Verwendung der ehemaligen JVA Göttingen: Nächstbester Investor gesucht
SPD, CDU und FDP in Göttingen wollen die ehemalige JVA verhökern. Die Initiative „Soziales Zentrum“ bleibt außen vor und ruft zu Protesten auf.
Das frühere Untersuchungsgefängnis in der nördlichen Innenstadt gehört seit 2008 der Stadt und ist seitdem ungenutzt. Bemühungen um eine Nachnutzung blieben lange Zeit ohne Ergebnis – Pläne, die JVA etwa zu einem Hostel umzubauen, scheiterten an der Finanzierung. Erst im vergangenen Sommer kam die Debatte wieder in Schwung.
Die Initiative „Soziales Zentrum“, in der das Gesundheitskollektiv Göttingen, die Falken und Gruppen aus dem Quartier zusammenarbeiten, legte ein detailliertes Konzept vor, das unter anderem Beratungs- und medizinische Angebote für Geflüchtete und andere Bedürftige vorsieht. Die überfällige Sanierung soll die Stadt stemmen – und dafür knapp sechs Millionen Euro bereits bewilligte Fördermittel für den Stadtteil verwenden.
Doch Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (SPD) entschied quasi im Alleingang, die JVA an die Firma Trafo Hub aus Braunschweig zu veräußern, die dort ein nebulöses Konzept für sogenannte „Co-Working- und Co-Living-Spaces“ umsetzen wollte. Am 3. Oktober besetzte eine Gruppe namens „Autonome Stadtverwaltung Göttingen“ das Gebäude, eine Räumung durch die Polizei wenige Tage später verlief vollkommen friedlich.
Die Besetzer:innen verstanden ihre Aktion als Unterstützung für die Pläne der Initiative Soziales Zentrum sowie übergreifend als „Kampf gegen die Gentrifizierung“. Kurz darauf zog sich die Trafo Hub zurück, angeblich wegen veränderter Rahmenbedingungen wie Baukosten- und Zinssteigerungen sowie die Auswirkungen des Ukraine-Krieges.
Im März schlug die Verwaltung eine sogenannte Konzeptvergabe der JVA vor. Die denkmalgeschützte Immobilie sollte nicht an den erstbesten Interessenten verkauft werden, sondern an den, dessen Nutzungskonzept das Quartier in naher Zukunft am meisten aufwertet. Das offene Verfahren biete eine Gelegenheit, auch „unkonventionelle Konzepte für die nicht alltägliche Immobilie“ zu erhalten – die Konzepte der Initiative Soziales Zentrum waren allerdings ausdrücklich nicht damit gemeint.
Beim letzten Bauausschuss im April startete das Haushaltsbündnis dann einen Coup: In einem erst unmittelbar vor Sitzungsbeginn vorgelegten Antrag schlug es eine sogenannte Direktvergabe vor – also den unmittelbaren Verkauf des denkmalgeschützten Gebäudes an einen Investor. Der Antrag formuliert lediglich zwei weiche Bedingungen: Der Käufer soll anhand von Referenzen Erfahrung in der Entwicklung ähnlicher Immobilien nachweisen können und die Bereitschaft zeigen, einen Vertrag zu unterschreiben, „der die städtebaulichen und bauleitplanerischen Ziele der Stadt“ absichern soll.
CDU-Fraktionschef Olaf Feuerstein beantragte in der Sitzung gar einen Direktbeschluss, der Antrag des Haushaltsbündnisses wäre dann ohne weitere Diskussion durchgegangen. Grüne und Linke reagierten empört, Feuerstein zog seinen Antrag nach einer Unterbrechung zurück. Er dürfte heute verabschiedet und die Verwaltung entsprechend mit der Umsetzung beauftragt werden.
Nach Ansicht der Initiative Soziales Zentrum eskaliert das Haushaltsbündnis mit seinem Vorgehen die Situation um die JVA. Politische und inhaltliche Kriterien für mögliche Investoren sollten nunmehr komplett fallen gelassen werden. Einzig und allein das Angebot solle zählen. „Wir sehen in diesem Vorstoß nicht nur den Versuch, das Projekt Soziales Zentrum in der JVA endgültig aus dem Rennen zu werfen“, heißt es in einer Erklärung der Initiative.
„Wir empören uns an erster Stelle über die Unverfrorenheit, mit der hier mit Macht an allen bisherigen Auseinandersetzungen vorbei die Interessen und das Engagement der Menschen mit Füßen getreten wird und eine rein investorengeleitete Politik durchgesetzt werden soll.“ Nach dem Willen von SPD, CDU und FDP solle in der JVA „ein Gentrifizierungsprojekt vom Feinsten installiert“ werden.
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