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Artenschutz auf dem KlimagipfelZwei Krisen mit einer Klappe

Der Klimagipfel nimmt den Verlust der Biodiversität ins Visier. Krisen müssen gemeinsam gelöst werden, sagt Umweltministerin Steffi Lemke.

67 Prozent der Wälder in Deutschland haben einen formellen Schutzstatus, aber das reicht nicht Foto: W. Rolfes/imago

Berlin taz/epd/afp | Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hofft auf ein Bekenntnis der Weltklimakonferenz zu naturbasierten Lösungen im Kampf gegen die Erderwärmung. Die drei planetaren Krisen Verschmutzung, Artensterben und Klimawandel hingen zusammen und müssten gemeinsam gelöst werden, sagte sie am Mittwoch in Scharm al-Scheich. Dafür startete Lemke gemeinsam mit ihrer ägyptischen Amtskollegin Yasmine Fouad sowie der Weltnaturschutzunion die „Enact-Initiative“. Das Ziel von Enact ist es, bis zu 2,4 Milliarden Hektar gesunder natürlicher und nachhaltiger landwirtschaftlicher Ökosysteme zu sichern, indem 45 Millionen Hektar unter Schutz gestellt, 2 Milliarden Hektar nachhaltig bewirtschaftet und 350 Millionen Hektar renaturiert werden. Weiter hieß es, mindestens eine Milliarde schutzbedürftiger Menschen, darunter mindestens 500 Millionen Frauen und Mädchen, sollten vor den Folgen des Klimawandels geschützt und ihre Resilienz gestärkt werden.

Die Initiative verweist auf den nächsten großen UN-Gipfel, der die Krise des Verlusts der Biodiversität meistern soll. Anfang Dezember treffen sich die Mitgliedstaaten des „Übereinkommens über die biologische Vielfalt“ im kanadischen Montreal, um ein neues Rahmenabkommen zu beschließen, das Maßnahmen und Ziele für den Erhalt der Biodiversität bis 2030 festschreibt. Dabei geht es unter anderem um den Schutz der biologischen Vielfalt und wer an ihr verdienen darf. Konkret wird verhandelt, ob 30 Prozent der Welt unter Schutz gestellt werden sollen, welche Ökosysteme dafür geeignet sind und welche Nutzung in diesen Gebieten möglich sein soll. Zudem wird über den freien Zugang zu Geninformationen von Tieren und Pflanzen verhandelt sowie über einen gerechten Vorteilsausgleich für Gewinne, die daraus geschöpft werden.

In Deutschland will Lemke naturbasierten Klimaschutz in den nächsten drei Jahren mit 4 Milliarden Euro fördern und etwa in die Wiedervernässung von Mooren investieren. Den Bedarf dafür unterstrich die Umweltorganisation Greenpeace mit einem Report zur bedrohten Artenvielfalt, den sie am Mittwoch vorstellte. Fallbeispiele aus 13 verschiedenen EU-Ländern zeigten, wie intensive Tierhaltung, Gasbohrungen und die Abholzung von Wäldern den Zustand von Ökosystemen verschlechterten.

So hätten zwar 67 Prozent der Wälder in Deutschland einen formellen Schutzstatus, aber nur 2,8 Prozent der gesamten Waldfläche sei streng vor forstwirtschaftlichen Eingriffen wie etwa Holzeinschlag geschützt, heißt es in dem Report. „Dies gilt auch für den etwa 7 prozentigen Anteil der deutschen Waldfläche, die als europäisches Schutzgebietsnetz Natura 2000 ausgewiesen ist“, schreibt Greenpeace. Es handele sich hierbei fast gänzlich um Buchenwälder. Fast alle der in Deutschland vorkommenden natürlichen Buchenwaldtypen seien als „stark gefährdet“ einzustufen und müssten streng geschützt werden, wenn sie erhalten werden sollen.

Insofern wird für die Buchenwälder der Vertragstext von Montreal bedeutsam. Bei den Verhandlungen im Dezember wird es nämlich auch darum gehen, ob die geschützten Gebiete weiter wirtschaftlich genutzt werden dürfen – und welche Gebiete überhaupt geschützt werden sollen. Zur Debatte steht bislang, entweder besonders schützenswerte, wichtige Ökosysteme einzubeziehen oder aber besonders gefährdete.

67 Prozent der Wälder in Deutschland haben einen formellen Schutzstatus, aber nur 2,8 Prozent der gesamten Waldfläche sind streng vor forstwirtschaftlichen Eingriffen geschützt.

