Autobahn-Abseilaktion vor Gericht: Polizei als „Tatwerkzeug“

Vier Klimaak­ti­vis­t*in­nen hatten sich 2020 über der A7 bei Schleswig abgeseilt. Dafür verurteilt sie das Amtsgericht wegen Nötigung zu Geldstrafen.

Eine Aktivistin hängt an der unteren Seite einer Autobahntrasse

In Frankfurt hat ein Gericht solch eine Aktion erlaubt: Aktivistin seilt sich über der A648 ab Foto: Sebastian Gollnow/dpa

SCHLESWIG taz | Ist es ein Gewaltakt, ein Banner über einer Autobahn aufzuhängen? Ja, befand das Amtsgericht Schleswig und verurteilte vier Ak­ti­vis­t*in­nen zu Geldstrafen. Sie hatten sich im November 2020 über der A 7 nahe Schleswig abgeseilt, um im Rahmen einer bundesweiten Protestaktion auf den Klimawandel hinzuweisen und die Verkehrswende zu fordern. Die Polizei ließ daraufhin die Autobahn sperren, ein Stau entstand, der rund drei Stunden dauerte.

Der Staatsanwalt bewertete das als „gemeinschaftliche Nötigung“: Die Aktion habe stattgefunden „im Bewusstsein, dass die Polizei die Autobahn sperren würde“. Denn es sei um die „Sperrung der Brücke für einen möglichst langen Zeitraum“ gegangen, um zahlreiche Menschen „an ihrem Fortkommen zu hindern“.

Von einem „politischen Prozess“ sprach die Aktivistin Irene T. Nach der Logik des Staatsanwalts sei die Polizei das „willenlose Werkzeug“ gewesen, das für die Demonstrierenden die Straße gesperrt habe – „So ein Bullshit“, sagte T. in ihrem Schlusswort.

Tatsächlich führte die Sperrung der Autobahn dazu, dass weniger Menschen das Banner mit der Botschaft „Stoppt den Autowahn“ sehen konnten, das T. und die anderen Beteiligten über den Fahrbahnen festhielten.

Gericht folgt Sicht der Polizei

Sie selbst hingen, darauf wiesen die ehrenamtlichen Wahlverteidiger der Angeklagten hin, nicht direkt über der Straße, sondern über dem Mittel- und den Randstreifen. Die Demonstration sei zwar nicht angemeldet, aber dennoch durch das Grundgesetz geschützt gewesen, sagte Wahlverteidiger Yannik.

Eine Nötigung, die laut Gesetz „Gewalt oder Drohung mit empfindlichem Übel“ beinhaltet, sei die Aktion keineswegs gewesen, fügte Wahlverteidiger Sam hinzu, der Frauke B. vertrat: „Die Menschen hingen neben einer Autobahn, sie taten eher sehr wenig.“ Die Sperrung der Straße sei „entgegen den Interessen und kaum vorhersehbar“ gewesen. Das Banner selbst sei keine Störung – ähnliche Banner würden oft eingesetzt, etwa um auf Rettungsgassen hinzuweisen.

Die Richterin sah es anders. Die Sperrung der Straße sei „alternativlos“ gewesen, hieß es in der Urteilsbegründung, die sich damit der Sicht der Polizei anschloss. Der Stau habe „kilometerlang“ zurückgereicht, dies sei „beabsichtigt“ gewesen. Die Polizei sei „instrumentalisiert“ und „als Tatwerkzeug missbraucht“ worden. Das Verhalten der Ak­ti­vis­t*in­nen sei „nicht unerheblich sozialwidrig“.

Zwar sei Klimaschutz ein hohes Gut, aber die Gefährdung der Ver­kehrs­teil­neh­me­r*in­nen auf der vielbefahrenen Straße wiege schwerer.

60 Anträge der Angeklagten

60 Tagessätze à 20 Euro verhängte die Richterin jeweils. Zahlen müssen die Verurteilten auch die Gerichtskosten. Der Staatsanwalt hatte sogar 75 Tagessätze gefordert.

Vorangegangen war ein turbulentes Verfahren, bei dem die Richterin zunehmend hart durchgriff. So muss ein Mann 500 Euro zahlen, weil er Konfetti in den Saal warf. Mehrere Personen wurden mit Gewalt aus dem Raum geführt, weil sie nach Stellungnahmen geklatscht hatten.

Obwohl der Tatverlauf schnell aufgeklärt war, brauchte das Gericht drei Verhandlungstage, vor allem weil die Beklagten über 60 Anträge gestellt hatten, die einzeln behandelt werden mussten. In einer Reihe davon ging es um andere Aktionen über Autobahnen, die nicht bestraft worden waren.

Inhaltliche Anträge befassten sich mit der CO2-Belastung durch Straßenverkehr und den Klimazielen der Regierung – als Zeugen wünschten sich die Ak­ti­vis­t*in­nen unter anderem die Minister Robert Habeck (Grüne) und Volker Wissing (FDP) sowie eine Naturschützerin aus Chile. Das Gericht wies alle Anträge zurück, sie seien „zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich“.

Dass kein Mitglied der Bundesregierung nach Schleswig kommen würde, war auch den Beteiligten klar.

Staatsanwaltschaft zeigt sich zufrieden

Dennoch seien die Anträge weder ein Scherz noch ein Mittel, den Prozess zu verlängern, erklärte Wahlverteidiger Sam. Vielmehr gehe es um die politische Begründung der Aktion. Es sei bedauerlich, dass sich das Gericht offenbar inhaltlich damit nicht befasst habe. Er sah einen „unschönen Umgang mit Ak­ti­vis­t*in­nen, der sich leider allmählich durchsetzt“.

In ihrem Schlusswort zählte Frauke B. Ereignisse auf, die sich ­parallel zum Prozess ereignet hatten: Als sie den Strafbefehl erhielt, gab es Überflutungen in Pakistan, am ersten Prozesstag Starkregen und Erdrutsche in Kinshasa, am zweiten einen Eissturm in den USA. Es mache sie traurig und wütend, dass Wetterextreme das „neue Normal“ seien und trotzdem weiter Straßen geplant würden. Irene T. sagte: „Ob es nun auf Knast oder Geldstrafe hinausläuft, ich werde darunter leiden. Aber ich weiß, warum ich meine Seite gewählt habe.“

Der Staatsanwalt zeigte sich mit dem Urteil zufrieden. Die Ak­ti­vis­t*in­nen könnten innerhalb einer Woche Berufung einlegen. Ob sie das tun, steht noch nicht fest.

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