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Rücktritt von Jacinda ArdernEine starke Träne

Der Rücktritt Jacinda Arderns vom Amt der neuseeländischen Premierministerin zeugt von Mut: Nur wer Schwäche zugeben kann, ist großen Krisen gewachsen.

Jacinta Ardern und ihr Verlobter nach der Presse­konferenz am Donnerstag Foto: Mark Mitchell/New Zealand Herald/dpa

Die Nachricht ist eine mit Wumms: Jacinda Ardern, die neuseeländische Premierministerin, tritt vorzeitig von ihrem Amt zurück. „Ich habe einfach nicht mehr genug im Tank für weitere vier Jahre“, sagte sie bei einer Veranstaltung ihrer Labour-Partei am Donnerstag. Den Wumms hat der überraschende Rückzug von diesem Spitzenamt, weil sich zwei Fragen stellen: Ist dieser vorzeitige Rückzug eine starke Geste oder ein schwaches Eingeständnis, dem Job nicht (mehr) gewachsen zu sein? Und: Welchen Po­li­ti­ke­r:in­nen­ty­pus akzeptieren wir eigentlich?

Beginnen wir mit der zweiten Frage. Seit Jahrzehnten kennen wir hauptsächlich den kernigen, potenten Mann, der für sein Land „alles gibt“, der fürs Amt sein Privatleben vernachlässigt, von dem höchstens bekannt ist, dass er, so er heterosexuell ist, Frau und Kind(er) hat. Der erst von der öffentlichen Bühne abtritt, wenn er fünf Stents in der Brust und zwei Schwächeanfälle überlebt hat. Der Linken-Politiker Gregor Gysi erlitt drei Herzinfarkte, Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher auch, CSU-Grande Horst Seehofer lag wegen einer Herzmuskelentzündung neun Wochen im Krankenhaus.

Das Bild des sich aufopfernden Politnerds indes konterkarieren junge Frauen seit einigen Jahren. Da betreten Politikerinnen wie die Neuseeländerin Ardern, die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin, die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock das große politische Parkett. Was gab es für einen Rummel, als die spanische Verteidigungsministerin Carme Chacón 2008 hochschwanger eine Militärparade abschritt: Die traut sich was!

Frauen wie sie zeigen, dass Politik von Menschen gemacht wird, die ein Privatleben haben. Sie beweisen: Politik und Familie, selbst mit kleinen Kindern, gehen durchaus zusammen.

Entwaffnenden Ehrlichkeit

Aber nun sagte ausgerechnet Ardern, die von der internationalen Politik wie eine Heroin gefeiert wurde, dass sie den „privilegiertesten Job, den man haben kann“, nicht weiter ausüben könne. Dass das niemand kann, wenn der Tank nicht voll und „zusätzlich ein bisschen Reserve für die unerwarteten Herausforderungen“ da sei. Diese Reserven hat sie also nicht mehr – und zieht sich zurück.

Damit sind wir bei der ersten Frage: Das zuzugeben ist keine Schwäche, im Gegenteil, darin liegt eine große Stärke. Im Gegensatz zu vielen älteren Politikern, die verstecken, wenn ihre Kräfte sie verlassen, geht Ardern mit diesem Geständnis in die Offensive. Zwar mit Tränen in den Augen, (warum auch nicht?), aber mit einer entwaffnenden Ehrlichkeit. Das ist mutig, so etwas kommt auf der politischen Bühne nicht so oft vor.

Damit treibt Ardern die Debatte um die Vereinbarkeit von Familie und politischen (und anderen) Spitzenämtern nach vorn. Dass Topjobs und Familie kombinierbar sind, haben Frauen längst bewiesen. Über den Preis, den sie dafür zahlen, schweigen sie bislang. Man kann sich ja fragen, wie oft die grüne Außenministerin Annalena Baerbock ihre schulpflichtigen Töchter sieht, wenn sie sich von sieben Tagen in der Woche sechs im Ausland aufhält. Baerbocks Job sieht familiäre Abwesenheit vor, aber die Grüne äußert sich nicht, wie es ihr damit geht. Dieses Schweigen hat nun Ardern gebrochen. Sie möchte ihre Tochter bei deren Schuleintritt begleiten, erklärte Ardern.

