„Heroines of Sound“-Festival in Berlin: Musik hat Macht

Wie klingen VHS-Bänder? Wie werden E-Gitarren zur Klangskulptur? Antworten gab es bei der 10. Ausgabe des feministischen Festivals „Heroines of Sound“.

Eine Frau steht an einem selbstgebauten Instrument

Marina Khorkova an ihrem selbstgebauten Tast-, Schlag- und Saiteninstrument Foto: Udo Siegfriedt

Neulich an der Obi-Kasse: „Moment, zu den Bolzen und Dübeln nehme ich noch einen Schwung Nieten für mein Klavier“. So oder ähnlich könnte es gewesen sein, als die Komponistin Marina Khorkova sich für ihren Auftritt auf der diesjährigen Ausgabe des „Heroines of Sound“-Festivals eindeckte, die von Donnerstag bis Sonntag in den Berliner Stadtbezirken Friedrichshain und Mitte über die Bühne ging. Es war das zehnte Jubiläum eines Festivals, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, „weibliche Akteure in der Musik (wieder) zu entdecken und die öffentliche Präsenz ihrer Musik zu steigern“, wie es programmatisch in einer Selbstbeschreibung heißt. Das schließt frühe Heldinnen und junge Akteure gleichermaßen ein, und Khorkovas Auftritt war einer der markantesten dieses Jahres.

Tatsächlich hat Khorkova mit ihren Einkäufen aus dem Baumarkt und vielen anderen, erst einmal musikfern wirkenden Utensilien ein Eigenbau-Klavier entwickelt, das wie eine Kreuzung aus offenem Konzertflügel und angeschlossener Harfe wirkt. Die Saiten sind aus Angelschnur und alten VHS-Bändern, die einen bespielt Khorkova perkussiv, die anderen schon mal mit angefeuchteten Fingern. „Klangliche Täuschungen in drei Interaktionen“ hat sie ihre Komposition für multiphonisches Klavier und Elektronik genannt, und das Stück führt gar nicht in die Irre, sondern verdeutlicht, um was für ein hybrides Instrument es sich beim Klavier handelt: Es ist ein Tasteninstrument, bei Khorkovas Spielweise eher ein Tastinstrument, dann ein Schlag- und Saiteninstrument. Khorkovas Komposition verbindet alle drei Aspekte und kommt spielerisch daher, dabei liegt dem Stück eine längere Beschäftigung mit dem präparierten Klavier von John Cage zugrunde.

Die „Heroines of Sound“ machen Klangräume und Klangmaterialien unterschiedlichster Art erfahrbar: In einer Außenstation im Klangkunstraum Errant Sound in der Rungestraße haben die Künstlerinnen Ece Canli, Angélica Salvi und Vuduvum Vadavã unter dem Titel „Poisogem“ eine Art Labor aufgebaut, das noch über das „Heroines of Sound“-Festival hinaus bis zum 12. Juli besucht werden kann. Teil der Ausstellung ist eine Dunkelkammer, in der über ein Mehrkanal-Soundsystem eine 25-minütige Komposition aus Harfenklängen, elektronischen Schleifen und kristallinem Klingeln läuft und mit wechselnden Lichteffekten kombiniert wird. Auf der Straßenseite gegenüber befand sich in den Achtzigerjahren die Ausbildungsstätte des Volkseigenen Betriebes Secura, und in den Werkhallen und Pausenräumen der ausgehenden DDR klangen und flackerten die Neonröhren ähnlich.

Rumorende Räume

Gefährlich mutet der Raum an, den Stefanie Egedy im obersten Stockwerk des Radialsystems in der Holzmarktstraße, dem hauptsächlichen Austragungsort des Festivals, bespielt. „Zutritt auf eigenes Risiko“ steht an der Stahltür, und auf dem Weg dahin ist ein merkliches Rumoren und Rütteln im Fahrstuhlschacht zu vernehmen. Bei geöffnetem Fenster geht das bis in den Garten und an das Spreeufer. „Bodies and Subwoofers“ heißt Egedys Beitrag, in dem sie mit tieffrequenten Schallwellen, Resonanzen und Nachhall im Zusammenspiel mit der Raumarchitektur arbeitet.

Das Publikum nimmt liegend teil, und der Klang fegt förmlich über es hinweg, fährt aber auch in die Teilnehmer hinein. Musik hat Macht, das wird hier sehr deutlich. In Egedys Beispiel ist das potentiell und tatsächlich therapeutisch, in anderen Händen sicher aber auch militärisch verwendbar. Soviel zum Doppelcharakter des Genusses. „After Conflict“ heißt nicht von ungefähr eine Komposition Egedys, die sie gemeinsam mit dem auf dem Festival kontinuierlich fulminant spielendem Ensemble KNM zur Aufführung bringt.

Die Musik dieses verlängerten tropischen Wochenendes mag an einigen Stellen akademisch wirken, allein, sie muss das nicht sein. Einen Schwerpunkt bildet die E-Gitarre. Und es sind gleich sieben an der Zahl, die Catherine Lorent im Eingangsbereich des Radialsystems in einer Klangskulptur arrangiert hat; und es handelt sich nicht um irgendwelche E-Gitarren, sondern um Gibson Explorer, ein Modell, das für Jazzgitarristen konzipiert, von diesen nicht angenommen, aber später vom Hard Rock und Heavy Metal adaptiert worden ist. Die schnittigen Instrumente gehören zum Erscheinungsbild jeder amtlichen und lautstarken Langhaarrotte, Lorent überführt sie in ein barockes Klangbild, das die Zuschauer im Vorbeigehen unwissentlich über ein elektromagnetisches Steuersystem in Gang setzen. Draußen vor der Tür meldet sich derweil die Wasserstoff-Zapfsäule einer Tankstelle. Der Sound hat Potenzial.

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