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Experte zu Durchbruch bei Kernfusion„Fusion kann Erneuerbare ergänzen“

Erstmals ist es gelungen, bei der Verschmelzung von Atomkernen mehr Energie zu erzeugen als zu verbrauchen. Was bedeutet das?

An der National Ignition Facility in Kalifornien gelang das Kernfusions-Experiment Foto: Philip Saltonstall/reuters
Malene Gürgen
Interview von Malene Gürgen

taz: Herr Zohm, wie würden Sie einem Kind Kernfusion erklären?

Hartmut Zohm: Also, erst einmal würde ich sagen, Kernfusion ist die Energiequelle der Sterne. Wenn man Wasserstoff nimmt, ein chemisches Element, das jeder kennt, weil es das H in H2O ist, und diesen Wasserstoff auf sehr hohe Temperaturen erhitzt, dann kommen sich die Teilchen so nahe, dass sie miteinander verschmelzen können. Und dabei wird Energie frei. Diese Verschmelzung nennt man Kernfusion. Das ist das, was in der Sonne passiert, bei 15 Millionen Grad.

Kernfusion fasziniert, weil es klingt, als könne man damit alle Energieprobleme der Menschheit lösen. Sie forschen schon sehr lange zu diesem Thema. Können Sie die Faszination nachvollziehen?

Diese Faszination ist einer der Gründe, weshalb ich mich schon so lange mit diesem Thema beschäftige. Aber gleichzeitig sage ich ganz klar: Jede Energiequelle hat ihre Nachteile, auch die Kernfusion. Diese Vorstellung, dass da unendlich Strom aus der Steckdose kommt, völlig ungefährlich und umsonst, die stimmt so nicht.

Wie stellen Sie sich denn die Energiegewinnung der Zukunft vor?

Ich denke, wir müssen und werden die erneuerbaren Energien ausbauen, Wind, Solar, das ist wichtig. Dann brauchen wir eine Ergänzung, die wir einsetzen können, wenn der Wind nicht weht, die Sonne nicht scheint und die Speicherkapazität nicht ausreicht. Die Kernfusion ist eine der wenigen Alternativen, denn die fossilen Energieträger wollen wir aus guten Gründen nicht mehr, genauso wie die Kernspaltung, also die Gewinnung von Atomenergie. Das heißt, wir müssen die Kernfusion voranbringen, aber als Ergänzung und nicht anstelle von erneuerbaren Energien.

Im Interview2Inews: Bio Hartmut Zohm

60, ist Plasmaphysiker. Er leitet am Max-Planck-Institut den Bereich Tokamak-Szenario Forschung und ist Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München

For­sche­r:in­nen in Kalifornien haben es diese Woche geschafft, beim Verschmelzen von Atomkernen mehr Energie zu erzeugen als zu verbrauchen. Hat Sie das überrascht?

Nein, das habe ich im Prinzip erwartet. Es ist so: Die Kollegen haben ein ähnliches Resultat im Sommer 2021 verkündet, da war das Verhältnis von Energie, die man rausbekommt, zu der, die man reinstecken muss, 0,7. Jetzt ist dieses Verhältnis 1,5, das heißt, man hat die magische Grenze von 1 überschritten. Weil das ein kontinuierlicher Anstieg ist, war es zu erwarten, dass das passiert.

Also kein revolutionärer Durchbruch?

Nee, das ist es nicht. Es ist ein tolles Resultat. Aber die Rechnung, die gemacht wurde – und das ist völlig legitim –, bezieht sich nur auf die Laserenergie, die in das System hineingeleitet wird. Die Energie, die benötigt wird, um überhaupt diesen Laser zu betreiben, fließt da nicht mit ein. Sie können sich das in etwa so vorstellen, dass man einen sehr kleinen Holzspan mit einem gigantischen Streichholz angezündet hat. Es ist toll, dass es da Feuer gab, aber wenn man die gesamte Energie, die dafür aufgebracht werden musste, mit einbezieht, ist die Bilanz nicht mehr positiv. Das hat aber auch niemand behauptet.

