Sänger Hendrik Otremba: Gattungen wie Schall und Rauch
Der Sänger der Gruppe Messer, Hendrik Otremba, kehrt zurück. „Riskante Manöver“ heißt sein erstes im Alleingang entstandenes Album.
Zur Künstleridentität des 39-jährigen, aus dem Ruhrgebietsstädtchen Recklinghausen stammenden Hendrik Otremba gehört ein unbändiger Wille zum Ausdruck, zum uferlosen Ausprobieren, zum Grenzgängertum. Das führt den Künstler bereits seit mehr als einer Dekade in eine Welt, in der Gattungen Schall und Rauch sind.
Zu Hause fühlt er sich in vielerlei Feldern der Kulturproduktion. Da ist er Sänger des hippen Postpunkband-Gebildes Messer, das zuletzt nach transatlantisch vermittelten Offbeats im Stile der britischen Artpunkheroen Wire geforscht hat. Dann verkörpert er den Romancier, der aus literarischen Genretropen Slipstream collagiert: Krimi- und Hard-Boiled, Sci-Fi und Steampunk, Abenteuer- und Robinsonade (zuletzt „Benito“).
Zudem malt Otremba ausstellungswürdig in Aquarell und Tusche, lehrt an Universitäten und arbeitet nebenbei für das Grönland-Label an Booklets, die Künstler wie Holger Czukay (Can) und Michael Rother (Neu!) ins verdiente Licht setzen.
Einschränken mag er sich ungern, zur Schau stellen schon viel mehr. So gesehen verwundert es nicht, dass der Wahl-Berliner wieder fündig geworden ist: Statt in Gruppenstärke wandelt er jetzt auf Solopfaden. Schon im zweiten Stück „Im Pelzmantel, Cretin“ meint man einen ersten selbstreflexiven Kommentar zu entdecken: „Meine Stimme muss frei sein/Ihre Seele mich zerstören/Bis es endlich etwas von mir gibt.“ Da zeigt sich jemand getrieben – und sei es nur von einem poetischen Ich.
Ganz ohne Bandkollegen von Messer
Ein Quantum Restangst ist trotz allem vorhanden, wie Otremba mit dem Albumtitel preisgibt: Nichts weniger als ein „Riskantes Manöver“ ist dieser neue Ast in der Karriere. So jedenfalls ist das Album betitelt, das als Solodebüt Otrembas in die Geschichte eingehen wird.
Ganz ohne Bandkollegen, ohne den Rückzugsort Schreibstube, ohne vermittelnden Ausstellungstext und ohne Balancierhilfe – der Lieblings-Tausendsassa der hiesigen Untergrundkultur ist bei diesem Kunststück am Trapez nicht zu beneiden.
Nun können Erwartungen nur erfüllt oder enttäuscht werden, was sie zum zwielichtigen Spektakel ohne Zwischentöne macht. Diese Erfahrung durfte Otremba schon als Sänger von Messer machen. Da sprang man von Hardcore-beeinflusstem Postpunk zu Kraut, dann zur Kunstmusik und wieder zurück zu Postpunk und New Wave. Unterwegs enttäuschte man jeweils Genredogmatiker und sammelte dafür eine treue Fangemeinde, die sich auch bereitwillig auf das bislang letzte Experiment – ein Dub-Remix-Album – einließ.
Hendrik Otremba: „Riskantes Manöver“ (Trocadero/Indigo); auf Tour im Mai
Sein Publikum frustrieren zu wollen, liegt Hendrik Otremba indes fern. „Riskantes Manöver“ zeigt den Künstler zutraulich und das antizipierte Auditorium umarmend. Ohne je die Otremba’sche Individualmythologie zu verlassen, wendet sich der Neu-Solist so grundverschiedenen Genres wie dem balladesken Chanson und Industrialsound im Stile der Einstürzenden Neubauten zu.
Brutal aktuelle Themen
Eine Country-Version des Michael-Holm-Schlagerhits „Smog in Frankfurt“, die Otremba dieser Tage mit Die Heiterkeit-Frontfrau Stella Sommer einsingt, fällt inmitten dieses Genre-Potpourris gar nicht weiter auf.
In Otrembas Fingern werden scheinbare Binsen zu großen Wahrheiten; das erinnert nicht selten an so krass unterschiedliche Figuren wie den späten Ronald M. Schernikau. Selbst Tol-stoi entdeckt man inmitten dieser „hohen Pop-Sprache“; dann nämlich, wenn Otremba in der wirklich erbarmungswürdigen Piano-Ballade „Bargfeld“ klarstellt, dass es nicht „Krieg oder Frieden“ heißen muss, sondern: There is war and there is peace. Bargfeld, da war doch was: genau, die Wirkungsstätte von Arno Schmidt.
Auf jeden Fall wirken die Songs von Hendrik Otremba auf Zeitlosigkeit bedacht, ihre Themen sind brutal aktuell und wie Kommentare zum Weltgeschehen. Vermutlich gar nicht intendiert, dafür umso luzider.
Doch „Riskantes Manöver“ ist nicht bloß Mammut-Referenztheater, das den russischen Filmemacher Andrei Tarkowsky genauso streift wie das musikalische Werk der Berliner Noiseband Mutter oder den Größenwahn von Blixa Bargeld. Ja, selbst den großen Schauspieler und Sänger Manfred Krug meint man zwischendurch zu entdecken – auch wenn dieser in der Otremba-Version in einem Alternativ-Universum aufwuchs, in dem es keine DDR gab.
Vor allen Dingen ist dieses Soloalbum ein sinnliches Spiel aus Texturen, die Otremba mit Multi-Instrumentalist Alan Kassab und Kadavar-Schlagzeuger Christoph „Tiger“ Bartelt, einst auch Produzent des Messer-Debütalbums, in Szene setzt. Spätestens jetzt verdrängt Hendrik Otremba auch Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow als ästhetisches Role-Model einer Pop-Linken. Und das ist sicher nicht sein letzter Trick!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!