Beispielhafte Flüchtlingsaufnahme: Nordhorns Kraftakt

Die kleine Stadt Nordhorn hat alles richtig gemacht. Sammelunterkünfte für Flüchtlinge gibt es hier nicht. Ein Ortsbesuch vor dem Flüchtlingsgipfel.

Flüchtlingsunterkunft in der Messehalle 9 Neue große Flüchtlingsunterkunf in der Messehalle 9 auf dem Messegelände in Hannover

Sammelunterkunft in Hannover: In Nordhorn werden solche Einrichtungen bisher nicht gebraucht Foto: Bernd Günther/imago

NORDHORN taz | Alle Kommunen ächzen unter der Last der Flüchtlingsunterbringung? Nun ja, nicht alle Kommunen, könnte man in Anlehnung an Asterix sagen. „Wir haben zwischendurch sogar mal Flüchtlinge angefordert“, sagt Frank Rawers vom Fachbereich Soziales in der Stadt Nordhorn beiläufig.

Gekriegt hat er aber keine. In allen Kommunen in Niedersachsen kommen derzeit nur noch vereinzelt Geflüchtete an, das Land hat seine Quote übererfüllt, der Bund weist derzeit keine neuen Kontingente zu. Deshalb häuften sich im Januar die Nachrichten über leer stehende Sammelunterkünfte in verschiedenen Landkreisen und Gemeinden. Und die kommunalen Spitzenverbände beklagen, dass man auf den Vorhaltungskosten sitzen bleibt. Dieses ständige Auf und Ab ist nicht nur logistisch die größte Herausforderung für die Kommunen – es ist auch den Bür­ge­r*in­nen nur schwer vermittelbar.

Insofern ist die kleine Momentaufnahme aus Nordhorn vielleicht ein bisschen unfair: Man hat hier mal gerade eine kleine Verschnaufpause und natürlich ist auch hier die Unterbringung ein gewaltiger Kraftakt. Gleichzeitig hat die kleine Stadt an der niederländischen Grenze mit ihren 56.600 Ein­woh­ne­r*in­nen eben auch ganz viel richtig gemacht – und muss nun hoffen, dass ihr die Zuweisungspolitik dabei kein Bein stellt.

Bisher ist es in Nordhorn gelungen, alle Geflüchtete dezentral, in privaten Wohnungen unterzubringen, wie es unter anderem vom Flüchtlingsrat immer gefordert wird. 854 Geflüchtete waren das bis jetzt, 1,5 Prozent der Bevölkerung.

Gipfeltreffen Am Donnerstag kommen Vertreter*innen der Länder und Kommunen mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser zusammen. Thema ist die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen. Die Gemeinden hatten ursprünglich eine Konferenz mit Kanzler Scholz und Bundesfinanzminister Lindner gefordert, deren Zustimmung für finanzielle Zugeständnisse des Bundes nötig ist. Darauf ließ sich die Bundesregierung aber nicht ein.

Überforderung Schon länger klagen Kommunen und Länder, die Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen übersteige ihre Kapazitäten. Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) sagte dem Spiegel am Mittwoch, die Gemeinden wüssten teils nicht mehr, „wie sie die Menschen unterbringen sollen“. 2022 stellten rund 218.000 Menschen in Deutschland einen Asylantrag. Dazu kamen wohl rund eine Million Ukrainer*innen, die nach dem russischen Überfall nach Deutschland flohen. Sie durchlaufen zwar nicht das reguläre Asylverfahren, für ihre Unterbringung und Versorgung sind die Kommunen aber ebenfalls verantwortlich.

Forderungen Länder und Kommunen wollen vom Bund vor allem mehr Geld, im Gespräch ist etwa eine Übernahme von Wohn- und Gesundheitskosten der Flüchtlinge. Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) forderte, es brauche eine „Verdreifachung der Bundesbeteiligung“. Helmut Dedy, Geschäftsführer des Deutschen Städtetages, sprach sich auch dafür aus, dass der Bund eigene Aufnahmekapazitäten aufbauen solle. Bundesinnenministerin Faeser hat zuletzt angedeutet, den Ländern und Kommunen entgegenkommen zu wollen, der finanzielle Spielraum sei allerdings begrenzt. Der Bund hat für 2023 bereits 2,75 Milliarden Euro extra für die Versorgung von Geflüchteten zugesichert. (fre)

Und die leben wirklich über die ganze Stadt verteilt, wie Ulrich van der Veen-Liese vom Hochbauamt stolz betont. Nicht alle im selben Viertel, nicht alle Kinder an den gleichen Schulen. Das, sagt der Stadtbaurat Thimo Weitemeier, sei eine der wichtigsten Lektionen aus 2015 und den Folgejahren gewesen: Die Lasten auf möglichst viele Schultern zu verteilen – und zwar sowohl in der Verwaltung, als auch in der Stadtgesellschaft.

