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Plaudern im SalonWaschen, Schneiden, Schnauze halten

In Berlin kommen Haarschnitte ohne den üblichen Small Talk in Mode. Was ist das für eine Welt, in der niemand mehr aus seiner Blase will?

Waschen, Schneiden, Quatschen Foto: dpa

Nicht, dass seit dem schnellen Siegeszug von „Cut an Go“ noch sehr viel übrig geblieben wäre vom guten, alten Friseur*innenbesuch. Aber dass es nun auch noch in Friedrichshain, Kreuzberg, Charlottenburg und Prenzlauer Berg erste Salons gibt, bei denen Besuchende einen „Silent Cut“ buchen können, um sich nicht einmal mehr während der raschen Wäsche, dem hektischen Schnitt und Selberföhnen am Schluss kurz übers Wetter, die weltpolitische Lage oder wenigstens die neue Pony-Frisur von Anne Hathaway auszutauschen: Das ist wirklich zu haarsträubend.

Vor allem den Jüngeren muss es wohl kurz erklärt werden: Früher waren Termine im Friseursalon Wochen vorher zu buchen, für den einfachsten Haarschnitt ohne Strähnchen, Dauerwelle und ähnliche Scherereien war mindestens eine Stunde einzurechnen. Manchmal sieht man es noch in alten Hollywoodfilmen und Vorabendserien, wie Frauen unter der Haubenreihe über ihre Männer und den Rest der Welt zoteten, während sich Männer bei der Rasur über ihre Frauen und den Rest der Welt ausließen.

Noch in den Achtzigern gab es vor allem auf dem vermeintlich ereignisarmen Land viele gutbürgerliche Frauen, die mindestens alle zwei Wochen zum Friseur gingen. Nie hätten sie daran gedacht, bei ihrem Jour fixe mit der Friseurin ihres Vertrauens aufs Plaudern zu verzichten.

Natürlich werden es trotz des spontanen Haarschnitts zwischen zwei Terminen, der heute in der Großstadt gang und gäbe geworden ist, immer auch teure Friseursalons weiter existieren, wo es zugeht wie vor 100 Jahren: Vielleicht ist das vergleichbar mit der Lust auf Schallplatten trotz Musikhören auf dem Handy. Trotzdem sollte es bedenklich stimmen, dass nicht nur die Fri­seu­r*in­nen selbst „Silent Cuts“ wünschen, sondern auch die Kund*innen.

Je­de*r auf seiner Insel

Denn in den Bezirken, in denen neuerdings Waschen, Schneiden, Schnauze halten angeboten wird, ziehen tatsächlich zunehmend Menschen zu, die sich gern panzerartige Autos kaufen und diese am liebsten in ihren Tiefgaragen mit direktem Aufzug in die Wohnung abstellen. Es ist kein Klischee, dass sie sich von der Gesellschaft entkoppeln und meinen, auf einer Art eigenen Insel leben zu können, indem sie etwa das Gespräch mit den geringverdienenden Er­zie­he­r*in­nen ihrer Kinder, ihren Haushaltshilfen oder Ta­xi­fah­re­r*in­nen versuchen zu meiden.

Dabei ist es durchaus möglich, mit Fri­seu­r*in­nen Gespräche zu führen, die weit über das Wetter, die Weltpolitik oder die neuesten Frisuren aus Hollywood hinausgehen. Gespräche zum Beispiel, in denen viel über die Brutalität unserer sozialen Schere zu erfahren ist.

Silence ain’t golden: Was wäre das für eine Welt, in der niemand mehr aus seiner Blase will?

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6 Kommentare

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  • Den armseligen Smalltalk nach dem Muster "Wie geht´s? --- und selbst? --- muss!" braucht nun wirklich kein Mensch.



    Aber den - wie erwähnt - "herzerwärmenden", Empathie beweisenden "Schnack" brauchen wir alle wie die frische Luft zum Atmen:



    Die Luft in der Blase wird irgendwann schal und faulig, versprochen!



    Danke für den schönen Kommentar und für das gelungene "Mondschaf"-Gedicht!

  • hahahaha, das ist wirklich zu lustig - in den Szenekiezen wird wirklich alles vermarktet und gebrandet was nur geht. "Silent Cut", da muss man erstmal drauf kommen. Kostet dann wahrscheinlich gleich noch nen Zehner mehr. Naja, den Sozialphobiker freuts.



    An alle Neu-Berliner: Friseure, wo man nicht quatschen muss, gibt es hier schon lange. Nach meinem Gefühl sogar eher mehr als andere; Und am wenigsten wird da auch schon immer in den Szenekiezen gelabert.

  • Die Menschheit verblödet ohne soziale Interaktion. Punkt!

  • Man hat gefälligst schweigend zu dienen. Was liebe ich wärmere Gefilde. Alle am quatschen und lachen. Lebensfreude statt Wohlstandsmuffigkeit.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „..die Brutalität unserer sozialen Schere“



    Wo wäre darüber mehr zu erfahren als beim Psychiathair?



    Denn dort geht‘s nicht nur um Frisuren,



    Sondern auch um die Figuren,



    Die beim Klappern ihrer Scheren



    Sich als Therapeut bewähren.



    Was die so mit Haaren machen,



    Das sind oft nur Nebensachen.



    Sie massieren Kopf und Seele,



    Schmieren Schampoo, Farbe, Gele,



    sprühn mit Wettertaft und Charme.



    Da wird es mir um 's Herz ganz warm...

  • An "meiner" Friseurin liebe ich neben ihrem handwerklichen Geschick vor allem ihre Schweigsamkeit. D.h. nicht, dass wir gar nicht miteinander reden, aber es bewahrt uns beide vor oberflächlichem Smalltalk und sie vor vorgetäuschtem Interesse an meinem Leben. Eine gute Sache für beide Seiten, win-win, wie man heutzutage sagt.



    Ach übrigens: ich fahre kein panzerartiges Auto, habe eine Wohnung ohne Aufzug und gehöre nicht zu den üppig Verdienenden.