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Interessenkonflikte in TrauzeugenaffäreMehr Transparenz auf allen Seiten

Gastkommentar von Timo Lange

Die Trauzeugenaffäre im Bundes­wirtschaftsministerium köchelt weiter. Zeit, die Sache mal abzu­schmecken und über den heißen Lobbybrei zu reden.

Es geht heiß her. Und sicher ist: Es wird immer heißer Foto: Marius Schwarz/imago

V etternwirtschaft! Bei den Grünen! Im Klimaministerium! Es ist nicht verwunderlich, dass ein solch schwerwiegender Vorwurf das Meinungsklima im politischen Berlin, in den Kommentarspalten der Zeitungen und in den sozialen Medien erhitzt wie sonst nur fossile Kraftwerke das echte Klima.

Das hat mindestens drei Gründe: Erstens, nicht alle Vorwürfe sind aus der Luft gegriffen. Zweitens, es gibt eine starke Lobby der Klimaschutzverhinderer, der Patrick Graichens Fehler ganz gelegen kommt. Und drittens wird in der Debatte einiges verdreht, wenn es um Lobbyismus geht. Fangen wir vorne an, beim tatsächlichen Fehlverhalten: Der wichtigste Beamte in Habecks Ministerium, Staatssekretär Graichen, hat seinen Interessenkonflikt beim Besetzungsverfahren für den Chefposten bei der Deutschen Energieagentur nicht rechtzeitig transparent gemacht.

Timo Lange

Der Autor ist Campaigner bei LobbyControl und Experte für Lobbyregulierung.

Graichen fehlte offenbar das Bewusstsein dafür, dass es ein Problem ist, wenn die Findungskommission für den Posten seinen langjährigen engen Freund und Trauzeugen, Michael Schäfer, als Top-Kandidaten vorschlägt und er selbst dieser Kommission vorsitzt. Graichen hätte den Interessenkonflikt frühzeitig anzeigen müssen und nicht erst, als Medien bereits danach fragten. Und er hätte sich aus der Findungskommission zurückziehen müssen, als ihm die Bewerbung seines Freundes bekannt wurde.

Es ist daher richtig, dass das Besetzungsverfahren neu aufgerollt wird und Schäfer das Amt gar nicht erst antritt, wie am Dienstag bekannt wurde. Aber reicht das? Ganz klar nein. Das Wirtschafts- und Klimaministerium darf den Fehler nicht einfach wegwischen. Es sollte nach den tieferen Gründen fragen, wie es zu einem solchen Fehler überhaupt kommen konnte, und nach Antworten, wie sich so etwas künftig vermeiden ließe.

Umgang mit Interessenkonflikten

Im besten Fall gelangt man dabei zu Lösungen, die den Umgang mit Interessenkonflikten grundsätzlich verbessern, nicht nur bezüglich freundschaftlicher oder familiärer Verbindungen. Mehr Transparenz über Einflussnahme auf politische Entscheidungen, über personelle und finanzielle Verstrickungen, bessere Durchsetzung von Compliance-Regeln, all das wäre nicht nur für das Wirtschaftsministerium empfehlenswert. Gerade erst wurde die Bundesregierung übrigens wieder für ihren unzureichenden Umgang mit Interessenkonflikten vom Europarat kritisiert.

Doch zur Wahrheit gehört auch: Mit dem aktuell heiß diskutierten Gebäudeenergiegesetz bringt das Klimaministerium finanzstarke und gut organisierte Lobbygruppen gegen sich auf – allen voran die Gasindustrie, die um ihr milliardenschweres fossiles Geschäftsmodell bangt. Schon seit Jahren hat die Gasindustrie noch jeden Eingriff in den Heizungsmarkt mit ihrer Lobbypower zu verhindern gewusst.

Die geringste Spur von Fehlverhalten wird in einer solchen Gemengelage von politischen Gegenkräften gerne aufgegriffen, aufgebauscht und skandalisiert. Das Gerede von Clan- oder auch Mafiastrukturen, wie es aus Teilen der Union und der AfD zu hören ist und von einigen Medien bereitwillig verbreitet wird, ist dabei völlig unangemessen. Solche Wortwahl dient vor allem der Stimmungsmache und verhindert sachliche Kritik.

Eine Verdrehung der Tatsachen ist es auch, wenn die familiären Verbindungen von Graichen ins Öko-Institut mit Lobbyverflechtungen gleichgesetzt werden, wie wir sie etwa aus der Russland/Nordstream-Connection oder dem CumEx-Skandal kennen. Bei diesen geht es um milliardenschwere Geschäftsinteressen und zu diesem Zweck gezielt geknüpfte Netzwerke.

Dass sich die drei Geschwister Graichen seit Jahrzehnten umwelt- und klimapolitisch engagieren und einer nun Staatssekretär ist, ist damit nicht vergleichbar. Dennoch ist es natürlich zentral, dass aufgrund der familiären Verbindungen keine Vorteile für das Institut entstehen. Das hat das Ministerium auch frühzeitig klargestellt – und tatsächlich erhielt das Institut mehr Geld, als noch der CDU-Politiker Peter Altmaier das Wirtschaftsministerium führte.

