Professor über Fachkräftezuwanderung: „Verwaltungsabläufe sind nicht klar“
Ausländische Arbeitskräfte sollen leichter nach Deutschland kommen dürfen. Ein Problem bleibe der bürokratische Flaschenhals, sagt Hans Vorländer.
Fast zwei Millionen Arbeitsplätze sind hierzulande nicht besetzt. Viele Firmen und Verwaltungen finden nicht genug neue Leute. Auch deshalb will die Bundesregierung mehr Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten einwandern lassen. Kann der neue Gesetzentwurf dabei helfen?
ist Professor für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden und Vorsitzender des Sachverständigenrates für Integration und Migration.
Er mag in der Tat Erleichterungen bringen. Eine entscheidende Veränderung in diesem Gesetzentwurf zur Fachkräfteeinwanderung ist, dass ein Dogma wegfällt. Ausländische Bewerber müssten ihre heimischen Berufsabschlüsse dann hierzulande nicht mehr als gleichwertig mit deutschen Qualifikationen anerkennen lassen. Künftig kommt es stärker auf die praktische Berufserfahrung an.
Halten Sie es für sinnvoll, die Gleichwertigkeit ausländischer Abschlüsse mit deutschen beiseite zu legen?
Heute ist es sehr umständlich und langwierig, die Zertifikate über die Gleichwertigkeit auszustellen. Das liegt daran, dass sich die Ausbildungssysteme vieler anderer Staaten stark von unseren unterscheiden.
Wird nicht die Qualität der Arbeit leiden, wenn der Standard sinkt?
Nein, nicht unbedingt. Weiterbildung on the job ist dann notwendig. Zudem hat der Arbeitgeber ja selbst ein Interesse daran, bei der Einstellung darauf zu achten, dass die zukünftigen Beschäftigten eine den Anforderungen entsprechende Arbeit leisten können.
Auch Deutschkenntnisse sollen in Zukunft nicht mehr so wichtig sein.
Teilweise können sie beispielsweise durch gute Englischkenntnisse ersetzt werden. Allerdings müssen wir sicherstellen, dass die Einwanderer dann Deutsch lernen, wenn sie hier sind. Dabei geht es nicht nur um die Alltagssprache, sondern auch um die Fachsprache, die sie am Arbeitsplatz brauchen.
Auch der neue Gesetzentwurf verlangt, dass Bewerberinnen und Bewerber in der Regel einen Arbeitsplatz in Deutschland nachweisen müssen, bevor sie einwandern dürfen. Ist diese Hürde nicht zu hoch?
Nein, das halte ich für eine realistische Bedingung. Mit Smartphones und Videocalls können hiesige Arbeitgeber und ausländische Bewerber mittlerweile leicht Kontakt aufnehmen. Vor der Einreise hier einen Arbeitsplatz in Aussicht zu haben, entspricht oft der geübten Praxis. Bund und Länder, deutsche Botschaften und Konsulate, Industrie- und Handelskammern oder auch Unternehmen suchen ja gezielt nach Arbeitskräften. Außerdem sind die Möglichkeiten, zur Suche eines Arbeitsplatzes nach Deutschland zu kommen, 2020 durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz gestärkt worden. Sie werden jetzt noch weiter ausgebaut.
Eine Ausnahme bildet die geplante Chancenkarte mit dem neuen Punktesystem: Unter anderem für ihre Qualifikation, Berufserfahrung und Deutschkenntnisse bekommen die Bewerberinnen und Bewerber Punkte gutgeschrieben. Ab einer bestimmten Anzahl dürfen sie dann auch zur Jobsuche einreisen. Eine gute Sache?
Prinzipiell ist das eine Möglichkeit, die Attraktivität der Arbeitsplatzsuche in Deutschland zu erhöhen. Aber ich fürchte, es ist sehr aufwändig und bildet eventuell einen Flaschenhals. Enormer bürokratischer Mehraufwand könnte den Erfolg verhindern.
Sie kritisieren, dass die Einwanderungsverwaltung wie bisher überfordert und deshalb zu langsam sein werde. Wo liegt das Problem?
Ein Beispiel: Bewerber erhalten drei von sechs nötigen Punkten, wenn sie während der vergangenen sieben Jahre eine mindestens fünfjährige Berufstätigkeit ausgeübt haben. Ein einfacher Lebenslauf wird nicht ausreichen, um das zu belegen. Also müssen die ausländischen Beschäftigten Nachweise über ihre Ausbildung und Berufserfahrung beibringen. Etwa die deutschen Botschaften und Konsulate im Ausland müssen diese Zertifikate überprüfen und nach Deutschland übermitteln. Hierzulande müssen die Ausländerbehörden diese und weitere Informationen in Punkte übersetzen. Die Verwaltungsabläufe dafür sind bisher nicht klar. Es fehlt an Datenverarbeitung und Personal. Die Anerkennung der Gleichwertigkeit von Berufsabschlüssen fällt zwar weg, aber es kommen neue Prüfpflichten hinzu.
Fachleuten zufolge brauchen wir rund 400.000 Zuwanderer pro Jahr, um im kommenden Jahrzehnt unseren Bedarf an Beschäftigten zu decken. Kann das neue Gesetz einen Beitrag leisten?
Das wissen wir heute noch nicht. Daneben wird aber auch an anderen Vorhaben gearbeitet. So wird die sogenannte Westbalkan-Regelung entfristet und erweitert werden. Augenblicklich dürfen 25.000 Arbeitskräfte ohne formale Qualifikation jährlich unter anderem aus Albanien, Bosnien und Serbien nach Deutschland kommen. Eventuell soll das auch auf andere Staaten wie Tunesien analog angewendet werden.
Augenblicklich kommen wieder viele Flüchtlinge übers Mittelmeer. Die EU lässt vor allem Italien und Griechenland mit dem Problem allein. Könnte eine verstärkte Arbeitseinwanderung nach Deutschland den Druck beispielsweise aus Afrika etwas mildern?
Das kann sein, und es ist auch beabsichtigt. Außerdem könnten Migrationsabkommen mit einzelnen Staaten wie Tunesien oder Ghana aus irregulärer Migration reguläre Erwerbseinwanderung machen. Aber das ist ein längerfristiger Prozess.
Bisher gibt es die Zuwanderung aus EU-Staaten, das Asyl für politisch Verfolgte und die Arbeitskräfte-Einwanderung aus Drittstaaten. Wäre es nicht an der Zeit, einen vierten Kanal zu öffnen? Deutschland könnte sagen, wir nehmen jedes Jahr beispielsweise 20.000 Leute aus Mali, 10.000 aus Ghana, 10.000 aus dem Irak, und so weiter. Sie dürften kommen ohne Voraussetzungen.
Das ist eine Idee, wie es sie bei Kontingentierungen oder dem Aufnahmeprogramm aus Afghanistan praktiziert wird. Begründungen für solche Einwanderungen aus humanitären Gründen wären beispielsweise Bürgerkriege oder der Klimawandel. Das kann unter bestimmten Voraussetzungen ausgeweitet werden.
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