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Tarifabschluss im öffentlichen DienstGrößte Tariferhöhung seit Jahrzehnten

3000 Euro Inflationsausgleich, mindestens 340 Euro mehr: Die Beschäftigten in Bund und Kommunen bekommen bald deutlich höhere Gehälter.

Jetzt erfolgreich: Beschäftigte bei einem Warnstreik im öffentlichen Dienst im März Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Potsdam afp | Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen können im kommenden Jahr mit deutlich höheren Löhnen rechnen. Die Tarifparteien verständigten sich bei der vierten Tarifrunde am Samstag in Potsdam darauf, eine vorangegangene Schlichtungsempfehlung ohne wesentliche Änderungen anzunehmen. Verdi-Chef Frank Werneke sagte, es handele sich um die „größte Tarifsteigerung in der Nachkriegsgeschichte im öffentlichen Dienst“.

Der Tarifabschluss sieht ab Juni zunächst einen stufenweise ausgezahlten Inflationsausgleich von 3000 Euro und ab März kommenden Jahres dann 5,5 Prozent, monatlich jedoch mindestens 340 Euro mehr Gehalt vor. Die Laufzeit soll rückwirkend ab Januar 24 Monate betragen.

Verdi und Beamtenbund hatten 10,5 Prozent und mindestens 500 Euro mehr Geld bei einer Laufzeit von zwölf Monaten gefordert. Der Tarifabschluss gilt für 2,5 Millionen Beschäftigte, die nicht Beamte sind. Für die nicht streikberechtigten Beamten werden die Bezüge nicht in Tarifrunden ausgehandelt. In der Regel wird das Tarifergebnis für sie jedoch übernommen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einem guten und fairen Tarifabschluss in schweren Zeiten. Mit Blick auf die Haushaltslage sei zugleich ein verantwortbarer Tarifabschluss erreicht worden. Werde der Tarifabschluss auch auf die Beamten übertragen, lägen die Kosten für den Bund bei insgesamt 4,95 Milliarden Euro.

Die kommunalen Arbeitgeber seien bis an die finanzielle Belastungsgrenze gegangen, sagte die Präsidentin der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA), Karin Welge. Die lange Tariflaufzeit von 24 Monaten mache die kommunalen Haushalte planbar. Sie bezifferte die zusätzlichen Kosten für Städte und Gemeinden auf 17 Milliarden Euro während der gesamten Laufzeit.

Das Ergebnis sei ein Kompromiss mit Stärken, „aber auch mit Dingen, die uns schwergefallen sind“, sagte Verdi-Chef Werneke. Für untere Entgeltgruppen bringe der Tarifabschluss zum Ende der Laufzeit eine Steigerung von 16 Prozent, für andere „wichtige Mitgliedergruppen von über elf Prozent“.

Die Gewerkschaften hätten sich aber eine kürzere Tariflaufzeit und eine stärker ausgeprägte soziale Komponente zugunsten unterer Lohngruppen gewünscht, sagte Werneke. Die Tarifkommission habe den Gewerkschaftsmitgliedern nun aber empfohlen, dem Tarifabschluss in einer Mitgliederbefragung zuzustimmen.

Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen könnten mit diesem Ergebnis leben, sagte Beamtenbund-Chef Ulrich Silberbach. Ab März kommenden Jahres werde es Einkommenserhöhungen von monatlich mindestens 340 Euro geben. Zuvor helfe die steuerfreie Inflationsausgleichsprämie „erstmal über den Berg“.

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15 Kommentare

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  • Ich glaube nicht, dass die Überschrift zutrifft, wenn man die Entwicklung der Reallöhne und die Inflation reinrechnet.

    Bei sehr niedrigen Entgelten könnte ein deutlicher Zuwachs entstehen, ver.di hat da Rechnungen aufgestellt. Aber 2,5 Mio. Beschäftigte insgesamt werden bestimmt nicht alle einen Zuwachs haben, es geht um 2022, 2023 und 2024. Der Zuwachs ist 2024.



    Das bedeutet, dass auch Dinge wie Rente 2022 und 2023 sinken, da hier nicht wirklich erhöht wurde, bzw. die Erhöhungen so niedrig sind, dass sie komplett aufgefressen werden.

    Und dann sind wir beim Personalproblem: Oft kommt keiner mehr, schwaches Bewerberfeld, etliche Forderungen und Wünsche, das wird noch zunehmen. Sehr gute Akademiker überlegen sich das, ob sie im Öffentlichen Dienst anfangen.