Trotzdem hat die Nachricht sehr viel Begeisterung ausgelöst. Die Wissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat anlässlich der Meldung davon gesprochen, dass schon in zehn Jahren das erste deutsche Fusionskraftwerk ans Netz gehen könnte. Das klingt euphorisch, oder?

Ja, auch in meinen Ohren. Aber sie hat dann ja auch gesagt, dass das überambitioniert sein mag, aber man ambitioniert sein muss. So würde ich das auch sehen. Ich persönlich glaube nicht, dass wir innerhalb von zehn Jahren einen Fusions­reaktor am Netz haben. Aber ich glaube, wenn wir diese Ambitionen und Euphorie mit entsprechenden Geldmitteln unter­legen, geht es deutlich schneller als bisher.

wochentaz

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Wie schnell?

Wenn jetzt alles sehr gut läuft, dann könnte es in 20 bis 30 Jahren klappen. Die Direktorin des Labs, an dem diese Woche dieses Experiment geglückt ist, hat danach auch gesagt, es wird einige Jahrzehnte brauchen, nicht fünf oder sechs, aber einige. Das deckt sich also.

In der Physik gibt es einen Witz: Es dauert noch 50 Jahre bis zur Fusionskraft, aber diese Zahl ändert sich nie.

Ich weiß, das bekomme ich bei meinen Vorlesungen auch immer zu hören. Aber wir wissen heute genau, welche Annahmen früher unvollständig waren, und konnten diese ergänzen.

Bei der Nachricht aus den USA ging es um Trägheits­fusion, das ist eine andere Art von Kernfusion als die Magnetfusion, an der Sie forschen. Können Sie den Unterschied kurz erklären?

Grundsätzlich muss man bei der Kernfusion dafür sorgen, dass der Brennstoff, den man reinfüllt, also die Wasserstoffisotope miteinander verschmelzen können. Dafür muss man die Isotope zusammenhalten, weil sie sich eigentlich abstoßen. Bei der Fusion mit magnetischem Einschluss macht man das, indem man ein Magnetfeld erzeugt, sodass die Teilchen an den Magnetfeldlinien kleben und dadurch eingeschlossen werden. Das ist dann stationär, man muss zwar Brennstoff nachfüllen, aber das Magnetfeld und das dadurch eingeschlossene Plasma bleibt einfach da.

Bei der Trägheitsfusion passiert im Prinzip das gleiche wie bei der Wasserstoffbombe

Ist das der Unterschied zur Trägheitsfusion?

Genau. Die Trägheitsfusion oder Initialfusion macht etwas ganz anderes. Die funktioniert im Prinzip so wie die Wasserstoffbombe, nur in Miniaturform. Da geht es darum, etwas ganz schnell aufzuheizen und zu komprimieren, es brennt ab und fliegt dann auseinander. Wie bei einer Wasserstoff­bomben-Explosion, nur eben viel kleiner, sonst fliegt ja die Anlage in die Luft. Damit es beherrschbar ist, muss man ein ganz kleines Kügelchen nehmen.

Wie klein, so wie eine Erbse?

Sogar noch etwas kleiner, wie ein Pfefferkorn, ungefähr. Und dann macht man diesen Prozess zehnmal in der Sekunde, immer hintereinander. Ein Pfefferkorn fällt rein, wird mit dem Laser beschossen, und dann kommt jedes Mal ein Energiepuls.

Die National Ignition Facility macht militärische Forschung. Heißt das, die Nachricht von dieser Woche ist gar kein Schritt hin zum Kraftwerk, sondern zum besseren Verständnis der Bombe?

Man muss schon sagen: Diese Anlage wurde erbaut, um die Bombe besser zu verstehen. Es gibt zwar glücklicherweise keine Atomwaffentests mehr, aber es ist ja leider nicht so, dass diese Waffen alle weggeschmissen wurden. Die Amerikaner haben gesagt, wir brauchen ein Programm, um zu verstehen, was mit diesen Waffen passiert, während sie rumliegen. Das ist jetzt sehr salopp gesagt, natürlich.