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10 Kommentare

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  • 33095370 ha (29 % ) Wald gehören den Bundesländern, 403464 ha ( 3,5 % ) dem Staat, also rund ein Drittel des gesamten Waldes das man sofort aus der Bewirtschaftung nehmen könnte. WARUM geht da unser Staat nicht mit guten Vorbild voraus ???

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Günter Witte:

      Naturgemäße Bewirtschaftung wäre schon mal ein Schritt. Aber selbst das steht fast nur auf geduldigem Papier - aus Holz.

      • @31841 (Profil gelöscht):

        Was verstehen Sie unter " Naturgemäße Bewirtschaftung " ??

  • "Naturbasierten Klimaschutz" wird aber ignoriert, wenn man zum Beispiel für alle Gegenden eine gewisse Anzahl an Windturbinen aufstellen möchte. Bei einer Auslastung solcher Anlagen von 17% (in BW) ist so ein Ressourcen- und Landschaftsverbrauch so gar nicht Grün. Darüber muss endlich diskutiert werden.

  • Wenn es um den Artenschutz geht, dann folgt reflexhaft eine Wald-Debatte. Wahrscheinlich denken viele Menschen in Deutschland, dass Tiere und Pflanzen mit Vorliebe "in den Wald gehen"... Alles richtig im Text von Frau Holdinghausen: viel formaler Waldschutz in Deutschland, aber kaum Naturwälder, geschweige denn Primärwälder. Allerdings, wenn es um den Artenschwund (z.B. bei den Insekten geht), dann liegen die Probleme woanders. Aus der Kulturlandschaft ist eine Agrarwüste geworden, wo sie noch nicht vom Flächenfraß überbaut worden ist. Hauptverantwortlicher für das Artensterben ist die industrielle Landwirtschaft und die damit verbundene flächendeckende Ausbringung von Pestiziden, Gülle...



    sowie der Verlust fast aller natürlicher (Vernetzungs-)Strukturen in der offenen Landschaft. Ja, echter Waldschutz ohne Besitzansprüche und Ressourcendenken wäre schon ein Fortschritt, aber die massive Verarmung des außermenschlichen Lebens in Deutschland findet vor allem in der offenen Landschaft statt.

  • Biodiversität und Artenschutz ist extrem wichtig. Daher kann man jede Initiative unterstützen, auch wenn die große politische Ebene oft nichts mit der Realität zu tun hat. Man kann Nordniedersachen nicht wieder in ein riesiges Moorgebiet verwandeln und wenn ein paar Wisente Bäume anknabbern, erfolgt sofort ein juristischer Marathon mit Sieg der "Waldbauern".

    Aber warum muss man so eine Initiative auch noch mit anderen Aspekten verwässern?



    "..mindestens eine Milliarde schutzbedürftiger Menschen, darunter mindestens 500 Millionen Frauen und Mädchen, sollten vor den Folgen des Klimawandels geschützt.."

    Warum nicht alle schutzbedürftigen Menschen, warum im Rahmen des Artenschutzes?

  • Ach ja; was mir noch auffällt: Hier unter den Leserkommentaren werden die hervorragenden Artikel von Heike Holdinghausen meistens nicht besonders eifrig diskutiert; das trifft (gefühlt) auf den Natur- und Artenschutz auch generell zu. Ausnahme: Der zu diskutierende Artikel enthält Tiere, die Infrastrukturprojekte bremsen. Der Feldhamster oder die Zauneidechse sind da stets beliebte Objekte des Streites.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Axel Donning:

      Die Verhältnisse in den Forsten sind keineswegs harmlos.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Axel Donning:

      Mir ist das auch schon aufgefallen. Woran mag das liegen?

  • Klingt ja erst einmal gut; allein fehlt mir der Glauben daran, dass es wirklich besser wird. Ich kenne Wälder, die formal als Natura 2000 - Gebiete einem strengen Schutz unterliegen, wo aber die Waldbesitzer bereits bei der Erfassung der streng geschützten Arten, die dort vorkommen den Laden zu machen. Wir als Biologen sind bei solchen Arbeiten schon oft mit allen möglichen bösen Ankündigungen von Klagen oder Handgreiflichkeiten bedroht worden. Ich würde nach fast 30 Jahren Berufserfahrung sagen, dass ja ein Funken Hoffnung bleiben muss, man aber keinesfalls glauben sollte, dass sich gegen die Profitinteressen von Grundbesitzern etwas ändert. In Deutschland ist Naturschutz eine große, grüne Plakatwand. Ob sich nun durch eine internationale Artenschutzkonferenz etwas verändert, bleibt zweifelhaft. Meine Vermutung: Die grünen Plakatwände werden größer. Was sich dahinter abspielt, bleibt im Dunkeln.