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Sexualstrafrecht in SpanienKlatsche für die Frauenrechte

Reiner Wandler
Kommentar von Reiner Wandler

Frauen sollten nicht mehr beweisen müssen, dass sie sich gewehrt haben. Doch ausgerechnet Sánchez' Sozialisten kippen nun die „Nur Ja ist Ja“-Reform.

„Nein ist Nein“ – Demonstration für Frauenrechte am 8. März 2023 in Malaga Foto: Jesus Merida/imago

E s war ein jämmerliches Spektakel, das sich die spanische Linkskoalition am Donnerstag im Parlament leistete. Die beiden Koalitionspartner gingen völlig entzweit in die Abstimmung über eine Reform der Reform des Sexualstrafrechts. „Nur Ja ist Ja“ nennt der Volksmund das fragliche Gesetz, denn es stellte erstmals die Zustimmung der Frau zu einem sexuel­len Akt über alles andere. Anders als bisher sollte es den Frauen vor Gericht erspart bleiben, zu beweisen, dass sie Widerstand geleistet hatten, damit ein Sexualstraftäter wegen Vergewaltigung ins Gefängnis wandert und nicht nur wegen Missbrauch. Das Gesetz hatte diese Unterscheidung eliminiert.

So sollte es sein, so wird es aber nicht sein. Denn die Sozialisten von Ministerpräsident Pedro Sánchez verwässerten das Gesetz aus der Feder der linksalternativen Gleichstellungsministerin Irene Montero mit Unterstützung durch die konservative Partido Popular, die nie an „Nur Ja ist Ja“ geglaubt hatte.

Im Superwahljahr mit Kommunal-, Regional- und Parlamentswahlen aufgeschreckt durch dutzende von Revi­sions­urteilen, bei denen Richter die fehlende Differenzierung von „mit oder ohne offensichtliche Gewalt“ nutzten, um unter der alten Gesetzgebung verhängte Strafen herabzusetzen, reformierten die Sozialisten jetzt das Werk. Anstatt auf den Spruch der höchsten Instanz zum Thema im Juni zu warten und dann zusammen mit der linksalternativen Unidas Podemos und anderen kleineren, linken Kräften technische Veränderungen vorzunehmen. Ganz nebenbei sagen die Strafminderungen oft mehr über die Richter und ihre Mentalität aus als über das „Nur Ja ist Ja-Gesetz“.

Künftig werden die Frauen also wieder nach ihrem Widerstand und damit nach der Anwendung von offensichtlicher Gewalt befragt werden – als wäre eine Frau in Schockstarre nicht Opfer von Gewalt. Dass die Sozialisten nun die Reform mit denen vorantreiben, die sich einst über die geforderte Zustimmung lustig machten, ist ein trauriger Tag für die spanische Frauenbewegung. Die Konservativen, die nie für die Rechte von Frauen oder sexuellen Minderheiten eingetreten sind, führen die Sozialisten vor.

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Reiner Wandler
Auslandskorrespondent Spanien
Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.
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6 Kommentare

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  • Der Kommentar gehört nicht unbedingt zu den Sternstunden des Journalismus. Ich finde ihn stellenweise so umständlich formuliert, dass es das Verständnis beeinträchtigt. Außerdem hätte etwas mehr Kontext, mehr Informationen nicht geschadet.

    Der verlinkte Artikel beschreibt es etwas ausführlicher, wenngleich nicht klar wird, was der aktuelle Stand der Dinge ist. Der Artikel ist ja schon sechs Wochen alt.



    Ich bin absolut für ein "Nur Ja ist Ja"-Gesetz und natürlich ist es absurd fehlende Gegenwehr sei es nun aufgrund von Angst, Schock oder Bewusstlosigkeit als Beleg dafür anzuführen, dass keine Aggression stattfand. Anderseits ist eine Differenzierung zwischen einer Vergewaltigung wie in Pamplona und sexueller Belästigung schon sinnvoll - auch wenn es sich wohl eher um ein Spektrum aus um zwei abgetrennte Kategorien.



    Ein Beispiel ist die Gruppenvergewaltigung, die Spanien vor ein paar Jahren in Aufruhr versetzte: Das Opfer hat sich wohl aus Angst oder Schock nicht gewehrt. Deshalb nur von einem Missbrauch zu sprechen ist absurd. Eine Unterscheidung zwischen dieser Tat und sexueller Belästigung ist aber wohl schon angebracht.



    Dass Richter in Spanien Frauenrechte mit Füßen treten ist traurig genug, aber natürlich sollte der Gesetzgeber sowas berücksichtigen und Gesetze sinnvoll formulieren. Ich kann aus dem Kommentar nicht wirklich sicher entnehmen, was jetzt geplant ist.

