piwik no script img

Ex-Models und ihre ProblemeSchlaflos in Eppendorf

Wie wirkt sich die Weltlage auf Menschen ohne echte Probleme aus? Ein fiktives Gespräch unter Freundinnen.

Mailand und der besondere Blick auf die Welt: Ein Model präsentiert die Benetton-Kollektion 2020/21 Foto: dpa/AP | Luca Bruno

Soll ich jetzt Melatonin oder CBD-Öl gegen meine Schlafprobleme ausprobieren?“, fragt die eine hochgewachsene Frau im langen Steppmantel die andere hochgewachsene Frau im langen Steppmantel am Eppendorfer Baum.

„Echt jetzt? Schon wieder das Thema, Wiebke, das sind doch Luxusprobleme, darüber braucht man nicht ewig reden. Mach es halt so oder so oder lass es bleiben.“

„Wir reden doch auch endlos über den Schimmel in deinem Gästebad, das ist so übertrieben öde!“

„Darüber reden wir gar nicht endlos!“

„Doch, andauernd, als wäre das weltbewegend, ob der Schimmel wieder da ist, in welchen Grautönen und an welchen Stellen er auftritt, was du dagegen Neues unternimmst, et cetera pp.!“

„Schimmel ist aber auch der Rede wert, er kann die Gesundheit relevant schädigen!“

„Schlafmangel auch!“

„Ach, Schlafmangel, wir modeln doch schon ewig nicht mehr, die Kinder sind aus dem Haus, wozu muss man ausgeschlafen sein?“

„Ihr habt nie Gäste, wozu brauchst du ein schimmelfreies Gästebad?! Das ist nun echt ein Luxusproblem!“

„Ob etwas ein Luxusproblem ist, hängt immer an der Perspektive, Schimmel in meiner Wohnung ist mein Problem, egal in welchem Zimmer!“

„Egal in welchem der acht! Zimmer meinst du!“

„Und in welchem deiner drei Schlafzimmer hast du Schlafstörungen?!“

„Wenn ich nicht genug schlafe, kann ich die Weltlage emotional nicht mehr ausbalancieren!“

„Seit wann interessiert dich Politik oder das Leid anderer?!“

„Das interessiert mich alles sehr wohl, und zwar auf eine sehr osmotische Art!“

„Ach ja? Wie das?“

„Mit Mitgefühl.“

„Inwiefern?“

„Ich seh’ mir ständig alles ungeschönt im Internet an, bis ich weinen muss, Iran, Ukraine, Armut im Allgemeinen, Rassismus, Blutvergießen, Ebola, Umweltkatastrophen, ich gucke täglich zum ersten Kaffee furchtbare Videos, auch wie Menschen erschossen werden!“

„Wahrscheinlich hast du deshalb Schlafprobleme!“

„Womöglich.“

„Dann sind deine Schlafprobleme politisch.“

„Ja, das sind sie, sie sind als Kollateralschaden mein Ausdruck von Solidarität. Irgendein wichtiger Philosoph hat mal gesagt, Mitgefühl sei das höchste der Gefühle.“

„Fühlen ist so immens wichtig!“

„Ohne Gefühle ist alles nichts.“

„Aber dann solltest du auch konsequent sein und nichts gegen die Schlafprobleme einnehmen.“

„Du hast recht, man muss das Leid anderer aushalten, mit aller Konsequenz!“

„Weißt du noch früher in Mailand oder Paris haben wir gar nichts ausgehalten. Wenn wir nicht gebucht wurden, haben wir echt gedacht, wir sind nichts wert!“

„Wir haben alles in Wodka ertränkt!“

„Und die Welt hat uns einen Scheiß interessiert.“

„Aber irgendwann musst du auch als schöne Frau erwachsen werden!“

„Gut heiraten.“

„Und dich aktiv beschäftigen.“

„Mit den ersten Falten.“

„Dem Leid der Welt.“

„Das Leid der Welt lenkt so schön ab von der eigenen Banalität.“

„Katharina!“

„Jetzt mal ehrlich, wir haben keine echten Probleme!“

„Nun ja, was ist überhaupt echt, im Sinne von wirklich fassbar?“

„Auf jeden Fall der Schimmel in meinem Bad.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Jasmin Ramadan
Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr neuer Roman Roman „Auf Wiedersehen“ ist im April 2023 im Weissbooks Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • „Das interessiert mich alles sehr wohl, und zwar auf eine sehr osmotische Art!“



    Osmotische Art! Das ist gut! Werde ich jetzt auch immer mal einbauen.



    Auf der nächsten Vernisage nach kräftigen Vorglühen, so den Satz hingeschleudert ach dieses neue Bild von Leo ist so osmotisch, diese Farben.



    Wenn in der 7.Etage wieder die Frau die so gut duftet einsteigt werde ich sagen dieser Fahrstuhl fährt heute wieder so osmotisch. Mal sehen.



    Am Eppendorfer Baum steht eine Freudinn herum, da hat der Schimmel schon gewaltig zu geschlagen.



    flickr.com/photos/...hbu-2n4BqLb-6qBLBa