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Die VerständnisfrageEs hat sich ausgedoktort!

Warum werden Doktortitel hoch angesehen, fragt eine Zehntklässlerin. Weil viel Fleiß in einer Doktorarbeit steckt, antwortet ein Karriereberater.

Sie hat wohl nicht ganz durchgehalten für den Doktortitel Foto: Stefan Boness/ipon

In der Verständnisfrage geht es jede Woche um eine Gruppe, für deren Verhalten der Fragesteller_in das Verständnis fehlt. Wir suchen eine Person, die antwortet.

Maya, 15, Zehntklässlerin aus Hamburg, fragt:

Liebe Erwachsene, warum werden Menschen mit Doktortitel höher angesehen?

***

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Jens Hohensee, 59, Karriereberater, antwortet:

Wer eine Doktorarbeit geschrieben hat, hat vor allem eines bewiesen: Durchhaltevermögen. Je nach Fachgebiet kann das nämlich mehrere Jahre dauern. Man muss bereit sein, sich dafür die Zeit zu nehmen und finanziell zurückzustecken. Während ich meine Doktorarbeit geschrieben habe, gab es definitiv auch trübe Tage, an denen ich am liebsten einfach aufgegeben hätte. Als ich es dann geschafft hatte, war ich sehr stolz. Und deshalb habe ich heute – wie vermutlich andere Akademiker und Akademikerinnen auch – Respekt vor jedem, der sich durch diese Zeit gequält und es geschafft hat.

Ich hatte schon damals die Wahrnehmung, dass es ein Privileg ist, eine Doktorarbeit zu schreiben. Nicht jeder hat den gleichen Zugang zu Bildung oder kann es sich leisten, zum Schreiben der Doktorarbeit eine Auszeit zu nehmen. Grundsätzlich finde ich es auch nicht fair, wenn Menschen mit Doktortitel von Beginn an ein höheres Einstiegsgehalt bekommen.

Vor rund zehn Jahren war es noch Standard, dass sie ein bis zu 15 Prozent höheres Gehalt bekommen haben. In manchen Fällen mag es gerechtfertigt sein, wenn beispielsweise die Doktorarbeit so viel mit der neuen Stelle zu tun hat, dass sie tatsächlich einen besseren Einstieg in den Job ermöglicht. Aber pauschal nur aufgrund des Doktortitels mehr Gehalt zu bekommen, halte ich nicht für angemessen.

Ganz generell verliert die Anerkennung für akademische Abschlüsse meines Erachtens zunehmend an Wert, wenn immer mehr Menschen studieren. Doktortitel betrifft das hier noch nicht ganz so stark. Das mag aber auch eine deutsche Besonderheit sein. Zum Vergleich: Der PhD, das angloamerikanische Pendant zum Doktor­titel, taucht im Namen nicht auf. In Deutschland kann man sich dagegen seinen Doktortitel sogar in den Personalausweis eintragen lassen. Auch das könnte ein Grund sein, warum der Titel noch immer so eine große Wertschätzung erhält.

Es dreht sich nicht mehr alles um den Abschluss

Ich arbeite als Leiter Karriere Services bei einem Beratungsunternehmen und betreue mit meinem Team ausscheidende Kolleginnen und Kollegen und unsere Ehemaligen bei der beruflichen Neuorientierung. Der Arbeitsmarkt wandelt sich rasant. Das liegt zum einen am demografischen Wandel. Wir erleben aktuell nicht nur einen Fachkräfte-, sondern auch einen Führungskräftemangel. In den Chefetagen findet ein Generationenwechsel statt und viele Stellen müssen neu besetzt werden. Unternehmen können daher nicht mehr so wählerisch sein wie früher.

Es geht nicht mehr nur darum, welche Abschlüsse ein Mensch hat, sondern auch, was sich links und rechts seines Berufsweges abgespielt hat. Hat sich die Person vielleicht politisch, sozial oder wohltätig engagiert? Solche Dinge werden wichtiger. Und das ist auch gut so, weil dadurch auch Menschen mit bewegteren Lebenswegen berücksichtigt werden können: Menschen, die sich Auszeiten genommen haben oder die beispielsweise von Großunternehmen in Start-ups gewechselt sind, bringen ganz andere, aber nicht weniger bereichernde Fähigkeiten in ihre Jobs mit.

