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OSZE-Konferenz in WienRussen dürfen in die Hofburg

Russland hat Delegierte auf die Staatenkonferenz der OSZE entsendet. Die Ukraine und Litauen sagen ihre Teilnahme an dem Gipfel deshalb ab.

Demonstrierende vor der Hofburg in Wien: Hier trifft sich die OSZE-Konferenz Foto: Leonhard Foeger/reuters

Wien taz | „Russland ist ein Terrorstaat“, steht auf dem Plakat, das eine Gruppe ukrainischer Demonstrantinnen und Demonstranten am Donnerstagmittag auf dem Wiener Heldenplatz hochhält. „Setzt euch nicht mit Mördern an den Tisch“, protestieren sie in Sprechchören an die Adresse der Delegierten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die zu dem Zeitpunkt gerade in der Hofburg eintreffen.

Das Datum könnte nicht unglücklicher gewählt sein: Ausgerechnet am Donnerstagabend, nur wenige Stunden vor dem Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukrai­ne, tritt in Wien die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu ihrer zweitägigen parlamentarischen Tagung zusammen. Üblicherweise ist das Wintertreffen der 57 Staaten aus Europa, Asien und Nordamerika den Medien nicht mehr als eine Kurz­meldung wert. Diesmal ist das anders, denn die ukrainischen Delegierten wollen nicht mit den Russen an einem Tisch sitzen.

Voll versammelt für den Frieden

UN-Vollversammlung Am Donnerstag sollte in der UN-Vollversammlung in New York eine weitere Resolution zur Ukraine abgestimmt werden. Die ersten drei der insgesamt elf Forderungen unterstreichen die Notwendigkeit, so schnell wie möglich einen umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine zu schaffen. In den weiteren Paragrafen wiederholt die Resolution die Forderung an Russland, sich vom Gebiet der Ukraine in den international anerkannten Grenzen zurück­zuziehen und Angriffe auf zivile Ziele und die kritische Infrastruktur der Ukraine sofort einzustellen.

Globaler Süden Mit Spannung wurde erwartet, welche Unterstützung die von zunächst 57 Staaten, darunter allen Nato-Mitgliedern, eingebrachte Resolution im Globalen Süden erhält. Insbesondere Staaten wie Indien, Südafrika und Brasilien hatten sich in der Vergangenheit mehrfach enthalten. Südafrika führt gleichzeitig dieser Tage ein gemeinsames Seemanöver mit China und Russland durch. Das Abstimmungsergebnis stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.

Provokationen in der Republik Moldau Das russische Verteidigungsministerium hat am Donnerstag vor militärischen Provokationen der Ukraine in der von Moldau abtrünnigen Region Transnistrien gewarnt. Zu diesem Zweck würden Angehörige der ukrainischen Streitkräfte mit Unterstützung des Bataillons Asow russische Uniformen anlegen, heißt es in entsprechenden Erklärungen. Die Regierung Moldaus bestätigte diese Informationen nicht, rief die Bevölkerung jedoch dazu auf, Ruhe zu bewahren. Vor einigen Tagen hatte Moldaus Präsidentin Maia Saunter unter Verweis auf Informationen des ukrainischen Geheimdienstes vor einem von Russland orches­trierten Umsturzversuch in Moldau gewarnt.

Transnistrien Die Region ist das Ergebnis eines Bürgerkriegs zwischen Russen, Ukrainern sowie Moldauern in den 90er Jahren. Das quasi staatliche, von Russland gestützte Gebiet, das der Kontrolle Chișinăus entzogen und international nicht anerkannt ist, grenzt an die Ukraine. Derzeit sind dort rund 1.500 Soldaten stationiert. Unter anderem bewachen sie ein Depot, in dem 20.000 Tonnen Munition noch aus sowjetischer Produk­tion lagern. (bo, pkt)

Anna Paterman, die Wortführerin der Demonstranten, findet das richtig: „Zum Dialog braucht es zwei Parteien. Wenn eine Partei davon einfach machtbesessen ist, egal, was es kostet, dann finde ich, sollte man diese Partei nicht zum Dialog einladen.“

Geht es nach der Ukraine, hätte der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) die Russen, die mit ihrer Aggression gegen die OSZE-Charta verstoßen, ausladen müssen. 81 Abgeordnete aus 20 Ländern hatten bereits Anfang Februar an Österreich appelliert, die Teilnahme der russischen Delegation an der OSZE-Tagung in Wien zu verhindern.