Geschickte PR

Aber halt, bedient sie damit nicht genau das Vorurteil, dass Frauen eben doch keine Spitzenpositionen ausfüllen können? Nein. Ardern hat ihre familiäre Situation nicht offensiv thematisiert, aber auch nie versteckt. Im Gedächtnis bleibt insbesondere das Bild Arderns, als sie bei der UN-Vollversammlung mit ihrer drei Monate alten Tochter im Arm auftrat.

Man kann das als geschickte PR einstufen – oder als einen Schritt hin zu einer politischen Sphäre, in die Frauen ebenso leicht Zugang haben wie Männer und in der ein Familienleben möglich ist. Und aus der Frauen wie Männer jederzeit aussteigen können, ohne dafür als schwach gescholten zu werden.

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11 Kommentare

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  • Auch in diesem Land am Ende der Welt ist das Regieren schwieriger geworden. Schließlich beklagen viele Einheimische die zuletzt immensen Verteuerungen, die auch ausgelöst wurde durch gut betuchte Zuwanderer, die aus den Wohlstands-verseuchten Industrieländern mit ihren Umweltschäden und Verkehrsproblemen hier einen Neuanfang wagten und damit aufgrund der so unterschiedlichen Vermögenssituation einen Fremdenhass bewirkten. So viel Platz, der von außen teuer erkauft werden musste, ist denn in diesem gelobten Land denn doch nicht. Nicht nur Over-Tourism, sondern auch zu viel mittelfristige Heimsuchung, die der einheimischen Bevölkerung das Leben teurer machte und zu Wohnungs- und Grundstücksspekulation führt, zerreibt auch hier ein harmonisches Zusammenleben. Ich tue mich schwer damit, eine gewisse Zurückhaltung gegenüber Zugewanderten als 'rechts' zu bezeichnen. So ist das Land nicht leicht zu regieren.

  • Ein Mensch mit Vorbildcharakter für viele Menschen.

    Ich finde - so - genderneutral - ist die Message viel klarer. Oder?

  • Ein guter Kommentar!



    So zu handeln, eine stake Frau mit Vorbildcharakter



    auch für Männer über die Politik hinaus.

  • Hinterfragt man mal einen einzigen Spitzenpolitiker nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Allein, dass solch ein Thema immer aufkommt, wenn mal eine Frau zurücktritt, ist ein Armutszeugnis der Emanzipation in unserem Land.

    Das Frau Ardern leider zurücktritt ist das eine, aber so Sätze wie: "Jetzt Neve bin ich bei Deinem Schulbeginn dabei und jetzt möchte ich heiraten..." vermittelt ein Frauenbild der 50er Jahre und schadet der Emanzipation mehr, als das es uns Frauen stärkt.

  • Was kann die Konsequenz sein? Jobs, die mit Familie nicht ausfüllbar sind, werden ersatzlos gestrichen? Dass nur noch Singles ohne Haustüre in die Politik dürften, kann es ja nicht sein. Und Außenamt auf 560-Euro-Basis wird auch nicht funktionieren.

  • Hm, ich weiß immer noch nicht, was ich von den Berichten über Ardern halten soll. Sie scheint offensichtlich eine positive und sympathische Person zu sein und ihre Entscheidung zurückzutreten, empfinde ich als traurig, weil da doch anscheinend eine Sympathieträgerin zurücktritt... Im selben Augenblick, wo ich das denke, frage ich mich automatisch, wie ich zu diesem Schluß komme. Ich kenne Ardern nämlich gar nicht, ich kenne ihre Politik nicht. Ich weiß nicht welche Entscheidungen sie in ihrer Regierungszeit getroffen hat. Alles was ich über sie gelesen habe, sind wohlwollende Artikel, die aus irgendeinem Grund bei mir auf Wohlwollen gestoßen sind. Und ein bisschen habe ich das Gefühl, diese Person auf der anderen Weltseite, von der ich nur in Artikeln gelesen habe, erfüllt eine Funktion, die Funktion des Guten, das es doch irgendwo auf der Welt geben muß. Eine Sehnsucht nach etwas Gutem und Positiven.



