Nachruf auf Mark Stewart: Radikal offen und konfrontativ
Mark Stewart war der Gründer von The Pop Group, einer der einflussreichsten Bands des Post Punk. Er starb im Alter von 62 Jahren.
Die Sätze, die der damals gerade einmal 19-jährige Mark Stewart auf dem ersten Stück von „Y“ singt, waren eine programmatische Kampfansage: „We do not have anything / We have not learned anything / We do not know anything“. Der Sound des 1979 erschienenen Debütalbums von The Pop Group und ihres Sängers Mark Stewart standen für eine so paranoide wie angriffslustige Musik.
The Pop Group nahmen Punk, Reggae, Dub, Funk, Freejazz, Krautrock, drehten alles durch den Mischer und befreiten die Szene von der drohenden musikalischen Erstarrung. Der Moment, der auf „Y“ festgehalten ist: Es begann die Phase in der britischen Popgeschichte, in der die von der ersten Punk-Welle postulierte radikale Freiheit auf die Musik selbst übertragen wurde. Bis zu The Pop Group und einigen wenigen Wesensverwandten bedeutete Freiheit im Punk vor allem eine weitgehende Liberalisierung von Autorschaft – jeder durfte, jeder konnte, dem Anspruch nach zumindest. „Y“ war eine musikalische Initialzündung.
Noch heute frisch
Die Musik, die der 1960 geborene Mark Stewart in die Welt brachte, wirkt auch heute noch frisch. Lebendiger klang, was sich aus Punk und durch ihn entwickelte, danach eigentlich kaum etwas. Es waren Sounds, von denen aus man überallhin und weiter gehen kann.
The Pop Group hätten damals eine Kiste aufgesprengt, sagte Stewart in einem Interview. Da seien musikalische Ideen rausgekrabbelt. Danach hätten alle sich davon nehmen können, was sie brauchten. Musiker:innen, die sich ausdrücklich auf das Werk Mark Stewarts beziehen, kommen aus allen Bereichen des Pop: Nick Cave etwa, Massive Attack und Nine Inch Nails.
Traktathafte Texte
The Pop Group trennten sich bereits 1981 wieder, nach dem zweiten Album, „How Long Do We Tolerate Mass Murder“. Hier arbeitete die Band mit den Last Poets zusammen und ersetzte die mitunter kryptischen Lyrics des Debüts durch traktathafte Texte: „Capitalism is the most barbaric of all religions“. 2010 kam es zu einer Reunion. Es folgten zwei weitere Pop-Group-Alben.
Nach dem vorläufigen Ende von The Pop Group hatte sich Mark Stewart an dem von der Produzentenlegende Adrian Sherwood angestoßenen Reggae-Projekt The New Age Steppers beteiligt. 1983 gründete er selbst The Maffia, mit der er sich – auf der Basis von Dub – für Industrial und HipHop öffnete.
Fordernd und unberechenbar
Der Sound blieb fordernd, unberechenbar, egal in welcher Konstellation. Es folgte eine bis ins letzte Jahr reichende Reihe von Soloalben, für die Mark Stewart mit Neneh Cherry, Front 242, David Tibet, Richard Hell, Lee „Scratch“ Perry, Primal Scream, Tricky und vielen anderen zusammenarbeitete. Genres spielten für ihn keine Rolle mehr. Sein Werk zielte auf ein radikal offenes, konfrontatives, grenzenloses Universum, das sich nach eigener Logik strukturiert.
Am Freitag starb Mark Stewart im Alter von 62 Jahren.
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