Trotzdem hätten Habeck und Graichen aufgrund dieses Hintergrundes eine besondere Sensibilität an den Tag legen müssen und jeden Anschein, dass Familie oder Freunde bevorteilt werden könnten, strikt vermeiden müssen. Der gravierende Fehler könnte somit vor allem denjenigen nutzen, die mit aller Kraft ihr fossiles Geschäftsmodell verteidigen wollen.

Hinweis: In einer früheren Version des Onlineartikels fehlte der letzte Absatz. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.

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11 Kommentare

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  • Lieber Herr Lange, ein guter Artikel. Um Ausgewogenheit bemüht. Es ist aber viel einfacher: Macht korrumpiert! Die Grünen wollten ja unbedingt an die Macht. Warum wohl? Auch wenn nicht einmal ein Tempolimit drin war? Diesen ganzen Komplex um Bestechung und Co sollte man auch mal legalisieren: Begründung wie bei Canabis. Auf der anderen Seite die Klimaschutzverhinderer: Die haben auch nur diesen Planeten zum Leben. Aber "Nach mir die Sintflut" ist wohl deren Denke oder sie sind technologieoffen und glauben an die Allmacht des technischen Fortschritts. Da kann man auch an den Weinachtsmann glauben! Jede technische "Lösung" verschärft oder verlagert das Grundproblem nur: Unsere Dummheit, Habgier und Arroganz. Dagegen hilft auch keine KI. Die Naturgesetze sind unveränderlich: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass, geht nicht! Schade eigentlich.

  • Abzocker und Lobbyisten, denen es nur um ihren gut bezahlten Job geht. Finde ich nur noch abstoßend.

  • "ist damit nicht vergleichbar."

    Meine Güte, die Währung von heute ist doch nicht Geld, sondern Information und in diesem Falle auch Machtausübung. Wer davon weiss, hat Vorteile, kann vor allen anderen Aktien kaufen (nichts selbst, über Freunde, verstehht sich), kann Immobilien verkaufen sofern er/sie welche besitzt usw.



    Und was die tieferen Gründe angeht, da btaucht man doch nicht lange zu suche, Graichen wollte einen Kumpel der ihm dann verpflichtet und dann sogar abhängig von ihm ist in ein wichtiges Amt hieven. So macht man das anscheinend bei den Grünen und so versucht er es auch in der Verwaltung. Das sagt doch alles über diese Person, ein selbstloser Staatsdiener benimmt sich anders.

    • @Gerald Müller:

      Wo finden Sie den noch selbstlose Staatsdiener? Träumen Sie weiter. Die Verpflichtungsstrategie finden Sie in allen Parteien, vermutlich im Fall der Fälle auch in ihren von Ihnen gelebten Strukturen. Da sind wir doch alle gleich eigennützig. Wenn Beamte selbstlos wären, würde in unserem Lande noch weniger funktionieren.

  • Halte das Alles für höheren Quatsch.



    Ein Trauzeuge ist kein Verwandter, aber vielleicht ein Freund?



    Trauzeugen sind bei der Eheschließung dabei, um zu bezeugen! Da geht es um was Höchstpersönliches.



    Freunde gibt es, auch Parteifreunde (da hört es aber meist auf freundlich zu sein).



    Warum soll ein Mensch, der ohne Frage qualifizieter ist als die anderen Bewerber den Job nicht bekommen? Weil er mit jemanden befreundet ist?



    Und: war das denn unbekannt, wer der Trauzeuge ist und was sagen die anderen die dafür waren, den Qualifiziertesten zu nehmen dazu.



    Alles andere: Rudolf Esser fragen.



    Auch wenn die Reichweite (der BLÖD-Zeitung) sich seit dem auf ein Siebtel reduziert hat.



    Im Übrigen Compliance ist stets dafür da Haftung zu vermeiden nicht Sinn zu stiften.

  • "...., ist damit nicht vergleichbar. "...

    Wenn das nicht vergleichbar ist, warum wird es dann von einem Campaigner verglichen.



    In der genannten Affäre geht es weniger um Geschäftsinteressen und wirtschaftlichem Lobbyismus, als um das erste Wort im Artikel: Vetternwirtschaft oder Amigos, familäre und sonstige Netzwerke, Bevorzugungen, schlicht um Ethik. So bleibt vor allem haften, dass - hat man ja schon immer gewusst - die Politik ein einziger Filz ist. Hier ein klares Zeichen dagegen zu setzen. Das wärs.

    • @fly:

      Da kann ich nur zustimmen!



      Peinlich ist dieses Verständnis bei Grüngesinnten!

      • @R.A.:

        Ja klar. Sowas gibt es in anderen Parteien ja überhaupt nicht, gell?!

        • @Perkele:

          Doch gibt es. In hohem Ausmass!



          Muss ich deshalb auch so werden?



          Gerade mit den hohen Moralansprüchen ist es so viel verlogener.

  • Meine Rede. Aufarbeiten. Sich gedanken darüber machen, wie es besser geht.

    Ansonsten sollten die, die gerade am lautesten geifern mal bei sich selbst gucken.

    - Glyphosat-Schmidt



    - Maut-Scheuer

    usw.

    • @tomás zerolo:

      Wenn der eine eine Straftat begeht, kann ich das auch tun?



      Sehr seltsame Logik!