Journalist über Arbeit im Ukrainekrieg: „Die Spontaneität ist ein Problem“
Denis Trubetskoy arbeitet in Kyiw als selbstständiger Journalist – teils ohne Strom und Internet. Ein Gespräch über den Krieg und die Medien.
taz: Herr Trubetskoy, sind Sie noch derselbe Journalist wie vor dem 24. Februar 2022?
Denis Trubetskoy ist freier Journalist und lebt in Kyiw. Seit 2014 schreibt er für deutsche Medien, unter anderem den MDR und Zeit Online über Politik und Gesellschaft aus der Ukraine.
Denis Trubetskoy: Definitiv nicht. Ich bin auch ein anderer Mensch. Nach dem ersten Schock brauchte ich drei, vier Wochen, bis ich wieder arbeiten konnte. In den Jahren zuvor war ich in einer komfortablen Position, weil ich nicht auf politische Interessen unterschiedlicher Medienbesitzer in der Ukraine achten musste. Ich konnte stattdessen wie ein Auslandsjournalist, der nach Kyjiw entsandt wird, für deutsche Medien arbeiten. Für die Berichterstattung über einen Krieg gegen das eigene Land wurde ich aber nicht ausgebildet.
Was ist die größte Herausforderung?
Ich befinde mich in einem ständigen Balanceakt zwischen dem Anspruch, faktenorientierten Journalismus zu machen, und meiner persönlichen Betroffenheit. Ich würde lügen, wenn ich so tun würde, als hätte ich kein Interesse daran, dass mein Land diesen Angriffskrieg erfolgreich abwehrt.
Unter welchen Bedingungen arbeiten Sie in Kyjiw?
Ich habe sechs Stunden Strom zu Hause, dann drei Stunden keinen. Kritisch kann es in den Tagen unmittelbar nach einem Angriff auf die Energieinfrastruktur werden. In der Gegend rund um das Regierungsviertel gibt es dann Strom, aber oft kein Wasser. Man kann dort also in einem Café arbeiten, aber nicht die Toilette benutzen. Die absolute Spontaneität ist für mich das größte Problem. Nichts lässt sich planen, weil es plötzlich keinen Handyempfang gibt oder eine Katastrophe passiert. Als ganze Stadtteile ohne Strom waren, pendelte ich zwischen den Bezirken, die noch welchen hatten. Das kostet Kraft. Wenn man in diesem Zustand eine Woche lebt, verkraftet man das. Aber wenn das mehrere Monate andauert, wird es schwierig.
Als am 14. Januar russische Raketen ein Wohnhaus in Dnipro zerstörten und 45 Menschen dabei getötet wurden, schrieben Sie auf Twitter, dass sie als Journalist bemüht sind, nicht zu emotional zu klingen, aber auch nur ein Mensch seien. Wie gehen Sie mit Ihren Emotionen um?
Wann man sieht, was in Dnipro passierte oder auch in Krementschuk, wo russische Raketen im letzten Sommer ein Einkaufszentrum getroffen haben, dann versteht man, wie das Böse funktioniert. Es war wohl nicht das Ziel der Russen, dieses Gebäude zu treffen, aber sie wussten, dass sie mit ungenauen Raketen auf Großstädte schießen. Da wird bewusst in Kauf genommen, dass Zivilisten sterben. Durch solche Gefühle kämpfe ich mich durch. Das andere ist der berufliche Druck. Mir fällt es schwer, damit umzugehen. Redaktionen haben Erwartungen an mich, beispielsweise Abgabetermine – und das ist ihr gutes Recht. Es gibt Wochen, in denen es mir besser geht. Und andere, in denen geht es mir schlechter. Diese Woche gehört zu Letzteren.
Wieso?
Ich bin müde, auch weil so viel los ist um den 24. Februar. Mich begleitet das Gefühl, keine Pause machen zu dürfen. Ich glaube, so geht es vielen Ukrainern. Manchmal sage ich zu mir: Mensch, Denis, du kannst auch mal eine Serie gucken. Macht man das nicht, fühlt man sich irgendwann leer. Macht man es aber doch, fühlt man sich wiederum schuldig. All das ist nicht wirklich gesund. Die bittere Wahrheit ist: Es gibt gerade Wichtigeres, als Pause zu machen. Der Gegner, Russland, macht auch keine Pause.
Die deutsche Debatte über den russischen Angriffskrieg konzentriert sich auf die Frage nach Waffenlieferungen. Wie blicken Sie als Ukrainer darauf?
Was mich dabei aufregt, ist beispielsweise die Frage, ob Deutschland Kriegspartei ist. Völkerrechtlich ist doch klar, dass Deutschland keine Kriegspartei ist. Will man das aber aus Putins Perspektive beantworten, dann ist der Westen sowieso seit Tag eins Kriegspartei. In Deutschland verliert man schnell den Blick fürs Wesentliche und redet lieber weiter über Dinge, die längst geklärt sind.
