piwik no script img

Lieferdienst behindert BetriebsratGanz Flink ausgeliefert

Beim Lieferdienst Flink rumort es: Die Fah­re­r*in­nen würden gerne einen Betriebsrat gründen. Doch sie sehen sich Repressionen ausgesetzt.

Flink, flink die Milch zum Kunden bringen – nur bei der Betriebsratsgründung geht's nicht so schnell Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Sebastian Kahnert

Berlin taz | Da waren es nur noch zwei: Im Kampf um die Marktmacht bei Lebensmittel-Lieferdiensten sind in Berlin mittlerweile nur noch Getir und Flink übrig geblieben. Mitte Dezember war bekannt geworden, dass der türkische Lieferdienst Getir das umstrittene Berliner Start-up Gorillas für eine Milliardensumme übernimmt. Den Konkurrenten Flink, an dem der Supermarktkonzern Rewe beteiligt ist, freut das: „Eine Konsolidierung des Marktes ist gut, weil das den Preiskampf reduziert“, sagt Unternehmenssprecher Boris Radke der taz.

Gut also für die Rendite, zumindest theoretisch. Denn Markt­ex­per­t*in­nen gehen davon aus, dass Profit in der Branche überhaupt nicht möglich ist. Zumindest schreibt bislang keiner der Lebensmittel-Lieferdienste schwarze Zahlen. Dafür wird umso mehr Kapital verbrannt. Bei Flink, das Anfang des Monats bereits in Österreich Insolvenz anmelden musste, hofft man dennoch auf satte Gewinne: Das Geschäftsmodell sei grundsätzlich profitabel, aber stehe eben erst am Anfang, sagt Radke. Mittlerweile seien bei dem 2020 in Berlin gegründeten Unternehmen bundesweit 20 Prozent der Standorte profitabel – insgesamt bleibt es also ein Minusgeschäft.

Das reicht natürlich nicht, und frisches Risikokapital ist krisenbedingt schwer zu bekommen, also setzen die Unternehmen auf einen harten Sparkurs. Das trifft vor allem die Arbeiter*innen, die die Gewinne einfahren sollen. So wird bei Getir nach der Übernahme ein massiver Stellenabbau erwartet. Auch bei Flink rumort es in der Belegschaft, der Streit über die Gründung eines Betriebsrats beschäftigt seit Monaten die Berliner Gerichte.

Raúl, der seinen Nachnamen aus Angst vor negativen Konsequenzen nicht in der Zeitung lesen will, arbeitet seit anderthalb Jahren für Flink. „Am Anfang waren die Arbeitsbedingungen noch ganz gut, aber in letzter Zeit hat sich alles total verändert“, sagt er der taz. So sei etwa die Qualität der Fahrräder merklich schlechter geworden, wodurch die Zahl der Unfälle steige. Teilweise hätten die E-Bikes kein Licht, die Haftung der Reifen sei so schlecht, dass er bei Nässe schon zweimal einen Unfall hatte. „Ich bin schon ohne Bremsen gefahren – entweder man fährt so oder gar nicht.“

Wer jedoch nicht fährt, wird bestraft. So ist laut Flink-Sprecher Radke bei einer No-Show, also dem Nichterscheinen bei einem Auftrag, eine Strafzahlung fällig, zusätzlich gibt es noch eine Abmahnung. Also fahren die Rider, wie sich die Ku­rie­r*in­nen nennen, trotz mangelhaften Equipments, um ihren Job nicht zu gefährden. Radke räumt gegenüber der taz ein, dass Mängel bei einigen Fabrikaten durchaus vorkommen könnten, diese würden jedoch in der Regel sofort ausgetauscht. „Dafür brauchen wir aber das Feedback der Fahrer.“

Um sich gegen mangelhafte Arbeitsausrüstung, aber auch die in ihren Augen schlechten Arbeitsbedingungen zu wehren, wollen einige der rund 1.500 Berliner Rider einen Betriebsrat gründen. Auch Raúl setzt sich für die Einsetzung einer Interessenvertretung ein. „Viele der Ar­bei­te­r*in­nen kommen etwa aus Indien und kennen das deutsche Arbeitsrecht nicht“, sagt er. So würden bei Flink immer mehr Menschen eingestellt als benötigt, um eine Reserve zu haben.

Dass Rider, die deshalb nicht auf ihre vertraglich vereinbarte Stundenanzahl kommen, trotzdem ein Recht auf den vollen Lohn haben, wissen jedoch nicht alle – was Flink systematisch ausnutze. „Wir wollen einen Betriebsrat gründen, damit die Ar­bei­te­r*in­nen über ihre Rechte aufgeklärt werden und sie von Flink respektiert werden“, sagt Raúl.

