere Richtung.

Fast schon körperloser One-Touch-Fußball, das berüchtigte Tikitaka des FC Barcelona, setzte sich durch, aber auch nur, weil die Erfolge der Stafettenpassler und Seidenfüßlein für sich sprachen. Das Muster wurde unzählige Male kopiert. Zwei Trainergenerationen waren fast nur damit beschäftigt, die Ballkontaktzeiten und die Länge des Ballbesitzes zu messen.

Die Kicker schienen in dieser Phase des Technikprimats auch immer schmaler und hagerer zu werden, der robuste Stoßstürmer drohte auszusterben, weil sich die flinken Kleinen bis vors Tor kombinierten und dann (kraft- und schonungslos) einschoben. Doch nun ist das alles mehr oder weniger obsolet: Der Paradigmenwechsel im Spitzenfußball hin zum Mix aus radikaler Robustheit und Zack-zack-Effektivität ist vollzogen. Interessanterweise ist gerade Real Madrid, dieses vermeintlich überalterte Team, zum Pionier des aktuellen Stils geworden, dem sich andere wie Manchester City anpassen.

Real Madrid hat aus nationaler Konkurrenz die Exzesse des FC Barcelona nie mitgemacht, umso besser passen sie jetzt in die fußballerische Zeit. Auf Ästhetik und Körperlosigkeit geschulte Zuschauer rümpfen ob der Gladiatorenkämpfe teilweise die Nase. Sie geißeln die strategische Treterei, fiese Fouls und absichtsvolles Abräumen.

Ringen und Wrestling

Und ja, es ist nicht schön anzuschauen, wenn zum Beispiel Real-Verteidiger Daniel Carvajal wie ein Wiedergänger von Uli Borowka auftritt, seinen Gegner Jack Grealish in die Werbebande knallt oder ihm die Schienbeine blau massiert – und dafür nicht einmal eine Gelbe Karte sieht. Ähnlich Antonio Rüdiger, der mit Erling Haaland wrestlete und dafür so überschwänglich gelobt wurde, als hätte er eine Lösung für den Weltfrieden gefunden.

Vor einiger Zeit noch wären die Königlichen von der Fachpresse gerügt worden, der Schiedsrichter hätte beherzt eingegriffen, aber den Fußballfans steht offensichtlich nach Jahren der Barcelonisierung des Fußballs der Sinn nach rauflustigen, kompromisslosen Profis, die vor einer physischen und verbalen Einschüchterung des Gegners nicht zurückschrecken. Und sie wollen Schiedsrichter, die auch mal ein Auge zudrücken oder zwei.

Vor etlichen Jahren galt es als unerhört, dass die mit wirklich allen Wassern gewaschenen Real-Profis wie Sergio Ramos den Gegner (siehe Mo Salah und Loris Karius) brutal angingen, jetzt scheint ein anderer Wind zu wehen. Der Referee bekam fast durchweg gute Noten, die Experten waren voll des Lobs ob des Laisser-faire. Und Real gilt als ausgebufft und schlitzohrig.

Darauf können sich Mannschaften mit dem alten Barça-Gen nur versuchen einzustellen. Und Manchester City hat das getan, nahezu eine 180-Grad-Wende hingelegt. Mit Haaland steht ein Wuchtbolzen vorn drin. Das Team ist, will es nicht schon wieder in der Champions League versagen, dazu verdammt, das physische, bisweilen unfaire Spiel anzunehmen.

Und hier liegt wohl auch die Ursache für die Renaissance des italienischen Fußballs. Da ist natürlich nicht nur Robustheit und der intrinsische Catenaccio-Moment, nein, die Serie-A-Teams um Inter Mailand oder AS Rom verkörpern die Moderne: eine Vielgestaltigkeit der Spielinterpretation, wie sie auch bei der WM in Katar vom marokkanischen Team so erfolgreich umgesetzt wurde. Derzeit ist also wieder viel Autsch und Aua für die Superverdiener angesagt. Unterhaltsam ist dieser Clash-Crash-Kick allemal.

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