Püriertes Obst für Kinder: Woher kommt der Quetschie-Hass?
Zu Quetschies haben viele Leute eine Meinung, die leidenschaftlicher ist, als ein Beutel Obstmus das verdient hätte. Woran liegt das?
D ie Frau hinter der Kasse sieht mich an, als hätte ich ihr gerade erklärt, dass Wasser nass ist. Die Leute in der Schlange mustern mich. Dabei wollte ich beim Betreten der Drogerie bloß klarstellen, dass wir das Quetschie, das der Einjährige hält, mitgebracht und nicht geklaut haben. Dinge, die sich angewöhnt, wer ständig von Ladendetektiv*innen verfolgt wird.
Sie nickt desinteressiert, die Leute wenden sich wieder ab. Nur eine Frau murmelt: „Pff, Quetschies. So ein Müll. Soll mal einen Apfel essen.“ Aber ich habe keine Zeit für ihre Abschätzigkeit, ich bin mit beiden Kindern hier, weil wir Haferflocken brauchen, aber vor allem, um die Erdnüsse zu kaufen, die der Fünfjährige gerade in besorgniserregenden Mengen verschlingt.
Als ich den Einkauf zu Hause auspacke, denke ich darüber nach, wie sehr man sich über einen Beutel Obstmus echauffieren kann. Aber sie ist nicht die Erste. In den vergangenen Jahren habe ich viele fremde Leute getroffen, die nicht umhin konnten, mir ihre Meinung über püriertes, portioniertes Obstmus zu erläutern. Und jedes Mal bin ich amüsiert, weil niemandem klar ist, wieso sie dieses Päckchen Obst so sehr hassen – mir am allerwenigsten.
Vielleicht steht das Quetschie symbolisch für die Wegwerfgesellschaft. Aber ich habe noch nie erlebt, dass jemand wegen eines Joghurtbechers oder einer Brottüte nur annähernd so aufgeregt gewesen wäre. Viele Lebensmittel sind verpackt, viele unnötig. Vieles ist verarbeitet und portioniert: Fischstäbchen, Rahmspinat, Müsliriegel.
Kann man doch auch am Stück essen? Ja, kann man
Da verliert aber keiner die Fassung. Natürlich lässt sich manches vermeiden. Das tun wir auch und trotzdem gibt es hier Quetschies. Weil sie praktisch sind, wenn man Kinder hat. Wie Gläschennahrung und Wegwerfwindeln.
Vielleicht treffe ich ganz zufällig oft auf krasse Umweltschützer*innen? Mag sein, aber ich würde wetten, dass keiner von denen schon mal einem Autofahrer auf der Straße die Meinung gegeigt hat: „Pff, ein Auto? So ein Dreck. Soll mal zu Fuß gehen.“
Vielleicht ist es die Verarbeitung von Lebensmitteln. Muss man Obst pürieren? Kann man doch auch am Stück essen? Ja, kann man. Aber Quetschies sind auch mit wenigen Zähnen und dreckigen Händen essbar, sie halten sich lang und sind abgekocht. Und, kaum zu glauben: Kinder bekommen Quetschies vielleicht nicht statt Obst und Gemüse, sondern zusätzlich.
Aber ich glaube, der eigentliche Grund für die Aufregung ist ein anderer: Dieses verpackte, gekaufte Obstmus entspricht nicht dem Bild einer „guten Mutter“.
Wenn ich meinem Kind ein Quetschie in die Hand drücke, dann sprüht da keine Liebe raus. Wenn ich nicht den lieben langen Tag beschürzt in der feuergewärmten Küche stehe, die selbst gepflückten Äpfel mit den bloßen Händen durch ein Sieb drücke und in kleine Gläser mit rot-weiß karierten Deckelchen fülle – dann ist es wohl einfach nicht gut genug.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen