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Urteil gegen autofreie FriedrichstraßeSo oder so kommt die Fußgängerzone

Uwe Rada
Kommentar von Uwe Rada

Am Dienstag entscheidet sich, ob der Berliner Senat in Berufung geht. Schon diese Woche hat Mitte den ersten Schritt zur Fußgängerzone eingeleitet.

Radfahrer und Vitrinen machen noch keine Aufenthaltsqualität Foto: Picture Alliance/Paul Zinken

E s gab Zeiten, da waren Fußgängerzonen Auslaufmodelle. In Berlin ließ sich diese putzige Ausnahme von der Regel „autogerechte Stadtplanung“ in der Wilmersdorfer Straße besichtigen. Vitrinen auf der Straße sollten damals Kauflaune verbreiten.

Inzwischen sind nicht mehr Fußgängerzonen Auslaufmodelle, sondern Straßen, auf denen wie eh und je Autos rollen oder stehen. Der Kampf um die Verteilungsgerechtigkeit im öffentlichen Straßenraum wird in Berlin beispielhaft an der Friedrichstraße ausgefochten. Seit August 2020 ist der 500 Meter lange Abschnitt zwischen Leipziger und Französischer Straße für den Autoverkehr gesperrt.

Verkehrsversuch nannte sich das im Amtsdeutsch. Weil der im Mai zu Ende war, die Sperrung aber aufrechterhalten wurde, musste das Verwaltungsgericht zu einer Grätsche ansetzen. Geklagt hatte eine Weinhändlerin in der parallel verlaufenden Charlottenstraße, die sich die Autofahrer als Umleitung aussuchen. Kein Verkehrskonzept für die Seitenstraße habe der Senat vorgelegt. Das Gericht gab ihr Recht.

Anfang der kommenden Woche will nun Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) bekannt geben, ob sie gegen das Urteil in Berufung geht. Das bestätigte Jaraschs Sprecher Jan Thomsen der taz. Über eine mögliche Berufung war zuletzt ein heftiger Streit zwischen Jarasch und der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) entbrannt.

Giffey will die Autos wieder zurücklassen, das Auslaufmodell Autostraße also wieder rehabilitieren. Jarasch will das ehemalige Auslaufmodell Fußgängerzone rehabilitieren, zumindest in der Friedrichstraße. Der Gerichtsbeschluss kann das nicht verhindern.

Denn das Verwaltungsgericht bemängelte lediglich die zeitliche Lücke zwischen dem beendeten Verkehrsversuch und der noch nicht für Autos verbotenen Fußgängerzone. Ohne eine solche so genannte Teileinziehung könne man den Autoverkehrs nur mit dem Hinweis auf eine Gefahrenabwehr verbannen. Das war auch der Hintergrund der etwas verschnupften Äußerung Jaraschs, Franziska Giffey habe das Urteil womöglich „nicht richtig verstanden“.

Wahlkampfthema Friedrichstraße

Es ist Wahlkampf in Berlin, und die Friedrichstraße ist über Nacht zum Wahlkampfthema geworden. Ein Akteur dabei ist auch der grün geführte Bezirk Mitte. Der hat in dieser Woche den Antrag auf Teileinziehung gestellt. Damit kann eine Straße auf eine bestimmte Nutzergruppe beschränkt werden. Es ist also offiziell: Die Friedrichstraße soll zur Wilmersdorfer Straße werden – nur eben jetzt als role model. Das ist also der Plan, und die Frage ist, ob ihn die SPD durchkreuzen kann.

Die Gewerbetreibenden können ihn zumindest aufhalten, wenn sie Widerspruch gegen die Verfügung einlegen. Unklar ist dann, wann genau die 500 Meter lange Kampfzone autofrei wird. Unklar ist aber auch, was ein Einspruch gegen das Verwaltungsgerichtsurteil bringen würde. Zeitgewinn für den Bezirk? Oder die nächste Schlappe, diesmal eine Instanz höher? Es wäre auch eine Schlappe für Jarasch, deren Verwaltung es tatsächlich versäumt hat, ein schlüssiges Verkehrskonzept vorzulegen.

Sowohl für Bettina Jarasch als auch für Franziska Giffey ist das ganze nicht ohne Risiko. Beide können sich verkämpfen. In ruhigen Zeiten wäre da wohl nach einem Koalitionsausschuss alles geregelt. Aber Wahlkampf ist keine ruhige Zeit.

Und manch einer wird sich fragen, ob Berlin das wirklich kann: eine Fußgängerzone als role model. Beim Verkehrsversuch ab August 2020 wurden ausgerechnet wieder Vitrinen aufgestellt. In der Wilmersdorfer waren sie in den neunziger Jahren auch deshalb abgebaut worden, weil sie als zu provinziell galten.

