Französisch-deutsche Partnerschaft: Beziehungskrise im 60. Jahr

Die politische Ehe zwischen Frankreich und Deutschland, besiegelt im Élysée-Vertrag, feiert Jubiläum. Doch zwischen den Partnern schwelen Konflikte.

Konrad Adenauer und Charles de Gaulle

Bundeskanzler Konrad Adenauer und Präsident Charles de Gaulle am 22. Januar 1963 in Paris Foto: UPI/picture alliance

PARIStaz | Vor 60 Jahren, am 22. Januar 1963, unterzeichneten Konrad Adenauer und Charles de Gaulle im Pariser Élysée-Palast einen Vertrag, der das definitive Ende einer Erbfeindschaft und über die Versöhnung hinaus eine Freundschaft, sowie die europäische Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich besiegelte.

Der historische Gedenktag am Sonntag bietet sich als Anlass an, auch unangenehme und grundsätzliche Fragen zu den Gemeinsamkeiten und Interessenkonflikten zu stellen.

Nach Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag in der Sorbonne-Universität im Beisein von Bundeskanzler Olaf Scholz und Staatspräsident Emmanuel Macron, sowie Delegationen der Parlamentskammern der beiden Länder soll am Nachmittag der deutsch-französische Ministerrat stattfinden. Der war ursprünglich für den 26. Oktober geplant, musste dann aber wegen manifester Verstimmungen zwischen Paris und Berlin kurzfristig abgesagt und vertagt werden.

60 Jahre nach der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags steht darum wieder Versöhnung auf dem Programm. Scholz und Macron, die heute das in den vergangenen Jahrzehnten so oft beschworene „Paar“ oder „Duo“ verkörpern sollen, stehen sich weit weniger nahe als die Pioniere der deutsch-französischen Partnerschaft und ihre ersten Nachfolger: Helmut Schmidt und Valérie Giscard d'Estaing, François Mitterrand und Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Jacques Chirac. Die schlechte Verständigung zwischen zwei so verschiedenen Persönlichkeiten wie Macron und Scholz erleichtert die Kooperation heute sicherlich nicht.

Spannungen durch Energiekrise und Panzerlieferungen

Trotz regelmäßiger Initiativen und neuer Vereinbarungen war die deutsch-französische Zusammenarbeit zudem längst zu einer formellen Routine geworden. Was sich an politischen Spannungen und gegenseitigem Misstrauen bereits wegen der von der Euro-Währungsgemeinschaft auferlegten Haushaltsdisziplin angestaut hatte, entpuppte sich mit der Energiekrise und im Kontext des Ukraine-Kriegs als „Beziehungskrise“.

Das hindert beide Seiten nicht daran, die Probleme lieber zu verharmlosen: „Die französischen Minister reden ständig mit ihren deutschen Amtskollegen. Es gibt da keine wirkliche Kluft“, versicherte die französische Europaministerin Laurence Boone vor ihrer Reise nach Berlin. Dort wird sie den gemeinsamen Ministerrat vorbereiten, dem ein deutsch-französischer Verteidigungs- und Sicherheitsrat angehängt wird. Boone rechnet mit „soliden Sachen“ als Ergebnis der gemeinsamen Diskussionen am Sonntag. Macron, der 2019 mit Angela Merkel in Aachen einen neuen Freundschaftsvertrag unterzeichnet hatte, hofft ebenfalls auf einen neuen Anlauf.

Die Ausgangslage ist nicht sehr positiv. Die bilateralen Meinungsverschiedenheiten sind zahlreich. Frankreich lehnt die Regeln des europäischen Energiemarkts ab und setzt zur Stromversorgung wieder verstärkt auf die eigene Atomenergie. Ausgerechnet kurz vor dem 60. Jubiläum traf Macron am Donnerstag den spanischen Ministerpräsidenten, um über den Wasserkorridor Barcelona-Marseille als alternatives Projekt zur von Berlin unterstützen und von Paris ungewollten MidCat-Pipeline zu sprechen.

Frankreichs Rüstungsindustrie ist außerdem empört, wenn Berlin bei den Konkurrenten einkauft und bei der Entwicklung eines gemeinsamen Kampfjets zögert.

Freundschaftliche Kontakte durch Städtepartnerschaften

Abgesehen davon herrsche eine „Atmosphäre der Verständnislosigkeit zwischen dem Élysée und dem Kanzleramt“, beschreibt die französische Zeitung Sud-Ouest die dicke Luft. „Der eine ärgert sich dabei über unabgesprochene Initiativen des anderen.“

Ein Beispiel sei Macrons unvermittelte Ankündigung gewesen, der Ukraine AMX-10-Panzer zu liefern. Das habe Berlin und Washington dann in einen ärgerlichen Zugzwang gebracht. Macron dagegen wurmt es, dass seine Vorstöße für eine „europäische Souveränität“ der Industrie von Scholz, der offenbar eher für ein „Germany first“ einstehe, so wenig unterstützt werden.

Weit ab von den strategischen und wirtschaftlichen politischen Debatten wurden in den 60er-Jahren auf lokaler Ebene dank unzähliger Städtepartnerschaften und den Austauschprogrammen des Deutsch-Französischen Jugendwerks solide, freundschaftliche Kontakte zwischen den Bür­ge­r*in­nen der beiden Länder geknüpft.

Ein aktuelles Beispiel unter vielen ist das kulturelle Programm „Metz ist wunderbar“. Maßgeblich beteiligt an der Organisation dieser Begegnung aus Anlass des Élysée-Jubiläums sind Studierenden der deutsch-französischen Managementhochschule IAE der Stadt. Die Jugend stehe im Zentrum der Feiern, denn mit ihr bereite man die Zukunft der deutsch-französischen Freundschaft vor, so die Vorsitzende der Nationalversammlung, Yaëlle Braun-Pivet.

„Bürger*innen sind sich so nah wie nie“

Umfragen bestätigen laut der Heinrich-Böll-Stiftung, dass in beiden Ländern die Idee, dass Frankreich und Deutschland mit ihrer Zusammenarbeit für die EU den „Motor“ darstellen sollen, mit je 81 Prozent Zustimmung weiterhin auf „beiden Seiten des Rheins“ stark verankert bleibt.

Bedenklich an den Ergebnissen der Befragung sei aber laut Hélène Miard-Delacroix, Professorin an der Sorbonne, die mit nur 67 Prozent geringere Überzeugung unter jungen Französ*innen, dass der deutsch-französische Motor für die Fortschritte der EU notwendig ist.

Trotzdem bewertet Jan Phi­lipp Albrecht, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin, diese Resultate als sehr ermutigend: „Entgegen allen Unkenrufen stellt diese Umfrage in bemerkenswerter Klarheit fest: Deutsche und französische Bür­ge­r*in­nen sind sich so nah wie noch nie und in den entscheidenden Fragen der aktiven politischen Zukunftsgestaltung weitestgehend einig.“

Und Albrecht fügt an: „In allen Schlüsselbereichen europäischer Politik sprechen sich überwältigende Mehrheiten in Deutschland und Frankreich für eine massiv verstärkte, gemeinschaftliche Politik auf Grundlage des deutsch-französischen Motors aus.“

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