    Wer nicht von Haus aus Geld hat, wird mit einer Akademikerposition in Düsseldorf oder Münschen keine Eigentumswohnung für eine Familie oder Reihenhaus schaffen. Dafür reicht es nicht. Auch die Zusatzrenten sind oft niedrig. Es wird leicht für die Privatwirtschaft, dies zu überbieten.

    Und dann wird die Politik so weitermachen wie bisher: Es werden €100 Mrd. für die Aufrüstung locker gemacht, für den Ankauf von Waffen, aber die Steuerergiebigkeit wird nicht mal als Ziel formuliert. In der Regierung ist auch die FDP, die würde das sogar noch weiter senken, die würden gerne Steuern für Großverdiener und Unternehmer weiter senken. Bei so einer Gemengelage ist das ein Ergebnis und damit eine Bestätigung der Rolle von Gewerkschaften im Öffentlichen Dienst, ob dabei 'mehr' rauskommt? Ich habe Zweifel. Und ich sehe vor allem bei der Politik eine echte Lernunfähigkeit was Steuern und Gerechtigkeit angeht.

  • 6G
    669197 (Profil gelöscht)

    Diese Sockelbeträge verdichten die Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Lohngruppen. Diesen Trend gibt es schon lange, nicht nur im Öffentlichen Dienst. Bei uns ist es so, dass in den Bereichen, wo früher vergleichbar A9/11 bezahlt wurde, zu 90% Beschäftgte ohne Abitur sind und wegen der intellektuellen Defizite eine Verdoppelung des Personals stattgefunden hat. Welcher Bewerber mit Abitur und abgeschlossener Ausbildung oder einem kleinen Studium ist bereits, für 1800 Euro netto solche Jobs zu machen? Deshalb beschäftigt man heute zwei minderqualifizierte Leute auf Arbeitsplätzen, wo qualifiziert eigentlich nur einer benötigt wird. Der Tarifvertrag lässt nichts anderes zu.

  • The same procedure as every year... Die Gewerkschaften wollten 10,5% mit einer Laufzeit von 12 Monaten (also einen reinen Inflationsausgleich) und bekommen tun die Beschäftigten 5,5%, nächstes Jahr, mit einer Laufzeit von 24 Monaten. Macht weniger als ein Viertel der ursprünglichen Forderung und liegt weit unter der Inflation. Da reisst auch die Einmalzahlung keine Bäume aus.

  • 6G
    669197 (Profil gelöscht)

    Ich mache mit den Ämtern sehr gute Erfahrungen, also mit denen in der Verwaltung, die gemeinhin am meisten kritisiert werden. Diese sind aber meist fachlich ihrer Aufgabe gewachsen. Die schlechteste Erfahrungen mache ich mit dem Personal im Gesundheitswesen, Pflegekräften und Klinikärzten, auch in fachlicher Hinsicht. Den einen gönne ich eine Lohnerhöhung, den anderen nicht.

  • Ein kleiner Faktencheck entlarvt Lügner: 1974 wurde eine Lohnerhöhung von 11 Prozent durchgesetzt.

    Was an einem Ergebnis unterhalb der Inflationsrate toll sein soll; zumal in der Lohnrunde vorher (während Corona) bereits ein Abschluss weit unterhalb der Inflationsrate erzielt wurde, ist aus Sicht der Arbeitnehmer nicht nachvollziehbar.

    Ein Vergleich mit den Einnahmesteigerungen des Staats zeigt auch, dass die Arbeitnehmer nicht in gleichem Ausmaß partizipieren, sondern unterdurchschnittlich abgespeist werden.

    Kein Wunder, dass kaum noch jemand für ein schlechtes Gehalt im Öffentlichen Dienst arbeiten möchte

  • In echt? “Chef Frank Werneke sagte, es handele sich um die „größte Tarifsteigerung in der Nachkriegsgeschichte im öffentlichen Dienst“.“ Ach was! ©️ Loriot

    Kluckerts?



    “NICHT MYTHOS, SONDERN VERLEUMDUNG



    Zum Vorwurf, Heinz Kluncker habe 1974 Willy Brandt gestürzt“



    www.verdi.de/ueber...-7184-0019b9e321e1



    “Die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) ging 1974 mit einer Forderung von 15 Prozent mehr Lohn- und Gehalt, mindestens 185 Mark in die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst. Die Industriegewerkschaften hatten 1973 durchschnittlich zwölf Prozent mehr Lohn und Gehalt durchsetzen können.“



    & Däh



    “Der gelernte Industriekaufmann war von 1964 bis 1982 Vorsitzender der ÖTV (heute ver.di) und für eine harte Tarifpolitik und nachdrückliche Vertretung von Arbeitnehmerforderungen bekannt. 1974 machte er bei Lohn-Verhandlungen mit der Regierung Willy Brandt Schlagzeilen, als er eine Lohnerhöhung von 11 Prozent durchsetzte (nachdem Müllwerker drei Tage gestreikt hatten).



    de.wikipedia.org/wiki/Heinz_Kluncker



    &



    leb-gems-sh.de/wp-...lationsrechner.pdf

  • Vorab: Klar, es ist gut, dass es, wie in anderen Branchen auch, mehr Geld gibt.