Parlamentarier aus Polen, Litauen, Belgien, Kanada, Tschechien, Dänemark, Estland, Frankreich, Georgien, Deutschland, Island, Lettland, den Niederlanden, Norwegen, Rumänien, der Slowakei, Slowenien, Schweden, der Ukraine und Großbritannien unterzeichneten das Schreiben. Dennoch, beschied der Minister: Durch das Amtssitzabkommen sei Österreich völkerrechtlich verpflichtet, Abgeordneten aus allen Mitgliedsstaaten, eben auch aus Russland, Visa auszustellen. Polen hätte beim jüngsten OSZE-Treffen anders verfahren können, da es eben nicht Sitzstaat ist.

In Wien ist man sich der Peinlichkeit dieser Entscheidung durchaus bewusst. Deswegen wird von Regierungsseite ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Visa einzig zur Teilnahme an der Konferenz und nicht zum Auftritt bei anderen Veranstaltungen berechtigten. Laut Gerüchten will der eine oder andere am Freitag am rechten Akademikerball, der von FPÖ-nahen Burschenschaften ausgerichtet wird, auftauchen. Eingeladen habe sie niemand, beteuern die Veranstalter. Diplomaten bezweifeln, dass dieses Verbot im Fall eines Verstoßes auch exekutiert werden könnte.

Österreichs Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) als Gastgeber des Treffens versäumte es nicht, den Tabubruch des russischen Einmarsches in die Ukraine zu verurteilen. Der Krieg werde aber einmal enden, sagt er, und dann sei Diplomatie gefragt: „Es ist unsere Pflicht, die Tür der Diplomatie nicht zuzuschlagen.“

Moskau macht sich ein Vergnügen daraus, ausgerechnet solche Abgeordnete zu entsenden, die auf der Visa-Sperrliste der EU stehen. Das trifft zumindest auf sechs der neun Delegierten zu. Darunter der Putin-Vertraute Pjotr Tolstoi, ein Urenkel des Schriftstellers Leo Tolstoi, der bei einem Auftritt im russischen Fernsehen die Ukrai­ne „ins 18. Jahrhundert zurückbomben“ wollte; und der Vorsitzende des Außenausschusses in der Duma, Leonid Sluzki, der für die Hinrichtung von Kriegsgefangenen plädiert hat.

Für den ukrainischen Delegationsleiter Mykyta Poturajew ist die Präsenz der Russen unerträglich. Die russischen Abgeordneten würden versuchen, die Veranstaltung „als Propagandashow“ zu verwenden: „Wir haben Würde, Ehre und sind keine Puppen in einer russischen Muppet-Show.“ Die Ukrainer werden, ebenso wie die Delegation aus Litauen, nicht an der Tagung teilnehmen. Andere Delegationen denken daran, durch ukrai­ni­sche Fähnchen Solidarität zu zeigen oder den Saal zu verlassen, wenn russische Abgeordnete Propagandareden halten sollten.

Die Schwedin Margareta Cederfelt, die turnusmäßig den Vorsitz führt, hat den ÖVP-Abgeordneten Reinhold Lopatka zum Sonderbeauftragten der Versammlung für den parlamentarischen Dialog mit der Ukrai­ne ernannt. Journalisten und Journalistinnen sind „aus logistischen und sicherheitstechnischen Gründen“ nicht in der Hofburg zugelassen. Das Treffen wird aber auf Youtube und Facebook übertragen.

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2 Kommentare

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  • Wegbleiben schadet der Ukraine wohl eher selbst.

  • Ich begrüße es, dass Österreich sich an seinen unterschriebenen Vertrag hält, ist ja heutzutage nicht mehr selbstverständlich. Und auch die Kommunikation macht doch deutlich, dass man es nicht gern tut.



    Was die Ukrainer betrifft: andere Ukrainer saßen schon mit Russen am Tisch zwecks beiderseitig lukrativen Getreidelieferungen in den reichen Westen über das schwarze Meer. Und Ukrainer werden hoffentlich alsbald mit Russen an einem Tisch sitzen müssen zwecks Waffenstillstandsabkommen. Emo-Diplomaten braucht kein Land.

    Man hätte aus der Sache keine große Nachricht machen müssen, die Skandalisierung bringt lediglich Österreich als OSZE-Sitz in Peinlichkeiten, nicht aber Russland.