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Studie über Hamburger Handelskammer„Wichtige Akteurin des NS-Staats“

Die Hamburger Handelskammer hat sich mit dem System des Nationalsozialismus arrangiert. Eine von der Kammer finanzierte Studie liefert dazu Kontext.

Hamburgs Traditionswerft Blohm & Voss, hier der Stapellauf des Schlachtschiffs „Bismarck“ 1939 Foto: Foto: Blohm & Voss/dpa
Interview von Petra Schellen

taz: Frau Kemper, wieso waren Hamburgs Kaufleute so erpicht darauf, dass Hitlers NSDAP 1933 an die Macht kam?

Claudia Kemper: Von allen Optionen, die damals zur Verfügung standen, war Hitler aus Sicht vieler Unternehmer die realistischste, um zu bekommen, was man brauchte: Stabilität. Vor allem die Außenhandelskaufleute wünschten sich ein außenpolitisch stark auftretendes Deutschland, um ihren Südamerika- und Afrika-Handel betreiben zu können. Denn die Jahre seit der Weltwirtschaftskrise 1929 waren für viele Unternehmen ein Drahtseilakt gewesen.

Inwiefern?

Der Erste Weltkrieg war erst zehn Jahre vorbei und hatte Substanz gekostet. Dann folgte die Weltwirtschaftskrise. Hamburg war im Jahr 1931 fast bankrott, hatte immense Arbeitslosenquoten. Industrie und Handel wollten jetzt eine politische Führung, die ihnen einerseits freie Hand ließ und andererseits für stabile Verhältnisse sorgte. Die Alternative zur NSDAP – die wirtschaftspolitisch erfahrenere Deutschnationale Volkspartei (DNVP) – konnte nicht so gut punkten, weil sie nicht für frischen Wind stand und nicht so autoritär auftrat. Man traute ihr nicht zu, durchzugreifen und die Krise schnell zu beenden. Die ­NSDAP-Leute dagegen galten als „junge Wilde“ – wirtschaftspolitisch nicht so erfahren, aber durchsetzungsfähig.

Kannten die Kaufleute das Parteiprogramm der NSDAP nicht?

Doch. Es war von Anfang an klar, welche politische Linie man damit unterstützte und dass die NSDAP keine demokratische Partei war, sondern die Demokratie abschaffen wollte. Das wussten die Kaufmannschaft und ihre Interessenvertretung, die Handelskammer, sehr genau.

Woher rührte das Misstrauen gegenüber der Demokratie?

privat
Im Interview: ​ Claudia Kemper ​

49, ist Dozentin am LWL-(Landschaftsverband-Westfalen-Lippe-)Institut für westfälische Regionalgeschichte in Münster. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte.

Die Weltwirtschaftskrise war während der demokratischen Phase – der Weimarer Republik – entstanden, und man glaubte nicht, dass eine nächste demokratische Regierung die wirtschaftspolitisch richtigen Weichen stellen würde. Zumal 1931/32 planwirtschaftliche Ideen etwa der SPD kursierten, nach denen die Wirtschaft zentral stark gesteuert werden sollte. Das wollte die Unternehmerschaft auf keinen Fall. Die NSDAP dagegen versprach, das Privateigentum von Unternehmern nicht infrage zu stellen. Tatsächlich machte das NS-Regime im Laufe der Zeit zahlreiche Vorgaben, aber das Eigentum von Unternehmen wurde nicht angetastet.

Wie stark hat die Handelskammer das NS-Regime nach der Machtübergabe unterstützt?

Um das zu verstehen, muss man wissen, dass alle Handelskammern eine Doppelfunktion haben: Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, die Staatsaufgaben übernehmen – und zugleich Interessenvertretungen der Kaufleute. Auch in der NS-Zeit waren die Kammern daher Teil des Systems. Zugleich hat speziell die Hamburger Handelskammer schon vor der Machtübergabe an die NSDAP massive Lobbypolitik betrieben. Oberstes Ziel war, den Standort Hamburg innerhalb des neuen Systems so gut wie möglich zu bedienen, ihm Vorteile zu verschaffen und die Vormachtstellung des Hafens gegenüber anderen Städten zu sichern. Man hat alles dafür getan, dass Handelsrouten – etwa von Rohstoffen für die Rüstung – immer auch über Hamburg liefen.

Wie antisemitisch agierte die Handelskammer?