Nordhorn hat aber eben bisher auch das Glück, genügend Wohnraum mobilisieren zu können – das sieht in vielen Ballungszentren anders aus. Noch immer melden sich Vermieter mit Wohnungsangeboten bei ihm, sagt van der Veen-Liese. Da sind Unternehmer, die Gästewohnungen zur Verfügung stellen, Privatleute, die die Einliegerwohnung, die sie für die erwachsenen Kinder reserviert hatten, hergeben.

Die Stadt ist als Mieter beliebt und zwar nicht nur, weil sie solide zahlt, sondern auch das eigene Hausmeisterteam losjagt, um die Wohnungen vor dem Einzug und nach dem Auszug in Schuss zu bringen, herzurichten und zu möblieren.

Das Hausmeisterteam haben sie extra aufgestockt, genauso wie das stadteigene Team an Sozialarbeitern, mit Leuten, die Russisch, Arabisch und Kurdisch sprechen. Man hat ja schließlich keine Zeit, wochenlang auf Handwerker zu warten und braucht Menschen, die die Neuankömmlinge behutsam durch den anfänglichen Behördenmarathon lotsen können.

Sammelunterkünfte für alle die schlechteste Lösung

Dass die Hilfsbereitschaft in Nordhorn so hoch ist, erklärt sich Bürgermeister Thomas Berling (SPD) auch damit, dass die Stadt eben schon zahlreiche Zuwanderungswellen erlebt hat. „Das ging los mit dem Boom der Textilindustrie in den 20er und 30er Jahren, der Arbeitskräfte von überall her anlockte, dann kamen nach dem Krieg die Vertriebenen, später die Gastarbeiter und immer so weiter“, sagt er.

Manchmal, sagt Stadtbaurat Weitemeier, hat man eben auch das Glück, dass sich zwei Krisen überschneiden: Eher zufällig stieß die Stadt auf einen Objekt mit Wohnungen, die eigentlich abgerissen werden sollten. Aufgrund der Zinsentwicklung und der Unsicherheiten bei den Baukosten legte der Projektentwickler das Neubauprojekt aber vorläufig auf Eis – und überließ der Stadt die Wohnungen zur Zwischenmiete. Die schrieb daraufhin weitere Projektentwickler in der Region an – und akquirierte so prompt weitere Wohnungen.

Anfangs hatte der Landkreis die Kreissporthalle zur Sammelunterkunft umfunktioniert und damit für den dringend nötigen zeitlichen Puffer gesorgt. Mittlerweile hat die Stadt selbst eine Gewerbeimmobilie übernommen und zur Sammelunterkunft umfunktioniert, die allerdings gerade leer steht.

Zwei bis drei Monate Vorlauf braucht man, um Privatwohnungen flottzumachen und sinnvoll zu belegen, schätzen die Praktiker. Das ist schwierig, wenn die Zuweisungen immer schubweise kommen und manchmal nur Tage zwischen dem Bescheid und der Ankunft des nächsten vollbesetzten Busses liegen.

Gleichzeitig sind Sammelunterkünfte für alle Beteiligten die schlechteste Lösung: Die Vorhaltung kostet mehr, weil man nicht nur das Gebäude selbst, sondern auch die Verträge mit den Dienstleistern für Sicherheit, Küche und soziale Betreuung bedienen muss. Die Geflüchteten leiden unter dem ewigen Verschiebebahnhof, der mangelnden Privatsphäre, den Konflikten, die sich unweigerlich auftun, wenn man einen Haufen – zum Teil traumatisierter – Menschen zusammenpfercht. Und auch die unentbehrlichen ehrenamtlichen Hel­fe­r*in­nen werden irgendwann überlastet.

„Wenn sie eine Familie in der Straße haben, die Hilfe braucht, finden sich immer ein paar Nachbarn, die das tun. Wenn es drei, vier, fünf Familien sind, wird es irgendwann schwierig“, heißt es im seit Langem SPD-regierten Rathaus. Und eine gelingende Integration ist oberstes Ziel, schließlich macht die Stadt das auch nicht vollkommen uneigennützig. „Wir haben hier ständig Unternehmer aus allen möglichen Branchen sitzen, die den Fachkräftemangel beklagen“, sagt Weitemeier.

Wie schnell die Stimmung zu kippen droht, haben sie allerdings auch schon gemerkt. Als das Land Niedersachsen im Herbst höhere Zuweisungen ankündigte, räumten sie hier hektisch Teile des Jugendzentrums leer. Das kam in den lokalen Facebook-Gruppen nicht gut an. Als die Geflüchteten ausblieben, machte die Stadt das schnell rückgängig.

Nun kommen schon seit drei Monaten kaum Geflüchtete an, aber jeder ahnt, dass sich das bald wieder ändert. Wenn sich die Stadt vom großen Flüchtlingsgipfel im Hause der Bundesinnenministerin etwas wünsche dürfte, wäre es wohl das: mehr Vorlauf, mehr Planbarkeit, lieber einen stetigen Zustrom an Neuankömmlingen als diese absurden Wellenbewegungen. Aber wie, das weiß hier auch niemand genau.

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