Häh? Haben Sie manchmal auch diese Momente, wo Sie sich fragen: Warum, um alles in der Welt, sind andere Leute so? Wir helfen bei der Antwort. Wenn Sie eine Gruppe Menschen besser verstehen wollen, dann schicken Sie Ihre Frage an verstaendnis@taz.de.

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20 Kommentare

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  • Schon irgendwie lustig, letztlich aber vor allem traurig, dass man einen KARRIEREberater [sic] erläutern lässt, warum Menschen mit Dr.-Titel [vermeintlich] höher angesehen werden als andere, und nicht jemanden aus der Wissenschaft.



    Ist doch klar, dass der dann auch primär den Karrierenutzen des Dr. in den Fokus stellt. Was mir auch in den bisherigen Kommentaren fehlt:



    1) Für viele Berufe ist ein Dr. schlicht Zugangsvoraussetzung zur Karriere. Komisch, dass ein Karriereberater das gar nicht erwähnt.



    2) Es stimmt, in unterschiedlichen Fächern/Disziplien leisten Dres oft sehr unterschiedliches. Was sie leisten, lässt sich, außer wenn Bedingung 1) hinzukommt, aber nie über nur einen Kamm scheren.



    3) Ich stimme der Sicht von "Emsch" und den Kommentaren darunter zu. Wer es nötig hat oder darauf besteht, sich mit Dr. anreden zu lassen, hat den Dr. in der Regel aus den falschen Gründen gemacht.



    4) Zumindest wenn man positiv gewendet unterstellt, dass die meisten Dres ihren Titel nicht aus den unter 3) geschilderten Motiven gemacht haben, und das meine ich in bewusstem Gegensatz zu "erworben", dann hat der Karriereberater zumindest damit recht: Die meisten (!) Dres haben für ihren Dr in der Tat einiges geleistet. Und das anzuerkennen schadet nicht.

  • Es gibt noch einen weiteren wichtigen Punkt, der in Deutschland leicht vergessen wird:



    Wenn jemand betrügt - und das ist ja leider gerade unter denen weit verbreitet, die dann unsere Vertreter sein wollen - dann muss die Doktor-Arbeit rigeros aberkannt werden.



    Der BEI WEITEM leichteste Teil einer Doktorarbeit besteht darin, die Regeln einzuhalten. Wer noch nicht mal das auf die Reihe bekommt ... warum sollte irgendjemand die Arbeit überhaupt lesen? Setzen, sechs.

    Eine kleine Analogie:



    Man stelle sich nur mal vor, dass manche Fußballer Tore mit der Hand machen dürfen, und zwar je bekannter sie sind, desto eher lässt man es durchgehen. Als Entschuldigung ist dann auch noch "Was, echt? Das wusste ich nicht." erlaubt. Absurd.

    Regeln funktionieren nur, wenn sie auch angewendet werden. Es ist ein Trauerspiel.

    • @largemlargem:

      "Es gibt noch einen weiteren wichtigen Punkt, der in Deutschland leicht vergessen wird:

      Wenn jemand betrügt... "



      Ich habe eher das Gefühl, dass das gerade in Deutschland nicht vergessen wird. Eher im Gegenteil, Deutschland hat sich doch in den letzten Jahren zur Vorzeigenation im Aberkennen von falschen Doktortiteln gemausert.

    • @largemlargem:

      Tatsächlich glaube ich dass umso bekannter der Mensch ist umso wahrscheinlicher ist es das der Betrug aufliegt. Da die Gefahr steigt dass tatsächlich jemand die Doktorarbeit liest.

  • Muss ich Ihnen leider widersprechen. Beider meiner Eltern sind Physiker, zu deren Höherqualifikation die Promotion diente. Ähnlich ist es in den anderen Naturwissenschaften bzw. in der Medizin. Ich spreche allerdings auch von Promotionen, die nicht à la Giffey gestaltet sind.