Auch da war man sehr aktiv. Gleich 1933 hat man die jüdischen Mitglieder aus dem Amt gedrängt. Ab 1936 radikalisierte sich die antijüdische Politik, und die Handelskammer wirkte daran mit, jüdische Unternehmen zu erfassen, um zu „begutachten“, welche „arisiert“, also zwangsweise verkauft werden sollten. Dabei war nicht klar definiert, woran man ein „jüdisches Unternehmen“ erkannte: am Namen? An der Anzahl jüdischer Kapitalgeber?

Es gab also Handlungsspielräume.

Ja. Dabei muss man unterscheiden zwischen Haupt- und Ehrenamt in der Kammer. Hauptamtliche waren fest angestellte, oft junge NS-Funktionäre in der Verwaltung. Ehrenämter bekleideten gestandene Kaufleute. Besagte Listen jüdischer Unternehmen wurden von Hauptamtlichen erstellt. Mit großer ­Akribie und besonderem, nicht zwingend nötigem Eifer gingen sie daran, jüdische Unternehmen zu erfassen, die aus dem Geschäft gedrängt werden sollten. Dabei waren es oft Kleinigkeiten, mit denen das System am Laufen gehalten wurde: Es konnte vorkommen, dass einem Kaufmann die Anmietung eines Hafenschuppens verwehrt wurde – nur weil ein subalterner Handelskammer-Mitarbeiter auf den Antrag geschrieben hatte, dass der Antragsteller Jude sei.

Die Studie

„Handlungsspielräume und Verantwortlichkeiten der Handelskammer Hamburg während der NS-Zeit“ von Claudia Kemper (historische Einordnung) und Hannah Rentschler (Biografien). Metropol-Verlag 2023.

Wie stark hat die Handelskammer an ihrer eigenen Gleichschaltung mitgewirkt?

Einerseits wurden neue Plenumsmitglieder von der Hamburger ­NSDAP – vor allen vom Gauleiter Karl Kaufmann – ausgesucht. Gleich 1933 wurden auch fünf „Staatskommissare“ in die Kammer entsandt, um für deren Gleichschaltung zu sorgen. Auch sie waren Unternehmer, standen der Partei aber besonders nahe, wie etwa der spätere Präses der Handelskammer, Joachim de la Camp, der die Gleichschaltung der Industrieabteilung organisieren sollte.

Dabei widersprach die NS-Politik – Autarkie und exzessiver Import rüstungsrelevanter Rohstoffe – explizit den Interessen der Außenhandelskaufleute.

Industrie- bzw. Rüstungsproduktion hatte Priorität, und darunter litt der komplette Handel. Handel diente im NS-Regime vor allem dazu, Devisen für die Finanzierung besagter Rohstoffe zu liefern. Exportiert werden durfte nur, wenn im Gegenwert importiert wurde.

Was letztlich ein Wirtschaften „auf Pump“ bedeutete.

Ja. Aber es findet sich kein Hinweis darauf, dass die Kaufmannschaft das angeprangert hätte. Die Handelskammer hat zwar die Regularien und die schleppende Bürokratie kritisiert, aber nie die Grundidee dieser Politik.

Aber die Kaufleute müssen doch gewusst haben, dass das „Fahren auf Sicht“ dem Handel massiv schadete.

Sicherlich, aber dann kam die politische Dimension dazu. Und die lautete: „Wir werden einen kurzen Krieg führen, und dann werden wir in einer NS-Diktatur leben und lukrative Gebiete in Europa besetzt haben, mit denen wir vorteilhafte Handelsbeziehungen führen.“ Bis zum Ende des Frankreich-Feldzugs 1940 hat die Unternehmerschaft das geglaubt.

Und wie sprach die Hamburger Handelskammer nach 1945 über ihre Rolle im NS-Staat?

Die Lesart war: „Wir sind eine Verwaltungseinheit. Wir mussten Probleme bewältigen. Wir treffen keine politischen Entscheidungen, sondern müssen immer mit dem politischen System zusammenarbeiten, das gerade da ist.“ Entsprechend selbstbewusst erklärte man, dass man auch nach 1945 für die Wirtschaftsinteressen zuständig sei. Und was die NS-Belastung der Mitglieder angeht, gingen diejenigen, die es betraf – es waren in der Regel wohlhabende, gut vernetzte Leute – entlastet aus der Entnazifizierung hervor.

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