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Krieg und KarnevalEin bisschen Spaß muss mal sein

Ohne Entspannung lassen sich Krisen nicht aushalten, lässt sich keine Politik machen. Und wer selbst ins Visier gerät, sollte am besten mitlachen.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann während ihres viel beachteten Karnevalsauftritts Foto: Imago

J etzt ist sogar beim Bergdoktor alles nur noch traurig. Die Brüder zerstritten, die Mutter im Koma. Und für alle Fans unfassbar: Der netteste, hilfsbereiteste, kompetenteste und charmanteste Landhausarzt der Welt will nach New York auswandern. Oder bleibt er doch? Ende der Staffel, Fortsetzung erst in einem Jahr.

Was um Alpenhimmelswillen soll man denn bitteschön bis dahin machen, wie ist diese bohrende Ungewissheit auszuhalten, ob die Welt wenigstens am Gruberhof jemals wieder heil wird, so wie wundersamerweise sämtliche PatientInnen am Ende jeder Folge? Man kann nur hoffen, dass die Fans in der Zwischenzeit nicht durchdrehen. Ich für meinen Teil werde mich bemühen durchzuhalten, auch wenn es schwerfällt. Denn ein bisschen Ablenkung braucht jeder Mensch.

Niemand kann sich den ganzen Tag nur um harte Politik und Katastrophen kümmern, gerade in diesen Zeiten ist das schlicht unmöglich. Wer keine Pause macht, kann bald auch anderen nicht mehr helfen. Wer die Kraft aufbringen will, die Pro­ble­me immer wieder anzupacken, muss sich zwischendurch entspannen. Die Alten beim ZDF, die Jungen auf Tiktok und die ganz Geschmack- und Schmerzfreien beim Karneval in Aachen. Ich werbe deshalb um Verständnis für Marie-Agnes Zack-Zimmermann.

Selbst sie kann nicht 24 Stunden lang neue Waffen fordern, nein, das kann auch die Industrie in ihrem Wahlkreis nicht von ihr verlangen. Und sie hat ja, wie man nun gesehen hat, auch andere Talente. Noch besser frisiert und vor allem deutlich schneller und prägnanter als einst Rezo hat Zack-Zimmermann die CDU auf einen Schlag zerstört. Dafür reichte es, alle peinlichen Verfehlungen in der bisherigen Amtszeit von Friedrich Merz (Privatflüge, Paschas, Sozialtouristen usw.) korrekt aufzuzählen.

Beleidigte Leberwurst

Es reimte sich, und sie fraß ihn. Nicht weil ihre Moralpredigt besonders lustig war, sondern weil die CDU besonders erbärmlich reagierte. Statt die mangelnde Originalität der FDP-Frontfrau zu belächeln (sämtliche Vorwürfe an Merz waren vorher bei Twitter schon tausendfach erklungen), guckte der Sauerländer sauertöpfisch und schickte seinen Generalsekretär nach vorn, um beleidigter als jede Leberwurst larmoyant rumzuheulen. Wegen einer Karnevalsrede, for Christdemokrat's sake.

Was ich trotzdem nicht verstehe: Warum sich viele aus dem linksgrünen Milieu gerade so für eine Liberale begeistern können, nur weil sie im Moment auf der gleichen Welle surft und beim Einsatz für die Ukraine noch entschiedener auftritt als die eigenen Leute. Es ist wie bei Markus Söder in der Corona-Anfangszeit, als der zeitweise super­strenge Bayer von vielen normalerweise Linken fast so angehimmelt wurde wie Christian Drosten und Karl Lauterbach.

Sozialpolitik? Charakter? In solchen Phasen im Zweifel egal. Blenden und blenden lassen funktioniert in Krisen immer. In Zeiten der Ratlosigkeit hält man sich eben gern an die scheinbar Felsenfesten, die so tun, als ob sie wüssten, was zu tun ist. Alles menschlich. Deshalb finde ich es auch verzeihlich, dass Annalena Baer­bock und andere Grüne permanent versuchen, ihre möglicherweise noch vorhandenen pazifistischen Restgefühle mit albernen Leoparden-Witzen und -Kostümen zu verdrängen, die so gar nicht zum Ernst der Lage passen.

Jeder lenkt sich ab, wie er kann. Ich selbst ertappe mich dabei, das menschliche Grundbedürfnis Schadenfreude zurzeit noch ausgiebiger zu befriedigen als sonst. Was gibt es Schöneres, als die öffentliche Schneeballschlacht beim FC Bayern zu verfolgen. Herrlich! Ein alternder, weinerlicher Torwart, der darüber klagt, dass er nach seinem leichtsinnig herbeigeführten Skiunfall von den Bossen demontiert wird.

Ja, wer hätte denn auch ahnen können, dass der FC Bayern darwinistisch strukturiert ist und keine Rücksicht auf Verluste von verletzten Veteranen nimmt. Der arme Manuel Neuer! So etwas könnte beim altruistisch strukturierten taz Panter FC nie passieren. Hoffe ich. Und wenn Neuer zu uns kommen möchte, mache ich natürlich gern sofort Platz. Aber erst nach dem Spiel am Montag gegen RTL.

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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