Nancy Faeser beim Hessengipfel der SPD: Von Kampfliedern und Ritterrüstungen
Nach 24 Jahren CDU-Herrschaft will Faeser die hessischen Sozis an die Macht bringen. Beim Parteigipfel gab sie sich siegessicher.
Nach 24 Jahren auf den harten Oppositionsbänken des Landtags soll „Nancy“ die CDU aus der Staatskanzlei am Wiesbadener Kochplatz vertreiben. Mit stehenden Ovationen, Blumensträußen und Umarmungen dankten Delegierte aus dem ganzen Bundesland Faeser für die Bereitschaft, auch künftig als Bundesinnenministerin auf der Berliner Bühne Flagge zu zeigen – und gleichzeitig in Hessen für einen Neuanfang zu kämpfen.
Noch vor ihrem Aufbruch in die hessische Provinz hatte sich Faeser in Berlin am Nachmittag erklärt. Dass sie antreten würde, kam nicht überraschend. Die euphorische Stimmung, mit der der traditionell durch Flügelkämpfe geschwächte Landesverband diese Bewerbung aufnahm, hingegen schon. Beim Absacker in der Bar intonierte denn auch der harte Kern der Delegierten noch Stunden nach dem Sitzungsmarathon textsicher Kampflieder der Arbeiterbewegung.
Die künftige Doppelrolle einer wahlkämpfenden Ministerin, die KritikerInnen von CDU, AfD und Ampelkoalition problematisiert hatten, sehen ihre GenossInnen als Chance. „Die Kritik zeigt: Auch die politische Konkurrenz nimmt Nancys Kandidatur in Hessen ernst“, so der Tenor der nächtlichen Sause.
Altbekanntes im Rittersaal
Im „Rittersaal“ des landgräflichen Schlosses hatte Faeser zuvor wiederholt, was sie bereits in Berlin erklärt hatte. „Nach 25 Jahren CDU braucht Hessen frischen Wind. Hier anzutreten ist mir Herzenssache!“ Als Themen nannte sie alte SPD-Inhalte und Allgemeinplätze: Gute Arbeit, gerechte Löhne, eine konsequente Klimapolitik und die soziale Gerechtigkeit. „Ich habe Politik nie nur vom Schreibtisch gemacht“, an ihrem Politikstil werde sich auch nichts ändern.
Für die Krönungsmesse im Schlosshotel hatte Faeser prominente Genossinnen eingeladen: Malu Dreyer, seit zehn Jahren Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz, und Anke Rehlinger, die bei der Landtagswahl im Saarland vor einem Jahr trotz des holprigen Starts der Berliner Ampelregierung eine absolute Mehrheit für die SPD erreicht hatte. „Seit 1999 hat die CDU das Saarland regiert, jetzt nicht mehr!“, sagte die Saar-Ministerpräsidentin.
Als Wirtschaftsministerin einer großen Koalition habe Rehlinger ebenfalls aus einem Amt für ihr jetziges kandidiert. Die Kritik an der vermeintlichen Doppelrolle einer wahlkämpfenden Innenministerin wies sie zurück: „Diese aufgeregte Debatte darf nicht den Blick auf die Themen verstellen“, riet sie den hessischen GenossInnen.
Dreyer beglückwünschte die hessische SPD, „meine zweite Familie“, zu einer „idealen Kandidatin mit einem klaren Kompass“. Sie wünschte Faeser Erfolg, obwohl mit ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin eine kompetente Innenministerin verloren gehe. Auch Dreyer habe bei ihren Wahlkämpfen stets beiden Rollen gerecht werden müssen – die der Regierungschefin und der Wahlkämpferin. „Sie hat die Kraft, noch einen draufzulegen“, attestierte Dreyer Faeser, die sie im Herbst in der Riege der bisher vier SPD-Ministerpräsidentinnen aufnehmen möchte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein