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Wahl in NiederösterreichÖVP zittert um die absolute Mehrheit

Bei der Wahl am Sonntag drohen den Konservativen Verluste. Profitieren könnten Sozialdemokraten und die rechte FPÖ. Einige warnen vor Rot-Blau.

Das Wahlplakat von Johanna Mikl-Leitner wirbt mit „Verlässlichkeit für Niederösterreich“ Foto: Johann Schwarz/imago

Zistersdorf taz | Auf dem Kirchenplatz im niederösterreichischen Zistersdorf haben sich um die 50 Menschen versammelt. Die meisten sind Funktionäre der lokalen ÖVP oder Wahlhelfer in blau-gelben Westen. Einige klammern sich an einen Becher mit Tee. Die Temperatur liegt knapp unter null, Schneeregen ist angesagt.

Dann taucht eine Menschentraube auf, in der Mitte eine zierliche Frau mit Brille und blond gefärbtem Haar, die in Pelzstiefeln und einem Mantel mit künstlichem Pelzbesatz steckt. Johanna Mikl-Leitner, 58 Jahre alt und seit 2017 Landeshauptfrau von Niederösterreich, schüttelt Hände, tauscht ein paar freundliche Worte aus und lässt sich gerne zu einem Selfie überreden.

Der Auftritt in Zistersdorf ist für sie ein Heimspiel. Die ÖVP hat hier bei der Gemeinderatswahl 2020 fast zwei Drittel der Stimmen und 19 der 29 Mandate geholt. Bürgermeister Helmut Doschek steigt auf eine niedrige Tribüne und spielt den Einpeitscher: „Unsere Landeschefin, die Hanni, war ja auch einmal unsere Innenministerin, und spätestens seitdem hat sie meinen uneingeschränkten Respekt verdient.“

Seit sie in die Landespolitik gewechselt ist, hat sich Mikl-Leitner von der eisernen Lady zur mitfühlenden Macherin gewandelt. Die ÖVP, die in Niederösterreich seit Menschengedenken regiert und seit 20 Jahren eine absolute Mehrheit hält, versteht sich hier als Partei, die alle anderen politischen Kräfte entbehrlich macht.

Ruf nach härteren Strafen

Mit dem Antiteuerungspaket wildert sie im Revier der Sozialdemokraten, mit dem Ausbau von Windparks und Photovoltaikanlagen nimmt sie den Grünen die Existenzberechtigung, mit dem Ruf nach härteren Strafen für Klimaaktivisten beackert sie das Feld der rechten FPÖ. Vor allem beim Klimaschutz und dem Ausbau der Kindergärten signalisieren die Zahlen Aufholbedarf.

Nach der Ansprache geht es in die Café-Konditorei Baumhackl gleich gegenüber, wo der Bürgermeister zum Kaffee einlädt. Anschließend folgt eine Runde durch das Dorf. Überall werden Hände geschüttelt und Gruppenfotos geschossen. Zur Verabschiedung erinnert die Landesmutter an die Wahl vom kommenden Sonntag mit der Empfehlung: „Frauen wählen Frauen“ oder „Auch Männer dürfen Frauen wählen.“

Mikl-Leitner verspricht weitere Förderungen für junge Familien, die Häuser bauen oder Wohneigentum erwerben wollen, einen Ausbau des öffentlichen Verkehrs, eine Kindergartenoffensive und lobt die gute Zusammenarbeit im Landtag: „98 Prozent der Beschlüsse sind einstimmig gefasst worden.“

Bei so viel Harmonie wundert man sich, dass der Wahlkampf teilweise besonders aggressiv ausgefochten wird. Die Landesmutter beklagt das politische Klima und warnt vor einem Umsturz: „Jetzt gibt es hier Kräfte, die dieses Miteinander beenden und vor allem Blau-Rot bei uns in Niederösterreich etablieren wollen. Ein Experiment, das es zu verhindern gilt.“

FPÖ auf dem zweiten Platz

Seit Tagen trommelt die niederösterreichische ÖVP, dass eine Koalition der rechten FPÖ mit den Sozialdemokraten so gut wie ausgemacht sei, wenn es zu einer gemeinsamen Mehrheit reichen sollte. Jüngste Umfragen sehen die ÖVP bei unter 40 Prozent (gegenüber 49,6 Prozent von 2018).

Die FPÖ hat sich mit einem Zuwachs von zehn bis zwölf Prozentpunkten auf den zweiten Platz (25 Prozent) katapultiert, während die SPÖ bei 24 Prozent stagniert. Die FPÖ wird von Udo Landbauer angeführt. Er ist Mitglied der schlagenden deutschnationalen Burschenschaft Germania, bei der vor den Wahlen 2018 ein Liederbuch mit Nazigesängen gefunden wurde. Der Sohn einer Iranerin führt einen übergriffigen Anti-Ausländer-Wahlkampf. Vier Jahre Jura-Studium hindern ihn nicht daran, die universalen Menschenrechte auf Inländer beschränken zu wollen.

So sehr sich Mikl-Leitner an einer rot-blauen Allianz, die sie entmachten würde, stößt, so wenig Berührungsängste hat sie, wenn es um ihren Machterhalt geht. So machte sie den bekannt xenophoben FPÖ-Mann Gottfried Waldhäusl zum Landesrat für Asylfragen. Prompt sorgte dieser für einen Skandal, als er jugendliche Asylbewerber hinter Stacheldraht internieren ließ. Auch jetzt schließt die Landeshauptfrau eine Zusammenarbeit mit der FPÖ nicht aus: „Ich will auch nach der Wahl alles tun, um die Gräben zuzuschütten.“

In Niederösterreich sind Koalitionen auch deswegen unüblich, weil das Proporzsystem gilt. Jede Partei, die mindestens rund zehn Prozent bekommt, ist in der Landesregierung vertreten. Anstelle klassischer Koalitionen gibt es „Arbeitsübereinkommen“ zwischen zwei oder drei Parteien. Derzeit stellt die ÖVP sechs von neun Regierungsmitgliedern, die SPÖ zwei und die FPÖ eines.

Im Gutsherrenstil

Der Verlust von einem ÖVP-Sitz gilt als sicher. Sollte die ÖVP jedoch zwei Sitze verlieren, sind Mehrheiten gegen die Partei möglich, die seit Generationen daran gewöhnt ist, im Gutsherrenstil zu regieren, die lokalen Medien für ihre Selbstdarstellung einzuspannen und praktisch alle relevanten Posten mit ihren Leuten zu besetzen.

Selbst wenn Mikl-Leitner die Mehrheit in der Landesregierung verlieren sollte, droht ihr nach Ansicht politischer Beobachter keine Gefahr. Die um ein klares Profil bemühte SPÖ kann sich einen blau-roten Putsch nicht leisten. Landesparteichef Franz Schnabl, ein ehemaliger Polizeioffizier, zählt zwar zum rechten Flügel der Partei, schließt aber aus, einen FPÖ-Mann zum Landeshauptmann zu machen. Auf der Website bewirbt sich Schnabl als „Der rote Hanni“ um den Posten von „Hanni“ Mikl-Leitner.

Grüne und Neos haben mit um die sechs Prozent weder einen Regierungssitz noch Fraktionsstärke im Landtag. Große Zugewinne können beide nicht erwarten. So ist die spannende Frage die Auswirkung auf den Bund. ÖVP-Kanzler Karl Nehammer könnte Rückenwind aus Niederösterreich gut gebrauchen. Rechnen muss er aber mit kräftigem Gegenwind aus St. Pölten.

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