piwik no script img

Vorwürfe gegen Flüchtlingseinrichtung„Aufgenommen und angezeigt“

Die Bremer Innere Mission soll die ihnen anvertrauten minderjährigen Geflüchteten wegen illegaler Einreise angezeigt haben und dementiert die Vorwürfe.

Müsste in Bremen mit einer Anzeige rechnen: Geflüchteter Minderjähriger 2015 in Karlsruhe Foto: Uli Deck/dpa

Bremen taz | Melden sich unbegleitete minderjährige Geflüchtete in der Erstaufnahmeeinrichtung in Bremen, müssen sie mit einer Strafanzeige wegen illegaler Einreise rechnen. Und zwar nicht durch die Polizei oder die Grenzbehörden, sondern durch den Verein für Innere Mission, der die Betreuungseinrichtung in der Steinsetzerstraße betreibt. Im Auftrag des Jugendamtes nimmt die Innere Mission unbegleitete Minderjährige nach ihrer Flucht auf, versorgt und berät sie.

Der taz liegt ein Polizeischreiben vor, aus dem hervorgeht, dass der Verein Strafanzeige wegen illegaler Einreise eines jugendlichen Geflüchteten stellte. Das Absurde daran: Laut Genfer Flüchtlingskonvention ist eine illegale Einreise straffrei, wenn die Personen beabsichtigen, Asyl zu beantragen. Nach Aussage der Bremer Rechts­an­wäl­t*in­nen Nina Markovic und Jan Sürig werden selbst syrische oder afghanische Geflüchtete, die sehr gute Aussichten auf Asyl haben, von der Inneren Mission angezeigt.

Markovic und Sürig vertreten geflüchtete Minderjährige in Altersfeststellungsverfahren und kennen daher deren Akten. Dort finden sie „standardmäßig“ Strafanzeigen der Inneren Mission wegen illegaler Einreise. Die An­wäl­t*in­nen und der Flüchtlingsrat Bremen gehen deshalb davon aus, dass nahezu 100 Prozent aller unbegleiteten Geflüchteten in der Stadt von den Anzeigen betroffen sind. „Das ist eine sich selbst bestätigende Bürokratie, die von außen wenig kontrolliert wird“, sagt Rechtsanwalt Sürig.

Damit verfehlt der drittgrößte diakonische Arbeitgeber in Bremen seinen Schutzauftrag: Eine Strafanzeige untergräbt das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen und den Kindern und Jugendlichen. Außer der Polizei und der Staatsanwaltschaft sei nach deutschem Recht niemand dazu verpflichtet, aus eigener Initiative heraus Strafanzeigen zu stellen, sagt der Rechtsanwalt. Zumal es bei illegaler Einreise nicht einmal einen Geschädigten gebe.

Möglichst schnell viele Daten erheben

„Das ist eine Stigmatisierung der Jugendlichen“, sagt Anwältin Markovic. „Es ist offensichtlich, dass die illegale Einreise bei ihnen nicht strafbar ist. Besonders bei denen mit guten Aussichten auf Asyl.“

Die An­wäl­t*in­nen vermuten, dass es den beteiligten Behörden und Jugendhilfeträgern darum geht, möglichst schnell von allen Geflüchteten erkennungsdienstliches Material – also Fingerabdrücke und biometrische Fotos – zu sammeln. „Die Sozialbehörde will so schnell wie möglich abklären, ob die Geflüchteten schon in Deutschland oder anderen EU-Ländern registriert sind oder woanders Leistungen beziehen“, sagt Markovic.

Tatsächlich aber gibt es für das Sammeln dieser Daten erst dann eine Rechtsgrundlage, wenn die Person Asyl beantragt. Das kann sich bei Minderjährigen über Monate hinziehen, denn sie können ohne Vormund, der ihnen vom Jugendamt zugeteilt wird, keinen Asylantrag stellen. Durch die Anzeigen wegen illegaler Einreise schafft man in Bremen nun eine andere Grundlage fürs Datensammeln. „Alle Beteiligten zusammen denken sich einen juristisch abenteuerlichen Weg aus, um die Geflüchteten in die erkennungsdienstliche Behandlung zu drängen“, so beschreibt es der Anwalt Jan Sürig.

Zwar werden die Verfahren wegen unerlaubter Einreise in fast allen Fällen eingestellt, dennoch bleibt der Eintrag im Verfahrensregister. Dieser kann im Zweifel gegen die Heranwachsenden ausgelegt werden. „Selbst wenn das Verfahren eingestellt wurde, haben sie einen Fleck auf ihrer weißen Weste“, erklärt Markovic. Das könne dazu führen, dass ein Gericht sich beeinflussen lässt, falls den Jugendlichen danach eine Straftat vorgeworfen wird. Die Person habe ja schon Kontakt zur Polizei gehabt.

Selbst wenn das Verfahren eingestellt wurde, haben sie einen Fleck auf ihrer weißen Weste

Nina Markovic, Rechtsanwältin

„Das geht in Richtung Vorverurteilung“, sagt die Rechtsanwältin. „Bei einem weiteren Verfahren würden die Rich­te­r*in­nen eher entscheiden, dass das Verfahren nicht eingestellt wird, weil es schon eine Akte gibt, oder in der Strafe höher gehen.“ Darüber hinaus riskiere die Jugendhilfeeinrichtung durch ihr Verhalten, die von ihnen betreuten Geflüchteten einer Retraumatisierung auszusetzen, sagt Markovic. Es sei nicht selten, dass die Jugendlichen vorher negative Erfahrungen mit der Polizei gesammelt hätten. Die polizeiliche Ermittlungsarbeit, die auf die Strafanzeige folge, könne sehr belastend sein.

Der Inneren Mission ist nach interner Prüfung kein solcher Fall bekannt. Der Leiter der Erstaufnahmeeinrichtung, Andreas Mückley, sagt, die Strafanzeigen werden nicht durch die Mitarbeitenden der Erstaufnahmeeinrichung gestellt. Ihm zufolge ist der Polizeibericht sprachlich irreführend. Die darin verwendete Formulierung, „die Erstaufnahmeeinrichtung meldete den Verdacht einer Straftat“, ließe falsche Schlüsse zu.

Kritik gab es schon 2020

Auch der Sprecher der bisher von Anja Stahmann (Grüne) geführten Sozialbehörde, Bernd Schneider, weist die Vorwürfe zurück, dass die Innere Mission Anzeige erstatte. Schneider schreibt auf Anfrage der taz, dass die Innere Mission „die jungen Menschen aber zur Identitätsfeststellung bei der Polizei melden muss“.

Bereits im Jahr 2020 übte das Bündnis „Together We Are Bremen“ scharfe Kritik am Vorgehen der Inneren Mission. Einzelne Jugendliche wurden im Auftrag des Jugendamtes unter Androhung von Gewalt in Fußfesseln aus der Unterkunft geführt und in andere Bundesländer gebracht. In einem offenen Brief warf das Bündnis der Inneren Mission vor, Komplizin für diskriminierendes staatliches Handeln zu sein und die Jugendlichen nicht vor den gewaltvollen Umverteilungen zu schützen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!