Das heißt, es geht gar nicht um Energiegewinnung?

Aus den Experimenten, die dort gemacht werden, kann man auf jeden Fall auch etwas für die Energiegewinnung durch Kernfusion lernen. Aber das Prinzip, das dort verwendet wird, müsste man grundlegend ändern, wenn man es für die zivile Nutzung anwenden wollen würde.

Das ist bei der Forschung, die Sie betreiben, anders?

Ja, bei Magnetfusion ging es schon immer um zivile Nutzung.

Für die Magnetfusion ist der wichtigste nächste Schritt der Bau des Versuchsreaktors Iter im französischen Kernforschungszentrum Cadarache. Wie geht es da voran?

Der Iter ist wichtig, weil wir hier in Garching und auch in Greifswald, wo es ebenfalls einen Versuchsreaktor gibt, gelernt haben, dass wir einen sehr großen Reaktor brauchen, um weiterzukommen. Der wird jetzt in Frankreich gebaut, das ist sehr beeindruckend, aber auch wahnsinnig komplex. Ich denke, dass der Iter Ende des Jahrzehnts in Betrieb sein wird und im nächsten Jahrzehnt dann die positive Energie­bilanz stationär nachweist. Wenn er funktioniert, kann man das Kraftwerk bauen.

Das Max-Planck-Institut wird staatlich gefördert. In den letzten Jahren haben aber auch immer mehr private Investoren das Feld Kernfusion entdeckt, es werden Start-ups gegründet, die große Versprechungen machen.

Ja, das beobachten wir tatsächlich. Ich denke, hier haben mehrere Faktoren zusammengespielt: Energie wird ein immer wichtigeres Thema, auch Energieknappheit. Dann gibt es diese ersten Erfolge bei der Fusionskraft, die zeigen, was möglich sein könnte. Auch die niedrigen Zinsen der letzten Jahre haben dafür gesorgt, dass Kapitalgeber auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten sind.

Was halten Sie von dieser Entwicklung?

Man muss da unterscheiden. Es gibt private Unternehmen, die sehr seriös sind, mit denen arbeiten wir auch zusammen. Es gibt aber auch Leute, die sagen, wir steigen da jetzt ein und können das alles viel besser als die, die schon 30 Jahre lang forschen. Viele der Unternehmen haben keine physikalische Basis. Sie bekommen eine große Anschubfinanzierung – und kommen dann ins Rudern. Für uns als staatlich Geförderte ist das schrecklich mit anzusehen, aber auf dem Gebiet der Start-ups ist es völlig normal, dass vieles nicht klappt.

Lassen Sie uns zum Schluss noch über Atomkraft, also Kernspaltung, sprechen. Es gibt den Vorwurf, dass die Fusionskraft auch nicht ohne Radioaktivität auskommt.

Wir behaupten nie, dass keine Radioaktivität im Spiel ist. Zum einen brauchen wir Tritium als Brennstoff, das ist radioaktiv. Zum anderen führen die Prozesse in einem Fu­sions­reaktor dazu, dass die Wandelemente radioaktiv werden. Aber es ist trotzdem ein riesiger Unterschied zur Kernspaltung: Sowohl das Tritium als auch die Wand­elemente haben eine kurze Halbwertszeit, es dauert nicht Jahrtausende, sondern wenige Jahrzehnte, bis sie nicht mehr strahlen. Es bräuchte also keine Endlager. Und der schlimmste Unfall, der in einem Fusions­reaktor passieren könnte, würde dazu führen, dass man die direkte Um­gebung für ein paar Tage sperren muss. Je nachdem, wie der Wind steht, vielleicht noch nicht mal das. Ein Unfall wie in Tschernobyl oder Fukushima kann mit Kernfusion niemals passieren.

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