Für sein Engagement werde er indes massiv unter Druck gesetzt, erzählt der Rider: „Bevor ich mich für den Betriebsrat eingesetzt habe, hatte ich eine höhere Position, das Management hat mich geschätzt. Danach wurde ich degradiert und bin zum Ziel geworden.“

19 Abmahnungen habe er in den vergangenen Wochen erhalten, sein Supervisor werde regelmäßig nach ihm ausgefragt, und seine Kol­le­g*in­nen würden sich aus Angst vor negativen Konsequenzen nicht mehr trauen, mit ihm zu reden. „Ich fühle mich sehr isoliert“, sagt Raúl. Nicht alle halten dem Druck stand. Einige haben sich einen neuen Job gesucht oder wurden gekündigt. Von ursprünglich sieben gewählten Mitgliedern des Wahlvorstands sind nur noch drei übrig – das gesetzliche Minimum.

Wir haben das Recht auf unserer Seite.

Flink-Rider Raúl

Flink-Sprecher Radke bestätigt, dass es in jüngster Zeit „einiges an Abmahnungen und Kündigungen“ gegeben hat. Diese hätten jedoch alle „arbeitsrechtliche Gründe“.

„Flink hat ein Demokratieproblem“, sagt Martin Bechert der taz. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht vertritt die In­itia­to­r*in­nen des Betriebsrats und steht wegen seiner kritischen Äußerungen selbst im Fokus vom Flinks-Anwälteteam. Den Mund verbieten lässt er sich durch die Abmahnungen jedoch nicht: „Skrupellos“ nennt er das Vorgehen des Lieferdienstes gegen dessen Mitarbeiter*innen, es herrsche „ein System der Angst“. Das Unternehmen wolle eine Interessenvertretung mit allen Mitteln verhindern, ist sich der erfahrene Anwalt sicher.

Flink selbst gibt an, nichts gegen die Gründung eines Betriebsrats zu haben, im Gegenteil. Bis es so weit ist, habe man ein „Ops Committee“ eingerichtet, das „Feedback“ der Angestellten an das Management weitergeben soll. Den Vorwurf Becherts, dass es sich dabei um ein „Spitzelsystem“ handle, weist Radke entschieden von sich.

Es gibt jedoch die Aussage eines Mitarbeiters des Ops Committees, die der taz vorliegt. Darin heißt es, es sei seine Aufgabe im Ops Committee, „Mitarbeiter zu suchen, die ihren Mund aufmachen, um diese dem Regionalleiter zu melden, der sie dann schnellstmöglich entfernt“. Konfrontiert mit dieser Aussage sagt der Flink-Sprecher: „Es kann passieren, dass Leute ihre Rolle so interpretieren.“ Vom Unternehmen sei dies allerdings nicht gewünscht.

Gegen den gewählten Wahlvorstand, der die Betriebsratswahlen organisieren soll, ging Flink gerichtlich vor, woraufhin sich dieser Mitte November auflöste. „Wir sind einfache Arbeiter*innen, die Mindestlohn bekommen, es ist unmöglich für uns, ein Wettrüsten gegen ein Unternehmen zu gewinnen, das 5 Milliarden Euro wert ist“, hieß es zur Begründung.

Raúl und seine beiden Kollegen haben nun beim Arbeitsgericht beantragt, dass es einen Wahlvorstand einsetzt. Sollte es dazu kommen, will Flink gerichtlich dagegen vorgehen. „Sie wollen, dass wir die Geduld verlieren und aufgeben“, sagt Raúl. „Aber wir geben nicht auf. Wir haben das Recht auf unserer Seite.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Es wird Zeit, dass die Behinderung gegen Betriebsratsgründungen oder gegen die Ausübung von Betriebsratstätigkeit unter Strafe gestellt wird.



    Das Recht der Gründung und die Arbeit des Betriebrates ist ein fundamentales Recht der Mitarbeiter in einer Demokratie.



    Herr Arbeitsminister und Justizminister, sie sind jetzt aufgerufen hier Initiativen zu ergreifen. Und die taz solle bei solchen Behinderungen wo auch immer möglichst informieren.

  • Der Wunsch nach Gewinnen ist in dieser Branche absolut illusorisch. Und dafür gibt es etliche Gründe:



    - Der Warenkorb-Wert ist in der Regel sehr klein, was eine ordentliche Marge pro Auslieferung fast unmöglich macht.



    - Die Ausgaben für Warenlagerhaltung sind zwar geringer als im Einzelhandel, aber auch nicht derart viel niedriger.



    - Ein Rider schafft vielleicht 3-4 Auslieferungen pro Stunde und "verdient" dadurch nicht einmal seinen eigenen Stundenlohn.

    Es gibt zwei Stellschrauben: die Preise für die Lebensmittel oder/und den Preis für die Auslieferung erhöhen. Wenn die Tomaten allerdings doppelt so teuer sind wie im Supermarkt, wird sich der bequeme Coach-Potato doch überlegen, selber einkaufen zu gehen. Der Lieferpreis müsste eigentlich eher bei 10 Euro liegen, was dann die meisten davon abhalten würde.



    Und natürlich sind die Arbeiter:innen die absoluten Verlierer in dieser Branche. Eine Gründung eines Betriebsrates wird da fast als ein Angriff auf die "Sklavenhaltung" betrachtet.