Cellistin über Weltraum-Kunstprojekt: „Das sind große Themen“
Musik, Tanz und Astrophysik: Cellistin Martha Bijlsma über das Kunstprojekt „Farfarout“, das jetzt in Hildesheim und Hannover aufgeführt wird.
taz: Martha Bijlsma, haben Sie – oder tun Sie es vielleicht immer noch – je davon geträumt, in den Weltraum zu reisen?
Martha Bijlsma: Das ist eine gute Frage. Ich habe da, ehrlich gesagt, vorher nie drüber nachgedacht. Aber jetzt, wo wir mit diesem Projekt angefangen haben, kann ich mir das vorstellen. Gleichzeitig macht es mir aber auch Angst, weil das Universum so überwältigend unendlich ist.
Was uns hier zusammenbringt, ist das erwähnte Projekt: ein interdisziplinärer Abend, Musik, Tanz, aber auch harte Wissenschaft – eben zum Weltraum. Sie haben die Arbeit daran sicher mit bestimmten Vorstellungen und Ideen im Kopf. Hat Sie die tatsächliche Vorstellung mit dem Weltraum dann überrascht? Ihr Bild davon verändert?
Ich glaube, am meisten überrascht war ich davon, wie nah das Thema der Kunst ist. Ich hatte, ehrlich gesagt, ein bisschen Sorge: ob das wirklich zusammenkommt? Und dann auch noch mit einem echten Astrophysiker …
Performance-Konzert „Farfarout“ von Flex Ensemble und Farout Artistic Research (Pamplona/Spanien):
Sa, 26. 11., 19.30 Uhr, Hildesheim, Rasselmania
So, 27. 11., 15 Uhr, Hannover, Sprengel-Museum/Calder Saal
Das klingt erst mal sehr scary. Das sind große Themen – aber auch Themen, die uns alle angehen: Wie gehen wir mit unserem Planeten um? Das sind Fragen, die uns bewegt haben, die wir nicht beantworten, aber stellen.
Sie sind Musikerin – gibt es eine mir vielleicht unbekannte Verbindung zwischen Musik und dem Weltraum? Immerhin ist Musik ja auch nur Physik, wenn wir genau genug hinsehen.
Was wir mehr untersucht haben, wessen wir uns mehr bedienen, sind eher philosophische Fragen. Der Astrophysiker ist wirklich eng eingebunden in das Projekt: Er spricht am Anfang des Konzerts über die Entstehung des Universums, über die expansive und ständige Bewegung des Sonnensystems. Eigentlich also darüber, dass wir nie alles wissen werden, aber ständig suchen; dass wir selten merken, wie schnell wir uns bewegen und was da alles passiert um uns herum.
„How fast do I travel when I sit still“: So ist der Abend überschrieben.
Das haben wir versucht als Inspiration zu nehmen. Ich glaube, derlei lässt sich nicht eins zu eins künstlerisch umsetzen. Aber abstrakt kann man sehr gut arbeiten mit dieser Idee: Auch in der Musik und in der Bewegung selbst gibt es die Dualität von Bewegung und Ruhe, davon dass etwas geschieht – oder eben nicht.
Text steuert nur Herr Colomer bei, die Musik ist rein instrumental, oder?
Es gibt so etwas wie eine wissenschaftliche Einleitung vorneweg, damit das Publikum vielleicht mit etwas anderen Ideen, neuen Perspektiven auf die Performance schaut. Was da dann passiert, ist ziemlich abstrakt: Die Choreografin …
… Emilia Benitez …
… hat sich wirklich beschäftigt mit Mikro- und ganz großen Bewegungen, Explosionen und solchen Sachen. Wir Musiker sind ja ein bisschen stationär, so als Klavierquartett. Inwieweit sind wir trotzdem Teil der Choreografie und können wir uns – miteinander – bewegen? Francisco Colomer wird während der Performance noch mal zurückkehren und ein paar Texte in den Raum werfen. Und am Ende geben wir kleine Feedbackkarten aus, sodass das Publikum auch Ideen oder Fragen einspeisen kann. Und es gibt dann noch die Möglichkeit zu einem Gespräch.