  • Was in der Erklärung völlig zu kurz kommt, ist, dass eine Doktorarbeit eine wissenschaftliche Arbeit ist, die im Idealfall neue wissenschaftliche Erkenntnisse bringt. Man promoviert nicht, um nachher Dr. Zu heißen, sondern weil man sich intensiv mit einem wissenschaftlichen Thema auseinandersetzen möchte. Dies begründet auch die ggf. Höhere Gehaltseinstufung.



    Und wer das nicht im Berufsalltag durch korrekte Ansprache anerkennt, hat vermutlich selbst nicht so viel erreicht, wie er wollte.....

    • @Emsch:

      Das mit der wissenschaftlichen Arbeit stimmt bei den allermeisten "Dr. med." ja schonmal nur bedingt. Kurioserweise ist allerdings unter Medizinern der Titel am wichtigsten. Deshalb ist das einzige Dokument, in der ich meinen "Dr." angegeben habe auch die Krankenkassenkarte.

      Im Berufsalltag nutzt in meinem Umfeld niemand die (reichlich vorhandenen) Titel, und das würde auch überhaupt nicht zur Atmosphäre in meinem Job passen.

    • @Emsch:

      Genauso sehe ich das auch.

    • @Emsch:

      Wer's nötig hat, auf egal welche Titel zu bestehen, die wie auch immer, durch welche (/llu.a. genetisch gegebenen Chancen, wie den IQ, erlangt wurden, ist für mich ein uninteressanter, eitler Mensch, so dass ich den freiwillig ohnehin kein zweites Mal anspreche....



      Ein bemühter, toleranter Mensch mit geistiger Behinderung und ohne derartige Befindlichkeiten ist für mich eine wesentlich interessantere Persönlichkeit, vor der ich schon wegen der nicht vorhandenen Befindlichkeiten größeren Respekt habe als von Herrn/Frau Für-das-"Doktor"-muss-schon-Zeit-sein.



      So ist das in meiner Welt, ich habe auch studiert und festgestellt, die Häufung eingebildeter Gockel unter den Akademikern ist schon bemerkenswert.

      • @Eva Kern:

        Mangelnder Respekt vor der Leistung anderer ist in der Regel ein Zeichen von Neid.



        Sue lassen also z.B. bei ihren promovierten Ärzten die Ansprache "Dr." grundsätzlich weg?

      • @Eva Kern:

        Es kommt darauf an, was Sie studiert haben. In meinem Beruf gibt es keine Anhäufung eingebildeter Gockel, auch meine Eltern - beide Physiker - sind ganz weit davon entfernt, etwas gockelhaftes zu haben. Wenn natürlich jemand nach gefühlt 100 Semestern, Sozialpädagogik bzw. Politikwissenschaften mit ach und krach beendet hat, kann das schon mal passieren.

  • "Weil viel Fleiß in einer Doktorarbeit steckt, antwortet ein Karriereberater."

    Diesen Karriereberater würde ich meiden weil er z.B. offensichtlich nicht verstanden hat was eine Doktorarbeit ist. Eine Doktorarbeit soll bzw muss einen neuen Beitrag zum Wissen der Menscheit liefern den es vorher nicht gab. Das kann eine Menge Fleißarbeit bedeuten, braucht aber auch eine Inspiration und etwas ganz neues, Wichtig ist die Innovation, dann das Durchaltevermögen der Doktoranden UND der Fleiß.

    • @Gerald Müller:

      "Eine Doktorarbeit soll bzw muss einen neuen Beitrag zum Wissen der Menscheit liefern den es vorher nicht gab."

      Das kann so nicht stimmen.



      Die mit Abstand meisten Doktortitel werden an Humanmediziner für ihre Doktorarbeiten verliehen.



      Das sind jährlich Tausende, und ich bezweifle, daß es im Bereich der Humanmedizin so viele neue Erkenntnisse geben kann.



