Schulden eintreiben bei Otto: Extra kassieren gilt nicht
Bei Inkassoverfahren der Otto-Gruppe sollen fiktive Kosten auf Schuldner:innen abgewälzt worden sein. Klage der Verbraucherzentrale hat Chancen.
Die Verbraucherzentrale hatte bereits 2021 im Namen von fast 700 Verbraucher:innen eine Musterfeststellungsklage gegen die Firma EOS- Investment eingereicht. Dabei handelt es sich um ein Tochterunternehmen des Versandhauskonzerns Otto.
Die EOS-Investment vermittelt zwischen Gläubiger:innen und Inkassounternehmen. Sie kauft Gläubigern ihre Forderungen gegenüber Schuldner:innen ab. EOS-Investment leitet die Forderungen dann an ein Inkassounternehmen weiter. In diesem Fall handelt es sich dabei um eine weitere Otto-Tochter: die EOS-Deutscher Inkasso-Dienst. Diese Otto-Tochter fordert dann das Geld von den Schuldner:innen ein und verlangt dafür eine Inkassogebühr von EOS-Investment.
EOS-Investment zahlt also ihrer eigenen Schwesterfirma eine Gebühr dafür, dass sie Inkasso-Forderungen für sie eintreibt. Diese Gebühr muss letztlich von den eigentlichen Schuldner:innen bezahlt werden – neben dem geschuldeten Betrag und Mahngebühren. Soweit entspricht das dem klassischen Vorgang, wenn Kund:innen Rechnungen nicht begleichen, dadurch zu Schuldner:innen werden und ein Inkasso-Unternehmen beauftragt wird.
Theoretische Schuld
Der Knackpunkt steckt in einem Vertrag zwischen den beiden Schwesterunternehmen. In diesem ist geregelt, was passiert, wenn Schuldner:innen ihre Schulden und damit auch die Inkassogebühr nicht begleichen. Dann würde EOS-Investment theoretisch ihrem Schwester-Unternehmen die Inkassogebühr schulden. Das ist aber nur theoretisch der Fall. Praktisch verfallen die Forderungen nach 30 Jahren, so steht es im Vertrag.
Damit, so hält es das Gericht fest, trägt EOS-Investment zu keinem Zeitpunkt ein Risiko. „Es ist kein Fall denkbar, bei dem der Musterbeklagte (Anm. d. Redaktion: EOS- Investment) auf den Kosten sitzen bleibt“, sagte die Vorsitzende Richterin Stephanie Zöllner. Eine Forderung, die nie bezahlt werden müsse, könne auch nicht eingefordert werden.
Als Gebühren dürften nur tatsächlich entstandene Kosten in Rechnung gestellt werden, sagte Zöllner. Diese vertragliche Regelung wird voraussichtlich zu einer Entscheidung des Gerichts zugunsten der Kläger führen.
Die Klage der Verbraucherzentrale beruft sich außerdem auf ein Gesetz, wonach verbundene Unternehmen keine Rechtskosten untereinander erheben dürfen. Der Vorwurf lautet hierbei, dass beide Schwestern ihren Gewinn an den Otto-Mutterkonzern abführen. Salopp gesagt: Das eingenommene Geld fließt am Ende ohnehin in die Tasche der Otto-Gruppe und trägt somit zu deren milliardenschwerem Umsatz bei. 2021/22 waren das 16,1 Milliarden Euro.
Stephanie Zöllner, Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht
Dem Gericht trug das angeklagte Unternehmen vor, dass die Gewinn-Abführungsverträge irrelevant seien, da beide Unternehmen rechtlich unabhängig voneinander seien. Die Erhebung von Gebühren sei zu dem „marktüblich“ und es dürfe daher nicht dazu kommen, dass manche Schuldner:innen „besser gestellt“ würden.
Das Oberlandesgericht wird am 15. Juni sein Urteil fällen. Eine Entscheidung zugunsten der Verbraucherschützer scheint nach den Ausführungen der Vorsitzenden Richterin wahrscheinlich.
„In erster Linie profitieren an der Klage beteiligte Verbraucher von der Entscheidung des Gerichts“, sagte Patrick Langer von der Verbraucherzentrale nach der Verhandlung. Er sei sehr zufrieden mit deren Verlauf und sehe die Hinweise des Gerichts zugunsten des Verbraucherschutzes als „schöne Bestätigung“. Von dem Urteil erhofft er sich, dass „grundsätzliche Rechtsfragen“ geklärt würden und das es auch auf andere Fälle ausstrahle.
Die angeklagte EOS-Investment wird in den nächsten Wochen zu der Begründung des Gerichts Stellung nehmen. Zufrieden ist sie mit dem absehbaren Urteil nicht: „Wir teilen die Rechtseinschätzung des Gerichts nicht und halten die Klage weiterhin für unbegründet“, teilte Daniel Schenk, Sprecher des Unternehmens mit.
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