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Nahrungsmittelkrise in TunesienHilfe aus dem Bürgerkriegsland

Libyen versorgt das einstige Vorzeigeland Tunesien mit Lebens­mitteln. Präsident Saied sorgt sich derweil vor allem um Wahlergebnisse.

Leere Regale im Supermarkt werden für die tunesische Regierung zunehmend zum Problem Foto: Fethi Belaid/afp

Tunis taz | Die lange Schlange von Lastwagen, die sich vor dem tunesisch-libyschen Grenzübergang Ras Jadir in der letzten Woche staute, sorgte bei den auf ihre Abfertigung wartenden Autofahrern zunächst für wenig Aufsehen. Normalerweise liefern die schweren Lastwagen tunesische Lebensmittel in das seit 11 Jahren unter einem Bürgerkrieg und politischem Chaos leidende Libyen. Doch am letzten Dienstag war es umgekehrt: Die libysche Einheitsregierung unter Abdulhamid Dabaiba schickte mit Mehl, Milch, Zucker, Reis und Speiseöl beladene Lastwägen nach Tunesien. Denn diese und weitere Grundnahrungsmittel sind seit Monaten in den Regalen tunesischer Supermärkte Mangelware.

Die Empörung über die Unfähigkeit der Behörden, die Regale wieder zu füllen, ist im ehemaligen Vorzeigeland des Arabischen Frühlings groß. Denn seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine steigen die Preise für Lebensmittel unaufhörlich. Die Inflation ist so hoch wie zuletzt vor 30 Jahren.

Zwar erhalten die mehr als 3 Millionen unter der offiziellen Armutsgrenze lebenden Tunesier meist Hilfen von ihren Familien, doch auch gut verdienende tunesische Mittelstandsfamilien müssen mittlerweile ab Monatsmitte auf ihre gesparten Geldreserven zurückgreifen.

Der soziale Frieden in Tunesien ist in Gefahr, glaubt Sohail Khmira, ein Journalist aus dem südtunesischen Tataouine, aus dem im letzten Jahr über 9.000 junge Menschen über den Balkan nach Frankreich ausgewandert sind. Lokale Aktivisten gehen davon aus, dass diese von der Lokalverwaltung herausgegebenen Zahlen noch untertrieben sind.

Schon letzten Herbst half Libyen mit Benzinlieferungen aus

„Wir wollen mit der Lieferung unsere Solidarität mit unserem Nachbarland zeigen, das in schweren Zeiten vielen Libyern Schutz geboten hat“, begründet Naim al-Ashaibi, Sprecher der libyschen Botschaft in Tunis, die ungewöhnliche Hilfsaktion. Insgesamt sollen rund 170 Lastwagenladungen nach Tunesien geschickt werden. Schon als dort im letzten Herbst die Schlangen vor den Tankstellen wegen ausbleibender Benzinlieferungen immer länger wurden, sprang Dabaiba mit der Lieferung von 30.000 Tonnen Treibstoff ein.

Mit der Aktion rettet Dabaiba den tunesischen Präsidenten Kais Saied wohl vor einer Welle von sozialen Protesten. In den Städten Sousse und Kasserine hatten sich Jugendliche Mitte Januar bereits heftige Straßenschlachten mit der Polizei geliefert. „Die Frustration in den Armenvierteln im Süden und Südwesten steigt stetig“, warnt der politische Analyst Mohamed Dia. „Denn Saied hat seit seinem Putsch im Sommer 2021 keine der angekündigten Wirtschaftsreformen durchgeführt.“

Der 64-jährige Juraprofessor Saied gibt in seinen seltenen Auftritten Spekulanten und ominösen Staatsfeinden die Schuld an dem Mangel von staatlich subventionierten Waren. Stattdessen konzentriert er sich auf die für den 29. Januar geplanten Stichwahl des neuen Parlaments. Seit seiner Absetzung der Abgeordneten steht das Parlamentsgebäude leer.

Nur wenige wollen die von Kais Saied propagierte Basisdemokratie. Nur individuelle Kandidaten, aber keine politischen Parteien sind zur Wahl zugelassen. Die Wahlbeteiligung lag in der ersten Runde der Parlamentswahl bei nur knapp über 11 Prozent.

„Viele Tunesier wenden sich von der Politik ab“, sagt Khmira. „Sie bevorzugen zwar ein demokratisches System, aber mit leeren Mägen können sie nicht dafür kämpfen.“

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1 Kommentar

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  • Kann die EU endlich dafür sorgen dass Tunesien sich entwickelt. Die liegen vor unserer Haustüre und das letzte was wir brauchen können ist noch ein Faile Staat al la Libyen. Es kann doch nicht so schwer sein für die Wirtschaftsmacht EU dieses kleine Land zu entwickeln wirtschaftlich natürlich. Parallel den netten Herrn an der Spitze daran erinnern das Tunesien eine Demokratie ist.



    Parallel dazu den Libanon sonst stehen die Leute ruck zuck vor unserer Türe. Statt dem Diktator Sisi die Mrd in den Rachen zu schieben inkl. Waffenlieferungen lieber demokratische Entwicklungen wirtschaftlich begleiten