Korruption in der Ukraine, auch ein Lieblingsthema der Deutschen.
Erst letztens habe ich eine Anfrage dazu bekommen. Am Telefon wurde mir gesagt, man wolle darüber reden, wie Korruption in der Ukraine funktioniert, ob da Briefumschläge mit Geld im Spiel sind. Da habe ich mir gedacht: Leute, braucht ihr mich wirklich dafür? Es kann sich doch jeder vorstellen, wie so etwas funktioniert. Oft wird so getan, als gebe es in Deutschland keine Korruption. Aber ihr müsst schon hinschauen, was in eurem eigenen Laden passiert: sei es die Maskenaffäre oder der Korruptionsfall einer Klimastiftung in Mecklenburg-Vorpommern. In Sachen Korruption steht Deutschland natürlich deutlich besser da als die Ukraine. Die Anstrengungen, die die Ukraine unternimmt, um gegen Korruption vorzugehen, tauchen aber in der deutschen Berichterstattung kaum auf.
Im Herbst 2013 war in Kyjiw kein einziger entsandter festangestellter Korrespondent eines deutschen Mediums dauerhaft präsent. Die Maidanrevolution und die Krimannexion 2014 legten offen, dass es kaum Ukraine-Expertise in deutschen Redaktionen gab. Haben die Redaktionen dazugelernt?
Jein. Viele Redaktionen haben damals nicht begriffen, welche historische Bedeutung die Annexion der Krim hatte. 2014 war der eigentliche Beginn der Zeitenwende, nicht 2022. Die Frage ist, ob den deutschen Redaktionen wie auch der deutschen Gesellschaft heute bewusst ist, dass die Ukraine nach dem Ende des Krieges eine vermutlich nicht allzu kleine Rolle in Europa spielen wird. Ich habe da Zweifel. Im Vergleich zu 2014 ist die Lage besser. Es werden Büros in Kyjiw eröffnet, Medienhäuser wie die ARD planen, langfristig in der Ukraine präsent zu sein. Das ist gut. Eine Schwierigkeit bleibt, dass für die meisten Leser Putin am interessantesten ist. Eine Schlagzeile mit Putin klickt sich garantiert besser als jeder sachliche Artikel über die Ukraine.
Ein demokratischer Staat, der militärisch angegriffen wird, gerät unter Druck: Auf der einen Seite steht das Bedürfnis nach öffentlicher Debatte über Entscheidungen. Auf der anderen Seite lebt militärisches Handeln oft von Geheimhaltung. Wie ist die ukrainische Medienlandschaft damit umgegangen?
Ich glaube, jeder Journalist in der Ukraine denkt darüber nach, ob das, was man veröffentlicht, dem Land schadet oder nicht. Es gibt Regeln, an die man sich als Journalist halten muss: Man darf die Truppenbewegung der ukrainischen Streitkräfte nicht filmen oder Folgen des Beschusses unmittelbar danach nicht zeigen, damit der Gegner keinen Vorteil daraus ziehen kann. Seriöse ukrainische Medien, das sind meist Onlinemedien, veröffentlichen weiterhin Geschichten über innenpolitische Intrigen, über Korruptionsfälle, wie zu Vorkriegszeiten. Ende Januar gab es eine Recherche darüber, dass das ukrainische Verteidigungsministerium vermutlich Lebensmittel für Soldaten im Hinterland zu Preisen über dem Marktwert einkauft. Darüber wird dann auch gesellschaftlich diskutiert. Hand aufs Herz: Am 24. Februar des letzten Jahres habe ich gedacht, das war’s für eine Weile mit Meinungsfreiheit und freier Berichterstattung in diesem Land.
Was haben Sie befürchtet?
Ich dachte, es gibt die totale Zensur. Zwar nicht so wie in Russland. Aber ich ging davon aus, dass zum Beispiel halbwegs objektive Berichterstattung von der Front nicht möglich sein wird. Das ist nicht passiert. Die Regierung betreibt klar PR, aber keine Propaganda. Die meisten Medien können kritischen Journalismus machen. Da unterscheidet sich die Ukraine kolossal von Russland.
Waren Medienschaffende in der Ukraine auf den russischen Überfall vorbereitet?
Es ist unmöglich, sich auf so etwas vorzubereiten, vor allem mental. Viele hatten falsche Hoffnungen, wie auch ich. Wir hofften, es würde doch nicht zum großen Krieg kommen. 2014 war niemand vorbereitet. Da haben Journalisten von einem Tag auf den anderen lernen müssen, wie sie aus einem Krieg berichten. Kaum jemand hatte damals ein Sicherheitstraining absolviert. Die Erfahrungen, die zwischen 2014 und dem 24. Februar 2022 gesammelt wurden, haben enorm geholfen.
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