Iranischer Musikunderground in Berlin: Mit Handballen für die Freiheit
Der Sampler „Tehran Contemporary Sounds“ versammelt iranische Underground-Musik. In Berlin stieg am Donnerstag die Release-Party.
Der Weg in den Teheraner Underground führt durch Niederschöneweide zu einer Industrieruine. Zwischen Schnellerstraße und Spreeufer träumen ein massives Backsteinschloss und seine ausgedehnte Anlage in der Berliner Nacht. Haus und Hof gehörten zur volkseigenen „Bärenquell“-Brauerei, die dort über das Ende der DDR hinaus bis in die 90er Jahre arbeitete.
Mittlerweile ist der Technoclub RSO eingezogen. Über seinen Tresen wandern kleine Biere aus der Dunckerstraße im Prenzlauer Berg und große aus München. In die von Stahlträgern und Säulen abgestützten Werkstatträume hatte am späten Donnerstagabend das Festival und Label Teheran Contemporary Sounds (TCS) eingeladen und dort bis in den Freitagmorgen eine breite Palette elektronischer Musik aus dem Iran aufgefahren.
Der Grund des eingeschworenen Stelldicheins war die Veröffentlichung des zweiten TCS-Samplers. Dass der anders als sein Vorgänger diesmal auf Tape und Download erscheint, gibt ebenso Anlass, über die ökonomische Lage experimenteller Musik nachzudenken, wie die Wahl des Ortes nahe der südöstlichen Peripherie der deutschen Hauptstadt.
Psychedelische Momente
Die Musik des Abends konnte und sollte wohl auch ungemütlich geraten, dabei hatte sie ihre flächigen und psychedelischen Momente: Die Pianistin und Bassistin Ava Rasti nahm ihre fünfminütige Ambient-Komposition auf dem Sampler zur Startrampe eines ausgedehnten Sets, in dem perkussive Basssplitter in die ruhigen Computersounds fuhren.
Various Artists: „Tehran Contemporary Sounds“ (TCS)
tcsberlin.bandcamp.com/album/tcs-various-artists-2
Eine vulkanrote Bühnenprojektion hinter Rasti atmete Unruhe und Unbehagen. Es dauerte, bis die amorphen Formen ein einsames Auto in der Wüste zeigten oder aber Menschen beim Versuch, einen Häuserbrand zu löschen. Rasti musizierte an einem Metalltisch, der sicherlich neueren Herstellungsdatums war, sich aber gut in das Industrieambiente einfügte.
Ihr folgte der Musiker Cinna Peyghamy nach. Peighamy hatte seine Bühne mit einem ornamentalen Teppich abgedeckt, auf dem er im Schneidersitz Platz nahm. Peyghamy ist Trommler und Elektroniker und konnte schon auf der dritten Ausgabe des TCS-Festivals vom Herbst 2022 im Kunstquartier Bethanien aufhorchen lassen. Sein Auftritt am Donnerstag wurde fulminant.
Faszinierend anzusehen
Peyghamy spielt Tombak, eine in der traditionellen Folmusik und in der klassischen persischen Musik prominent verwendete Bechertrommel, und webt ihre Sounds und Rhythmen in elektronische Musik. Das klingt nicht nur gut, es ist auch faszinierend anzusehen.
Peyghamy hat bei seinen Auftritten die Trommel im Schoß und vor sich eine elektronische Apparatur, aus der ein blaues, rotes, grünes und gelbes Kabelwirrwarr schaut und aus dem die Kontrolllämpchen blitzen. Im spärlich beleuchteten RSO hatte das noch einmal eine besondere Wirkung.
Peyghamy eröffnet den zweiten TCS-Sampler mit einer atmosphärischen Komposition. Seinen längeren Liveauftritt begann er mit einigen kurzen Klopfzeichen, um dann schnell in ein Duett zwischen traditioneller Trommel und moderner Elektronik einzusteigen. Die Tombak wird per Hand gespielt, Peyghamy nahm Fingerkuppen, Handballen und Handrücken, spielte auf der Fellmitte wie am Rand; er schlug, kratzte und streichelte.
Zum Ende hin rief er ein Oud-Sample ab, aus dem Trommel-Elektro-Duett war eine imaginäre Band geworden, die brüchigen Folk spielte. Aus der Band sollte ein Chor werden. Es war der der Straße: Cinna Peyghamy beschloss sein Set, das mit Sounds der Einkehr begonnen hatte, mit solchen des Aufruhrs, mit Samples der iranischen Protestdemonstrationen: „Jin, Jiyan, Azadi“ (Frau, Leben, Freiheit).
Der Slogan aus der Arbeiterpartei Kurdistans, der Eingang in ein Lied des iranischen Musikers Shervin Hajipour fand, gehörte zur Abendgarderobe.
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