      Der menschliche Körper ist zu Gänze erforscht, und so viele neue Heilmittel kann es auch nicht geben.

      Das ist wirklich nur eine Fließarbeit, wobei der Umfang solcher Arbeiten gerade bei den Ärzten überschaubar ist. 50-100 Seiten gingen anderswo noch nicht mal als Bachelorarbeit durch.



      Bei den Juristen ist es ähnlich.



      Die schreiben zwar deutlich mehr, aber neue Erkenntnisse gibt es auch keine.

      • @Don Geraldo:

        Der menschliche Körper ist weit entfernt von zu Gänze erforscht. Dennoch haben Sie damit Recht, dass medizinische Doktorarbeiten in der Regel sehr wenig neue Erkenntnisse bringen, und eher mit Masterarbeiten aus naturwissenschaftlichen Fächern vergleichbar sind.

      • @Don Geraldo:

        Auch kleine wissenschaftliche Erkenntnisse können der Anfang zu großen Fortschritten sein!



        Glauben Sie wirklich, dass es in der Medizin keine Fortschritte mehr geben kann?

  • 0G
    04405 (Profil gelöscht)

    Die Titelhuberei und den deutschen Sonderweg, den Dr. in alle Dokumente eintragen zu lassen, sollte umgehend abgeschafft werden.

    Was aber noch zu ergänzen wäre: Man lernt einiges dazu bei der Promotion, nicht nur unmittelbar rund um das Thema herum. Wenn ich von mir selbst ausgehe: Präsentieren und komplexe Themen verständlich aufbereiten. Geisteswissenschaftlern z.B. sagt man nach, dass sie während der Promotion erst richtig schreiben lernen.

    Also: Alte Zöpfe abschneiden und den Dr. als das auffassen, was er eigentlich ist: Eine Zusatzausbildung. Dann ist auch klar, warum man bei bestimmten Berufen als höher qualifiziert angesehen wird. Wer würde nicht gerne eine*n Industriemeister* als Werkstattleiter* einstellen?

  • Es geht nicht ausschliesslich um Doktorarbeiten, sondern um eine tiefgreifende Ausbildung/Studium, um tatsächlich in einer Materie etwas schaffen und arbeiten zu können. Leider wird jetzt immer mehr vermittelt, dass alle alles machen können. Dem ist nicht so. Ein Laie kann eben keine Operationen wie ein Arzt durchführen .... das ist natürlich ein Extrembeispiel, das jedoch mit Abstufungen für viele Bereiche gilt. Eine Person, die eine Doktorarbeit geschrieben hat, kennt sich eben in einem ganz bestimmten Bereich sehr gut aus und ist dort ein Fachmann/-frau. Das wird allzu oft vergessen.

    • @Leningrad:

      Das ist ein Denkfehler. Ein Dr. -Titel hat mit beruflicher Höherqualifikation nix zu tun. Die Promotion ist nichts anderes als eine mehr oder wenig wissenschaftliche" Fleissarbeit" zusätzlich zur beruflichen Ausbildung.

      • 0G
        04405 (Profil gelöscht)
        @PinoGrigio CinCin:

        ganz im Gegenteil: Bei Fachrichtungen wie allgemeine Ingenieurswissenschaften, Chemie, Biologie ist die Promotion eine berufliche Fortbildung und Zusatzqualifikation.

        Ausgerechnet bei den beiden Fachrichtungen, die besonders auf ihren Titeln rumreiten - Medizin und Jura - trifft das genau nicht zu. Das ist aber die krasse Ausnahme. Leider hat sich dadurch der Eindruck festgesetzt, die Promotion wäre die reinste Eitelkeit ohne jede fachliche Relevanz.

      • @PinoGrigio CinCin:

        Frag mal einen Mathematiker, der wird Dich rügen für eine derart undifferenzierte Meinungsäußerung.



        Mag zwar oft stimmen, aber es gibt auch harte Wissenschaften. Da kann man ohne echte neue Erkenntnisse noch nicht mal an die Tür klopfen.