  • Wirklich ernst gemeinte Frage bzgl. der jetzt abgelöstes Gesetzgebung:



    Das vermeintliche Opfer muss nicht nachweisen, dass es Widerstand geleistet hat. Der vermeintliche Täter muss grundsätzlich nie etwas beweisen. Es gilt vor Gericht die Unschuldsvermutung. Wie erfolgt den der Nachweis a.) rein praktisch in der Prozessführung und b.) aus einer akademischen Betrachtung, wenn der vermeintliche Täter einfach behauptet, auch dem GV nicht zugestimmt zu haben. Zeugen- und Sachbeweise liegen leider häufig nicht vor, Täter und Opfer stehen häufig in engeren sozialen Kontakt.

    Bitte ernsthafte Antworten, idealerweise von jemanden mit wirklich sachkundigen Kenntnissen. Aus meiner Sicht bleibt letztendlich nur noch die Aussageplausibilität bzw. das Aussagegutachten übrig, was bei fehlenden Aussagen zum Tatgeschehen schwierig ist.

    • @Andi S:

      Ich könnte mir vorstellen, dass das Gesetz auch die Gruppenvergewaltigung vor ein paar Jahren vor Augen hatte. Dabei hatten mehrere Männer eine Frau vergewaltigt und das ganze gefilmt. Die Frau war wohl zu schockiert oder verängstigt, um sich zu wehren. Die Strafen fielen entsprechend niedrig aus, weil ohne Gegenwehr des Opfers galt die Tat nur als Missbrauch. Ähnlich gelagert dürfte der Fall dann wohl auch bei Bewusstlosigkeit (was ja auch durch k.o.-Tropfen herbeigeführt werden kann) sein. In solchen Fällen dann nicht von Aggression sondern nur von Missbrauch zu sprechen und entsprechend harmlose Urteile zu fällen, ist irgendwie bitter.



      Das beantwortet natürlich nicht die Frage nach dem Nachweis. Aber immerhin würde das Gesetz härtere Strafen in den (wohl Recht wenigen) Fällen ermöglichen, in denen es Zeugen, Videos oder ähnliches gibt. Im Übrigen stellt sich die Frage nach den Beweisen ja immer: Zweifelsfrei nachzuweisen, dass a) Geschlechtverkehr stattfand und b) dieser nicht einvernehmlich war, ist in der Praxis oft schwer - unabhängig davon, ob der mangelnde Konsens jetzt auch Gegenwehr oder durch Worte kommuniziert wird.



      Ich nehme an, das Gesetz soll eine Grundlage für Urteile in Fällen mit besonders guter Beweislage schaffen und eine psychologische Wirkung erzielen. Selbst wenn sich in der Praxis der Rechtsprechung aufgrund der von Ihnen angesprochenen Probleme wenig ändert, könnte es Normen und Einstellungen beeinflussen, wenn Sex, Einvernehmen und Vergewaltigung juristisch neu definiert werden und das öffentlich diskutiert wird.

      • @Iguana:

        Guter Hinweis. Wenn ich mich recht erinnere gab es für den Fall auch Videoaufnahmen. Jedenfalls war die Strafandrohung wegen Missbrauch lächerlich im Vergleich zur Tat.

        Aus meiner Sicht muss Missbrauch und Vergewaltigung gleichwertig Bestraft werden. Ggf. anhand des Verletzungsbildes noch Körperverletzung oben drauf.

  • 2G
    22607 (Profil gelöscht)

    Das Gesetz wurde vor allem deshalb abgelehnt, weil es mit Unklarheiten gespickt war die juristisch massive Folgen hatten. Die Zusammenlegung der Tatbestände "Missbrauch" und "sexuelle Agression" ohne Übergangsklausel führt bereits zu annähernd 1000 Fälle wo das Strafmass reduziert wurde, 100+ Täter kamen direkt frei weil die Urteile nach neuem Strafmass eine deutlich geringere Strafzeit aufweisen.



    Dass der Autor hier keine Probleme sieht, und die Opfer der bereits verurteilten geflissentlich ignoriert, ist auch eine Art Zeugnis. Man kann auch mit dem Weglassen wichtiger Teile die Wahrheit kaschieren.

  • Ich hoffe mal, das die Sozialisten sich da gehörig kalkuliert haben.

    Die spanischen Frauen spielen nach meinem Gefühl in einer anderen Liga als sie deutschen, was ihre Kampfbereitschaft für Frauenrechte angeht.