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Bürgergeld und ArmutLöchriger Rettungsschirm

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Der Streit ums Bürgergeld hat gezeigt, wie Arme politisch instrumentalisiert werden. Dabei muss der Staat gerade ihnen unter die Arme greifen.

Große Sozialreform? Naja. Arbeitsminister Heil beim Besuch eines Jobcenters Foto: Annette Riedl/dpa

D er Vermittlungsausschuss hat am Mittwochabend das Bürgergeld beschlossen, die Sozialleistung kommt voraussichtlich zum 1. Januar. Es gibt monatlich 53 Euro mehr im bisherigen Hartz-IV-Regelsatz und Verbesserungen etwa in den Weiterbildungschancen für Langzeitarbeitslose. Das ist zu begrüßen, aber erwartungsgemäß zu wenig. Wer, wie Hubertus Heil, das Bürgergeld als eine der größten Sozialreformen der vergangenen 20 Jahre bezeichnet, räumt damit ein, dass sozialreformerisch nicht viel passiert ist und die Messlatte für „große Sozialreformen“ sehr, sehr niedrig lag.

Dabei zeigt die unschöne Debatte um die vermeintliche Privilegierung von Langzeitarbeitslosen und deren mögliche Sanktionierung bei Pflichtverletzungen, wie diese Empfängergruppe immer wieder politisch instrumentalisiert wird, ohne dass man sich wirklich um deren Lebensrealität schert.

Das heißt nicht, dass es in Einzelfällen keinen Sozialmissbrauch gibt. Missbrauch gehört zu den Nebenwirkungen von Steuer- und Sozialsystemen. Für die Mehrheit aber gelten ein paar Fakten, die eher nicht so bekannt sind: Nur 42 Prozent der erwachsenen Be­zie­he­r:in­nen von Hartz-IV-Leistungen sind überhaupt als Arbeitslose gemeldet. Die anderen Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen sind in Jobcenter-Maßnahmen, arbeiten mit Hartz-Aufstockung, betreuen kleine Kinder, pflegen Angehörige, machen gerade eine Ausbildung, sind aktuell erkrankt und anderes.

Von den 42 Prozent arbeitslos gemeldeten Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen wiederum hat die Mehrzahl sogenannte „Vermittlungshemmnisse“, das heißt zum Beispiel, sie haben gesundheitliche Probleme, psychische Schwierigkeiten, sind älter, sprechen zu wenig Deutsch, können wegen der Kinder keine Schichtarbeit machen. Es ist vielen von ihnen eben nicht mal so eben möglich, einen Vollzeitjob als Pa­ket­zu­stel­le­r:in oder Hilfs­pfle­ge­r:in anzufangen und durchzuhalten, auch wenn es diese Jobs gibt.

Der Name muss zum Auftrag werden

Der fehlende Berufsausbildungsabschluss ist dabei nur einer von vielen Hindernissen. Daher dürften die von der SPD propagierten Weiterbildungsmaßnahmen, so gut sie sind, für viele Betroffene oftmals gar nicht ausreichen, um sie in den Arbeitsmarkt zu bringen. Das Bürgergeld ist ein löchriger Rettungsschirm für Schicksale.

Deswegen darf die Debatte um das Geld, das man braucht, um Armut zu lindern, nicht abreißen, sondern muss im Gegenteil weitergehen. Dabei geht es etwa um die realen Wohnkosten in Städten, den Aufwand für den Lebensunterhalt und die Haushaltsenergie, die Menschen ohne eigenes Arbeitseinkommen nun mal nicht aus eigenen Mitteln finanzieren können. Der Name „Bürgergeld“ muss zum Auftrag werden. Wenn sich mit dem „Bürgergeld“ hingegen Armutslagen verfestigen, wird der Begriff zur Satire. Diese Gefahr besteht.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).