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Uwe Rada
Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.
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6 Kommentare

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  • 6G
    658767 (Profil gelöscht)

    Im Endeffekt entscheidet die Betriebswirtschaft über Erfolg oder Misserfolg von verkehrsmsssnahmen. Wenn viele Leute durch die Fredrichstrasse laufen, nützt das alles nichts, wenn sie dort nicht einkaufen und nur Kaffee oder friten konsumieren. Ohne Galerie Lafayette würde innerhalb kürzester Zeit das ganze Quartier 206 und 204 verwaist. Die grüne verkehrsstadträtin wird ja schon bald beweisen können wie sie die Aufenthaltsqualität in der müllerstrasse verbessert nachdem Karstadt dort schließt. 1+1 sind eben 2 und nicht 3. Hier gilt es anzusetzen.

  • Klotzen statt kleckern! Ob Friedrichstraße oder Graefe-Kiez, dem demnächst aus Autofahrersicht die Fußgängerzone "droht" - da wird eine längst klare Notwendigkeit im Minimodell zerlegt. Statt privaten Autobesitz insgesamt und fossile Antriebe im Speziellen drastisch zu reduzieren, verdrängt man den Verkehr samt Parkplatzsuche einfach in die Nachbarstraßen - vom eigenen Auto weg kommt so niemand. Dabei kann ganz Berlin Autofrei und im Großen zeigen, dass es super ist, wenn statt parkender Autos, die im Durchschnitt eine Stunde pro Tag bewegt werden, Bedarfsgerechte und flexible Mobilität für alle geht und die Stadt den CO2 Ausstoß im Verkehr von jetzt 100 auf 10 reduziert und dabei fast ohne Feinstaub und kaum noch Verkehrslärm Ferienflair bekommt. Geht in keiner Stadt schneller als in Berlin. Die Stadt hat eines der größten U-Bahnstreckennetze weltweit. Die S-Bahn wurde jahrzehntelang von der Bahn vernachlässigt, müsste der der BVG übertragen werden, dann funktioniert die auch. Technisch kann die U-Bahn schon jetzt 90-Sekunden Takt und statt 1,5 Millionen Fahrgäste täglich 3,5 Millionen bewegen. Mehr Fahrzeuge, mehr Personal brauchts. Plus alles was für flexible Mobilität noch fehlt: Minibusse und Sammeltaxis, Taxis zum BVG-Preis für alle, die z.B. mit Rolli oder Zwillingswagen mobil sind und solche, die aus gesundheitlichen Gründen keine Öffis nutzen. Berlin kann auch Venedig mit all dem Wasser und Wasserbusse auf Spree und Kanäle bringen. Natürlich auch Carsharing für private Fahrten zum Spaß oder zur Arbeit. (E-) Bikesharing überall. Nutzfahrzeuge bleiben in der Stadt. Auch wenn dann jede zweite Straße Fußgängern oder Radfahrern gehört, kommen die Nutzfahrzeuge Staufrei auf weniger Straßen so viel schneller an als jetzt. Modell Berlin. Wird reich. Denn klar, für die Reduktion auf fast 0 Emissionen im Verkehr gibts ordentlich Schotter. Wer sich dann nicht mehr wohlfühlt in Berlin ohne Dauerstau, Verkehrslärm, Unfällen etc. kann umziehen in eine (noch) Autostadt.

    • @Nina Janovich:

      Das Problem beim ÖPNV in Berlin ist die fehlende Durchlässigkeit. ÖPNV funktioniert allenfalls im Innenstadtbereich. Jeder, der von Ausserhalb kommt hat überhaupt keine Möglichkeit, umzusteigen.

      Berlin müsste ca. 40 Parkhäuser am Ring errichten und diese preislich in das Ticket inkludieren und könnte so ohne weiteres den privaten PKW Verkehr aus der Innenstadt aussperren. Easy.

  • Frau Giffey hatte nach dem Urteil nichts anderes gefordert als dessen Umsetzung. Das hat Fau Jarasch offensichtlich "nicht richtig verstanden".

    Wie der Autor dazu kommt, "Schon diese Woche" zu schreiben, bleibt sein Geheimnis. Angesichts der Tatsache, dass das Verkehrsprojekt schon seit Monaten ausgelaufen ist, ist das Wort "Schon" in diesem Zusammenhang der blanke Hohn.

  • Also fassen wir nochmal zusammen:

    Friedrichstrasse als Fußgängerzone geht



    F. mit Autos geht auch...



    F. mit Fahrrädern geht nicht... also:

    - Fußgänger: gut



    - Autos: gut



    - Fahrräder: böse...

    ...irgendwas stimmt nicht in diesem Land...

    :-(

    • @Wunderwelt:

      Vielleicht ist Ihre Zusammenfassung das, was nicht stimmt?

      F. mit Autos heißt ja immer auch F. mit Fußgängern auf Fußwegen und F. mit Fahrrädern.

      Übrigens fuhr es sich da schon vorher mit dem Rad recht gut.

      War mal eine Zeit lang mein Arbeitsweg.

      F. als Fußgängerzone ist nun mal F. ohne Fahrrädern.