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Theaterstück „Portrait Désir“ aus KongoGott ist im Kongo geboren

Das Stück „Portrait Désir“ von Regisseur Dieudonné Niangouna hatte am Frankfurter Mousonturm deutsche Premiere. Eine Nacht voller Geschichten.

Kultur wird im Theaterstück „Portrait Désir“ von Frau zu Frau weiter­gegeben Foto: Christophe Raynaud de Lage

Welcher Rasse gehört Gott an? Welche Hautfarbe hat er? Und ist er überhaupt ein Mann oder nicht vielmehr: eine Göttin? Ein weißer katholischer Geistlicher in brauner Soutane und eine schwarze Frau im schlichten, langen Kleid liefern sich auf der Bühne ein veritables Wortgefecht.

Der Autor und Regisseur Dieu­donné Niangouna hat mit „Portrait Désir“ einen weiteren Abend großer Theatermagie geschaffen. Im November 2022 in Bobigny uraufgeführt, zeigte das Künst­le­r*in­nen­haus Mousonturm in Frankfurt ihn nun als Deutschlandpremiere.

Seit 2014 ist Niangouna mit dem Haus verbunden, ein sprach- und bildgewaltiger Erzähler, der im Kongo geboren wurde, wo er mit seinem Bruder Criss 1997 die Compagnie Les Bruits de la Rue gründete, um sich mit der Gewalt und Wut auf den Straßen der Republik Kongo, mit Bürgerkrieg und Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen.

Heute lebt Niangouna in Brazzaville und Paris, in Frankreich gilt er als einer der wichtigsten Gegenwartsautoren. In seinen schwer übersetzbaren Texten verbindet er französische Hochsprache mit Slang, mit traditionellen Mythen seines Volkes, der Lari, und eigenen Worterfindungen.

In seinem Solo „Le Kung Fu“ erzählte er einst, wie die Kung- Fu-Filme, die er mit seinem Vater schaute, ihn zum Theater, zur Kunst gebracht hätten. Doch auch seine Großmutter Bakouka Louise hat sein Theater beeinflusst. So blättert er ein neues, prägendes Kapitel seines Lebens auf und erzählt die Geschichte seiner Großmutter, einer Heilerin und Geschichtenerzählerin die, wie Niangouna eingangs sagt, stets von 20 Uhr bis 6 Uhr endlose Rätsel, Geschichten und Fragen für ihr Publikum hatte.

Kolonisierung und europäische Mythologie

Eine solche Nacht voller Geschichten ist auch „Portrait Désir“: Es verwebt Biografien historischer Frauenfiguren Westafrikas und den Widerstand gegen Kolonisierung und Sklavenhandel mit europäischer Mythologie und fragt nach der Rolle der Frau in der Geschichte.

Die Kindsmörderin Medea und die Seherin Kassandra treffen auf die westafrikanischen Königinnen Pokou und Nzinga und eben auch auf die Prophetin Kimpa Vita, die in einer fulminanten Szene den Kapuziner (Mathieu Montanier) umtanzt, als wolle sie einen Exorzismus an ihm vornehmen, während sie (­Dariétou Keita) ihm klarzumachen sucht, wie anmaßend es sei, dem Kongo einen weißen, fremden Gott vorsetzen zu wollen: Gott sei vielmehr im Kongo geboren, und sie sei eine Frau!

Kultur wird, heißt es im Stück einmal, von Frau zu Frau weitergegeben. Und so reflektiert „Portrait Désir“ anschaulich die Weitergabe von Wissen und von Lebensperspektive über Generationen hinweg, erzählt aber auch von den Brüchen, die Kolonialisierung und Moderne mit sich brachten.

Kulturelle Konflikte als Machtkämpfe

In einem überwältigenden Solo erzählt Marie Charlotte ­Biais erneut die Geschichte der Medea, schildert Flucht und Brudermord so, als seien sie noch nie erzählt worden. Wer seine Kinder tötet wie Medea, so klingt es hier an, vernichtet seine Zukunft. Wer die Weitergabe von Traditionen verweigert, kann zwar rascher gen Zukunft aufbrechen, lässt jedoch das Wissen der Vorfahren sterben.

Dabei ist Niangouna kein Traditionalist, der allein zurück will zu den Wurzeln. Vielmehr verquickt er kundig historische Stränge und Mythologisches sinnstiftend miteinander und erzählt kulturelle Konflikte vor allem als Machtkämpfe.

Die sechs so unterschiedlichen wie beeindruckenden Per­for­me­r*in­nen wickeln nicht nur historische Personen, Situationen und Mythen aus dem Heute auf, sie begeben sich zudem oft auf die Metaebene.

So streiten sie etwa darüber, ob der „Ananas-Exotismus“ der vorangegangenen Szene interessant und zeitgemäß sei, sie werfen einander Eurozentrismus oder „Afrikanismus bis zum Überdruss“ vor, bezichtigen sich gegenseitig des Öko-Feminismus oder des Chauvinismus und geben so den unterschiedlichen Perspektiven der Spie­le­r*in­nen Raum. Denn, wie es einmal heißt: „Die Zeit hasst das Absolute.“

Und auch wenn an diesem dicht gewebten, pausenlosen vierstündigen Abend (das Publikum kann nach eigenem Wunsch kommen und gehen) so manches in der Verweisdichte und schieren Wortgewalt an einem vorüberrauscht: „Portrait Désir“ ist ein hinreißender Thea­ter­abend, der eine Lust am Zuhören entfesselt, die so groß ist wie seine eigene Lust am Erzählen, der die Komplexität der Gegenwart verblüffend prägnant auf den Punkt bringt und der kongenial und leich­ter Hand, Kontinente und Jahrhunderte überschreitend, Geschichte und Geschichten miteinander verbindet.

Er hätte getrost bis zum Morgengrauen dauern können.

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