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Hartz IV und BürgergeldVon Bildungswilligen und Kleinerben

Der Bundestag hat das Bürgergeld beschlossen. Wer in Not gerät, sich aber Kurse selbst aussucht, kurz vor der Rente steht oder etwas erbt, profitiert.

Eine Karenzzeit für höhere Wohnkosten kann auch für Selbstständige wichtig sein Foto: Steve Bauerschmidt/imago

Berlin taz | Der junge Mann lebte von Hartz IV und hatte ein Jobangebot im Sicherheitsbereich am Düsseldorfer Flughafen, das er auch gern annehmen wollte. Nur: Dazu brauchte er einen „Security-Schein“. Kurs- und die Prüfungsgebühr hätten zwischen 600 und 800 Euro gekostet. Von seinem Regelsatz konnte er das nicht bezahlen. Er fragte beim Jobcenter nach, doch der Sachbearbeiter lehnte ab. Einen Anspruch auf den Kurs hatte der Mann nicht.

„Solche Fälle haben wir öfter“, berichtet Harald Thomé, Berater im Selbsthilfeverein Tacheles in Wuppertal, bei dem der Mann Hilfe suchte. „Das Jobcenter bewilligt dann eine gewünschte Weiterbildung einfach nicht. Deswegen ist es so wichtig, dass mit dem Bürgergeld der Vermittlungsvorrang in Arbeit abgeschafft und die Weiterbildung gestärkt wird.“

„Die Bedeutung der Dauerhaftigkeit der Eingliederung in Arbeit auch bei der Auswahl der Leistungen zur Eingliederung“ werde gestärkt, heißt es im Gesetzentwurf zum Bürgergeld, den der Bundestag mit Stimmen der Ampelkoalition am Donnerstag verabschiedete. Damit verschiebt sich die Verhandlungsgrundlage zwischen den Hil­fe­emp­fän­ge­r:in­nen und ihren Ver­mitt­le­r:in­nen zugunsten der Weiterbildung, und es wird schwieriger, die Betroffenen kurzfristig in Helferjobs zu drängen.

Auch die „Karenzzeiten“ für die Übernahme der vollen Wohnkosten sind für bestimmte Gruppen besonders wichtig. „Wir haben Menschen in der Beratung, vorwiegend Ältere, die vorher wirtschaftlich besser gestellt waren, die dann arbeitslos wurden, durch das Arbeitslosengeld I, vielleicht noch durch das Krankengeld in das SGB II rutschen. Für diese Gruppe ist es relevant, dass in der Karenzzeit die Wohnkosten voll übernommen werden“, sagt Thomé. Das künftige Bürgergeld könnte dann auch als Übergang bis zum Bezug einer Erwerbsminderungs- oder Altersrente dienen.

Home-Office braucht größere Wohnungen

Eine Karenzzeit für höhere Wohnkosten kann auch für Selbstständige wichtig sein. „Selbstständige arbeiten oft im Homeoffice, dafür brauchen sie mehr Fläche, die aber technisch gesehen als Wohnfläche gilt. Von daher ist es eine Entlastung, wenn die Wohnung erst mal geschützt ist“, sagt Andreas Lutz, Vorsitzender des Verbands der Gründer und Selbstständigen in Deutschland (VGSD). Lutz begrüßt, dass im Bürgergeld die Erwerbseinkommen in etwas geringerer Höhe als bisher auf die Sozialleistung angerechnet werden sollen.

„Es bleibt aber das Problem der Bürokratie“, sagt Lutz. Selbstständige „Aufstocker“ müssen beim Jobcenter komplizierte Abrechnungen vorlegen, in denen das zu erwartende Einkommen erst mal im Vorhinein geschätzt und hinterher rückwirkend korrigiert wird und auch die Betriebskosten berücksichtigt werden müssen. Viele Selbstständige in Not scheuten daher den Antrag, so Lutz.

Laut dem Gesetzentwurf, den die Ampelkoalition jetzt vorgelegt hat, sollen Erbschaften „kein Einkommen“ mehr darstellen, sondern dem „Vermögen“ zugeschlagen werden. Bisher muss eine Hartz-IV-Empfängerin, die von der Tante 10.000 Euro erbt, dieses Geld als „Einkommen“ erst aufbrauchen, bevor sie weiter die Sozialleistung beziehen darf. Damit waren auch kleinere Erbschaften für Hartz-IV-Empfänger:innen unmöglich. Kommt das Bürgergeld, zählt das Erbe künftig als Vermögen, und dann gelten die Vermögensschonbeträge, die – jenseits der Karenzzeit – 15.000 Euro für einen Alleinstehenden betragen.

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5 Kommentare

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  • Es ist wohl ein erster Schritt in die richtige Richtung zu einem bedingungslosen Grundeinkommen. Schade, dass es nach wie vor Leistungsminderungen gibt, die glücklicherweise etwas entschärft wurden.

  • Ich habe 12 Jahre H4 und DREI Umschulungen hinter mir. U1 und U2 wurden trotz Bestnoten vorzeitig abgebrochen; offizielle Begründung: Auf eigenen Wunsch wurde die Umschulung vorzeitig abgebrochen.



    U3 ist da schon interessanter. Ein sechsmonatiges Praktikum ist während der Umschulung Pflicht. Ich hatte eines in einem Finanzinstitut auf der Düsseldorfer KÖ, also so etwas wie einen 6er im Lotto - es wurde mir grundlos verweigert!



    Dann kam Corona, und ich fand natürlich keinen neuen Arbeitgeber für ein Praktikum, wurde aber trotzdem, nach viel hin und her zwischen Umschulungsleiter, IHK und meiner Anwältin zugelassen. Die Prüfung habe ich im Halbschlaf gewuppt, und jeder andere Teilnehmer hat sich über die lächerlichen Fragen gewundert. Ich bin mit Schulnote !!! 6 durchgefallen.



    Eine neue Umschulung zu bekommen, wäre absolut kein Problem für mich. Finanziell wäre die ein gigantischer Vorteil, denn ich bekäme etwa !!! 400,- EUR ZUSÄTZLICH. Aber der Ärger, der mit Veranstalter und Jobcenter bei ALLEN Teilnehmern auf dem Tagesplan steht, und der eine gehörige Elefantenhaut und Wissen um den Umgang mit Anwälten verlangt, ist selbst dieses Geld nicht wert.

    • @HotteHueh:

      Mit Schulnote 6 durchgefallen ?



      Muss ich das jetzt verstehen ?

      • @Alex_der_Wunderer:

        Ich bekam eine 6 für meine Arbeit. Auch wenn ich keine 1 hatte, aber eine 2 garantiert, denn die Fragen waren durchweg lächerlich. Man gab mir aber eine 6! Wieso? Inoffiziell weil das Praktikum fehlte, welches ich eigentlich hatte - eigentlich.

  • Danke, schön, dass hier neue Teilaspekte erläutert werden.



    Wochenlang schien es ja nur um 50 Euro mehr oder weniger zu gehen.



    Immerhin ist ja schon zur Zeit der Coronahilfen aufgefallen, dass Selbstständigkeit auch hart an der Armutsgrenze bedeuten kann. Gut, dass auch diese UnternehmerInnen in den Blick genommen werden.