Die Premiere von „Farfarout“ haben Sie ja schon hinter sich.
Ja, das war am 11. November in Pamplona.
Haben die Leute da Fragen gestellt – und wenn ja, welche?
Wir hatten nicht die Gesprächsform, aber Karten tatsächlich. Da kamen viele sehr persönliche Reflexionen, also etwa die Idee, dass wir so klein sind, dass unser Planet so klein ist – im Vergleich mit dem Universum. Und die Überlegung: Wie wir mit der Erde umgehen, das ist doch sehr problematisch.
Ein kurzer Blick auf die Musik: Es stehen zwei Uraufführungen auf dem Programm, von Sergio Luque und Gordon Williamson. Daneben werden drei Komponist*innen genannt mit existierenden Stücken. Wie kam dieses Programm zustande?
Zum einen ging es darum, ein bisschen Platz zu haben für den Tanz, die Choreografie. Es sollte nicht alles für Klavierquartett geschrieben sein. Deshalb nun ein Stück für Solo-Violine von Yūji Takahashi: Das sind wirklich Fragmente. Der hat ein paar Takte geschrieben, auf die man eigene Ideen spielen kann, wenn es passt, sozusagen. Und wir dachten, dass das sehr gut passen könnte, wenn wir verteilt da im Raum sind. Auch weil die Möglichkeit zu improvisieren gegeben ist, auch zusammen mit den Tanzenden. Und wir können das Timing selbst bestimmen. Von Morton Feldman spielen wir das Stück „Four Instruments“, das viel mit Stille zu tun hat, da passiert an der Oberfläche nicht viel – aber weil man dadurch die Möglichkeit hat, das Wenige, die Details zu hören, ist das eine spannende Erfahrung. Dafür setzen wir uns weit auseinander. Und dann von Snežana Nešić noch ein sehr emotionales Stück, das mit der Sonne zu tun hat: ein Poem über die Sonne. Wir haben bemerkt, dass es darin mehrere improvisierte, improvisatorische Momente gibt, es kommt aber alles jedes Mal wieder zurück zu so einem harmonischen Teil.
geboren 1985, hat Cello in Utrecht, Amsterdam und London studiert. Sie war 2012 Mitgründerin des hannoverschen Flex Ensemble, dem sie bis heute angehört.
Mit Gordon Williamson, der ja in Hannover lebt und arbeitet, haben Sie schon öfter zusammengearbeitet, oder?
Ja, genau. Nun spielen wir eine Ouvertüre von ihm, die haben wir auch schon mal aufgenommen. Er arbeitet unter anderem mit dem E-Bow im Klavier.
Ein kleines Gerät, das die Saiten elektromagnetisch ins Schwingen bringt, was ganz anders klingt, als wenn sie mit dem Hammer angeschlagen werden: stehender, flächiger.
Es kommen also ganz fremdartige Klänge zum Einsatz, beinahe wie aus einer anderen Welt. Wir haben natürlich auch überlegt, was sich gut für den Tanz eignet, und da gibt es viele sehr explosive Momente – wie es sie natürlich auch um Universum gibt. Und dann wieder, ja, Klangflächen.
Teil des Selbstverständnisses Ihres Ensembles ist es, immer wieder nach neuen Wegen der Vermittlung zu forschen. Dafür ist dieser Abend – mit einem Wissenschaftler, den spanischen Kolleg*innen – sehr repräsentativ, oder?
Auf jeden Fall. Wir versuchen immer, die Grenzen zwischen Publikum und Musiker*innen zu erspüren, damit zu experimentieren. Hier ist das noch mal auf eine andere Ebene gehoben, weil die Wissenschaft ins Spiel kommt; eine Beteiligung des Publikums ist aber auch wieder Teil dieser Performance. Für uns ist dieses Projekt durchaus neu, aber auch etwas, das uns schon lange interessiert.
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