    Das heißt nicht, dass das nicht alles stimmen kann, aber ich habe den täglichen Sumpf der Politik, die täglichen Entscheidungen ihrer Regierung nicht mitbekommen, möglicherweise hätte ich dann ein anderes Bild oder aber vielleicht genau das selbe positive wie jetzt. Ich weiß es nicht. Vermute aber stark, dass die Berichte über sie 2 Funktionen in mir erfüllen, die Sehnsucht nach dem Guten und ein möglicherweise ähnliches Politikverständnis. Wer weiß?

    • @nutzer:

      Sie war nicht überall positiv erwähnt worden. Die lange wohlüberlegte Zero-Covid-Politik, hat vielen Menschen in NZ das Leben geredet. In unseren Hemisphären gehen wir drüber hinweg.



      Bis Ende des Jahres haben wir china noch malträtiert damit. Jetzt wo China Zero-Covid ad acta gelegt hat, überziehen wir sie mit quasi Sanktionen durch die noch aufgekommende Covidwelle.

      Genauso ging es Ardern damals, wie kann ein kleiner Staat sowas machen, die arme Wirtschaft. Wir selbst waren letzten Oktober dort. Ja die Wirtschaft hat gelitten, aber ich wäre froh hätte Deutschland nur ansatzweise so agiert und lieber Menschen vor dem Tode gerettet, als der Wirtschaft weiter alles machen zu lassen.

      Aber auch auf anderen Levels war es nicht nur positiv was sie gemacht hat. Z.b. die Einwanderungspolitik, wo man sieht das da helfende Hände fehlen. so langsam korrigiert die Regierungspartei es selbst....nun halt eben ohne Ardern.

  • Wahl auf Zeit



    Das ist eine gute und schlechte Nachricht.



    Jacinda Ardern wirkte wirklich sehr sympathisch und stand , auch für mich, für einen neuen, positiven, Politikstil.



    Der demokratische Grundsatz, der Wahl auf Zeit, erhält so eine neue Bedeutung.



    Um das Verständnis an der eigenen Nase zu fassen, ist auch im kleineren Rahmen Politik nur mit ausreichenden Ressourcen machbar.



    Neben der körperlichen und seelischen Belastung sind ,im Kleineren Maßstab, auch finanzielle Gründe anzuführen. Letztlich muss man und frau Prioritäten setzten. Die Frage: " wer macht es denn sonst"?, ist nicht falsch, aber nicht zwangsläufig zielführend.



    Mit " einer Träne im Knopfloch" verneige ich mich vor einer Politikerin, die in kurzer Zeit viel bewegt hat.

  • Absoluter und totaler Respekt für diese Entscheidung. Seine Grenzen kennen ist ein großes Maß an Weisheit. Viel Glück!

  • Wenn doch auch andere Staaten eine solche stark Führung hätten! Da spielt NZ eine viel zu kleine Rolle in der Weltpolitik.

  • Ich fände es sehr erholsam, wenn nicht Frau / Mann diskutiert würde, sondern Mensch.

    Wer bitte, hat dieses Vorurteil:

    "...Aber halt, bedient sie damit nicht genau das Vorurteil, dass Frauen eben doch keine Spitzenpositionen ausfüllen können...?", kann es begründen, ist in Vollbesitzt geistiger Kräfte ...



    Dass "Frauen" Spitzenpolitik machen, ist so neu nicht. Thatcher, Merkel, Arden, Katharina II., auch: Dass nicht alle Männer "mit 5 Stents" von der Politbühne getragen werden, dürfte klar sein. Manche haben möglicherweise nicht mehr genug Energie, andere nicht mehr genügend "drive" und hören auf, andere wiederum wollen sich um ihre "kranke Frau" kümmern. Steinmeier - Auszeit, Müntefering Rücktritt.

    Das sind doch ganz normale und nicht neue Erscheinungen, dass Mensch erkennt, es gibt ein wichtiges / wichtigeres Privatleben.

    Der Artikel hätte also durchaus anders geschrieben werden können. Mit mehr Betonung auf: Welchen Typus wollen wir, als Politikerin.

    Auf Mann-Frau-Kategorie hätte verzichtet werden können. Ich finde das ist eher so Jahr 2010.