    Allerdings gibt es nicht unwesentliche Pferdefüße, obwohl selbst Hr. Lindner (FDP) sagt "Wir haben kein Einnahmeproblem!"



    Was für die Beschäftigten nicht so gut gelaufen ist:



    # Es ist für dieses Jahr eine Nullrunde. Das, was man bekommt, ist für die Rente ein Nachteil und ob es beim Weihnachtsgeld mit einberechnet wird, bleibt abzuwarten, . Ich denke nicht, denn es ist ja eine Zulage, also kein richtiger Lohn.



    # Wer arbeitslos wird, kind- oder langzeitkrank ist, bekommt für dieses Geld keine anteilige Zahlung vom AA oder der Krankenkasse.



    # Zuschläge werden vom weiterhin niedrigem Grundlohn berechnet.



    # Arbeitgeber sparen in den nächsten Jahren weiterhin durch die niedrigeren Tabellenwerte. Die 5,5% -x % werden ja auf Grundlage der jetzt gültigen Werte berechnet.



    # Man ist auch als Staat ein schlechtes Vorbild: die Sozialsysteme erhalten keinen Penny. Das ist ungerecht gegenüber der Gesellschaft.



    Also hat Verdi gut verhandelt? Das muss jeder für sich entscheiden und am Ende sehen.



    Meine Kollegin, welche danach bezahlt wird, war es eher nicht. Ich selbst, muss warten, was die Länder im Herbst anbieten.

  • Gut für die Beschäftigten!



    Die Kommunen sind allerdings finanziell am Ende.



    Wie soll das alles funktionieren?

    • @Frau Flieder:

      Gut, dass Sie die Kommunen ansprechen! In NRW sind immer noch viele Kommunen in der Haushaltssicherung.

      Ich befürchte deshalb, dass viele Beschäftigten im ÖD diese Erhöhung selbst bezahlen müssen. Durch höhere Gebühren höhere Steuern. (Grundsteuer) von der Kalten Progression ganz abgesehen.

      Im übrigen werden die unteren Einkommensschichten, auch die, die nicht im ÖD beschäftigt sind, dies bezahlen.

      Vielleicht wäre eine Möglichkeit, dass zukünftig getrennt nach Bund, Ländern und Kommunen verhandelt wird.

    • @Frau Flieder:

      Ja, super .. die Reallohnverluste durch Nullrunden und Inflation fallen dann nicht ganz so extrem aus.

      Die Kommunen und der Bund hatten 2022 Rekordsteuereinnahmen verzeichnet, so funktioniert das alles - aber auch nur, wenn man die dort Beschäftigten anständig bezahlt, sonst schreitet der Fachkräftemangel in den Behörden noch schneller voran, als es der demographische Wandel ohnehin bedingt.

  • 340 Euro mehr wird netto möglicherweise nur 140 Euro sein. Der größte Gewinner ist der Staat.

    • @resto:

      Es scheint mir eher wenig plausibel anzunehmen, dass die unteren Lohngruppen die die Mindest(!)erhöhung von 340€ bekommen darauf dann den Spitzensteuersatz zahlen.

      • @Ingo Bernable:

        Es ist nicht der Spitzensteuersatz, sondern der Progressionssprung (mit den Sozialabgaben), der Lohnerhöhungen oftmals zunichte macht. Können Sie selbst an Beispielen mit der Steuertabelle rausfinden.

  • Ab März 2024 plus 200 Euro plus 5,5%.

    • @Ciro:

      Stimmt. Der Artikel hat diese 200 Euro unterschlagen.

      Verdi-Webseite: " In den Monaten Juli 2023 bis einschließlich Februar 2024 gibt es monatliche Zahlungen in Höhe von je 220 Euro netto. Die Einkommen der Beschäftigten steigen ab dem 1. März 2024 tabellenwirksam um einen Sockelbetrag von 200 Euro plus 5,5 Prozent."



      Nachdem es dann 8 Monate lang schon 220 Euro netto mehr gab, wird im Vergleich dazu bei einigen wenig bleiben von den 5.5% Anstieg. Damit motiviert Verdi schon jetzt für den Arbeitskampf 2025.