Razzia, Iran-Proteste, Kernfusion: Alte Ingenieursreligion
Nancy Faeser will halbautomatische Waffen verbieten. Das iranische Regime richtet Protestierende hin. Und die Kernfusion macht falsche Hoffnungen.
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Friedrich Küppersbusch: Langweilige Zeitschriftentitel zu Weihnachten.
Und was wird diese Woche besser?
Erster Kriegswinter.
Nach der Razzia bei Reichsbürgern fordert Bundesinnenministerin Nancy Faeser ein schärferes Waffengesetz. Was machen die Sportschützen aus der Mitte der Gesellschaft?
Faeser will halbautomatische Waffen verbieten, ein ebenso halbautomatischer Reflex bei solchen Anlässen: Kann man immer mal machen, bei den „Reichsbürgern“ wurden keine gefunden. Knapp eine Million Menschen in Deutschland besitzen legal rund 5,5 Millionen Waffen; amtlich approbierter Knallkopf wird man mal durch schlichte Vereinszugehörigkeit, mal durch psychologische Gutachten. Faeser will nun weniger Datenschutz zwischen Gesundheits-, Waffen- und Polizeibehörden, Beamte sollen schneller gefeuert werden als sie feuern können. Justizminister Buschmann ist privat Trekki und zuckt beim Stichwort „Phaser“ eh immer, auch diesmal lehnt er vieles ab und hat aber einen Punkt: „staatsfeindliche Gesinnung im öffentlichen Dienst“ müsse früher erkannt werden. Womit die FDP fein raus ist unter Ballermännern und Faeser ein Problem hat: Immer noch keine „Polizeistudie“.
Mittlerweile wurde die zweite Person im Iran wegen der Proteste hingerichtet. Schaden die Hinrichtungen dem iranischen Staat?
Hoffentlich. Eine zweistellige Schar zum Tode Verurteilter hat das Regime sich zurechtgelegt, die Urteile lauten auf „Verbrechen gegen Gott“, das trifft es. Schlimm ist der Zusammenbruch aller Hoffnung: ob auf gedeihlichen Handel, reiche Gasvorkommen, ein Atomabkommen. Noch schlimmer ist, dass der moralisch nötige Verzicht auf all dies – auch nichts ändert. Das Regime herrscht in Ruhe; in Unruhe herrscht es noch mehr.
Einem US-amerikanischen Forschungsteam gelang der Durchbruch bei der Kernfusion. Können wir uns darüber freuen, eine unbegrenzte Energiequelle gefunden zu haben?
Superidee, die Sonne auf der Erde nachzubauen, dabei immense Mengen Strom zu verbrutzeln an einem Rohstoff, der nur in AKWs hergestellt werden kann: Tritium. Alternativ könnte man sich auch einfach um Sonnenenergie kümmern. Die Fusionsbilanz des US-Experiments fällt nur positiv aus, weil man den treibenden Laser nicht eingerechnet hat. Schließlich geht’s hier um mehr: die alte Ingenieursreligion, nach der jede Krise eine neue technologische Antwort findet. Mal davon ab, dass jede technologische Antwort neue Krisen gebracht hat.
Ukrainische Medien und Behörden meldeten zahlreiche Angriffe auf Kyjiw. Die USA erwägen, das Patriot-Flugabwehrsystem zur Verfügung zu stellen. Und was macht Deutschland?
Staunt über Befunde der frischen Studie der Uni Mainz zur „Qualität der Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg“. Danach ist die Lieferung auch schwerer Waffen das absolute Lieblingsthema von Bild bis FAZ. „Diplomatie“ dagegen wird mehrheitlich als „ambivalent“ oder „nicht sinnvoll“ berichtet. Das kann man wertegeleitet finden oder als „Hurrajournalismus“ zeihen; jedenfalls deckt sich der Mainstream der untersuchten Publikationen mit der US-Politik beziehungsweise der notorischen Frage: „Und was macht Deutschland?“
Die UN-Biodiversitätskonferenz findet in Montréal statt. Ein Ziel: Bis 2030 30 Prozent der weltweiten Fläche unter Schutz zu stellen. Was bringt’s?
Bares für Rares. Im günstigsten Fall kaufen die reichen den armen Ländern ein paar Biotope und Schutzgebiete ab für den sterbenden Schwan. Im ungünstigsten ist es eine Pokerrunde von Dinos, während tief im All der mörderische Komet heranstiebt. Seit Donnerstag verhandeln die MinisterInnen mit, eine Kompromisslinie könnte werden: Die Verpflichtung, nicht noch mehr Subventionen in Naturzerstörung zu stecken. Da hat die Bundesregierung mit ihrem neuen „Mehr Kohle, Öl und LNG“-Kurs gerade eindrucksvoll vorgelegt.
Im Jahr 2022 sind weltweit so viele Journalisten im Gefängnis gewesen wie nie zuvor. Sollten Journalist*innen über ihre Berufswahl nachdenken?
Man könnte, als Geste, mal etwas für Julian Assange tun. Oder Edward Snowden, und so dem russischen Regime die PR-Geste verderben, etwa für mutigen Journalismus einzustehen. Die üblichen Verdächtigen – China, Myanmar, Iran – muten exotischer an, Russland und die Türkei holen aber auf.
Und was machen eigentlich die Borussen?
Es war eine schöne Zeit. Man konnte die Drecks-WM ignorieren und noch nicht an den Tabellenplatz des BVB denken.
Fragen: Ann-Kathrin Leclère
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“