Politologe über UN-Umweltpolitik: „Koalitionen der Willigen“

Umweltabkommen schaffen Aufmerksamkeit für wichtige Themen und sind wirksam – wenn sie die Staaten rechenschaftspflichtig machen, sagt Yves Zinngrebe.

Ein Greifvogel sitzt in einem Baum

Harpyie im Amazonas-Urwald. Der Greifvogel brütet auf hohen Wipfeln, und jagt darunter Affen Foto: Hermann Brehm/Nature Picture Library/imago

taz: Herr Zinngrebe, im zweiten Halbjahr 2022 jagt eine wichtige Naturschutzkonferenz die nächste. Gerade haben wir Vorverhandlungen zu einem neuen Biodiversitäts-Abkommen und eine UN-Ozeankonferenz erlebt, Verhandlungen für ein Hochsee-Abkommen liegen vor uns. Bringen die mehr als ganz viel Text?

Yves Zinngrebe: Sie bringen Themen auf die Agenda, die sonst nicht dort stünden, und es kommen Akteure zu Wort, die sonst Schwierigkeiten haben, gehört zu werden. Es macht einen Unterschied, ob Akteure aus vielen Ländern, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Interessengruppen sich einbringen können oder ob ein einzelnes Referat aus einem Ministerium mit einem Thema beauftragt wird.

Zum Beispiel diskutieren wir das Ziel, bis 2030 insgesamt 30 Prozent der Erde unter Schutz zu stellen, heute viel umfassender und auch mit den negativen Effekten, die das für lokale Bevölkerungen haben könnte, als noch vor fünf Jahren. Das wurde durch die Vernetzung der Diskurse im Norden und im Süden möglich. Das ist eine Leistung der Zivil­gesellschaft, aber eben auch der internationalen Verhandlungen auf UN-Ebene.

Ein anderes Beispiel: Es gibt seit Jahrhunderten eine Piraterie des Nordens von genetischen Ressourcen des Südens. Im Rahmen des Abkommens zur Biologischen Vielfalt wird das endlich angesprochen. Seit der Gründung des Abkommens in 1992 sind die Mitgliedsstaaten in zwei Gruppen geteilt: Die Geberländer aus dem ­Globalen Norden und die ärmeren Länder mit viel biologischer Vielfalt im Süden. Die Fakten, die Kolonialismus und historische Expansion geschaffen haben, spielen auch im Feld des Naturschutzes und der Ernährungssysteme eine große Rolle.

Welches Publikum nimmt diese Debatten war?

Zuerst einmal Regierungen und Zivilgesellschaften der Vertragsstaaten. Dadurch entsteht ein weicher Druck, denn beispielsweise die meisten Verträge im Rahmen der Biodiversitätskonvention, kurz CBD, sind ja nicht legal bindend. Handlungsdruck entsteht durch den Vergleich mit anderen Ländern und indem die Ziele zum Naturschutz Einzug in Handelsverträge oder die Entwicklungszusammenarbeit halten.

Gibt es dafür Beispiele?

2008 hat die Regierung in Peru ein Umweltministerium geschaffen, weil das Bedingung für das Freihandelsabkommen mit dem USA war. In Afrika entstanden in den 80er Jahren eine Reihe von Umweltministerien, die allerdings so konstruiert wurden, dass sie hauptsächlich darauf ausgerichtet waren, internationale Gelder einzuwerben und zu verwalten. Das hat dazu geführt, dass diese Länder ihren Naturschutz an öffentliches Geld aus dem Norden gebunden haben. Das birgt die Gefahr, dass die Regierungen sich eher den Gebern aus dem Norden verantwortlich fühlen als ihrer eigenen Bevölkerung.

leitet die Arbeitsgruppe für Governance von Biodiversität und Naturschutz am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ in Leipzig.

Das waren dann ja nicht unbedingt positive Auswirkungen der Biodiversitätskonvention.

Das waren gute Intentionen, die aber auch zu Problemen führen. Genauso wichtig ist allerdings, das grundsätzliche Problem anzu­gehen.

Nämlich?

Wie verhindern wir den alten Mechanismus, Ziele zu setzen, zehn Jahre zuzuschauen, wie sie verfehlt werden, und dann neue Ziele zu setzen? Man könnte ja bösartig unterstellen, dass das System hat. Bislang haben die Mitgliedsstaaten es nicht geschafft festzulegen, mit welchen Maßnahmen die Ziele, den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen oder die Gewinne genetischer Ressourcen gerecht zu verteilen, konkret erreicht und wie diese Maßnahmen bewertet werden sollen. Dass die Länder Rechenschaft ablegen müssen, ist die Voraussetzung für Veränderung.

Dafür braucht man Zivilgesellschaft?

Ja. Politiker werden sich nur für ein Thema ins Zeug legen, wenn sie das Gefühl haben, dass es von Interesse für ihre Wähler ist. Entsprechend entsteht auf internationaler Bühne Handlungsdruck, wenn ein Teil der Länder vorangeht und andere nicht zurückstehen wollen.

Neues Datum, neues Glück? Vom 5. bis 17. Dezember 2022 wollen sich die Mitgliedsstaaten der Konvention zur biologischen Vielfalt (CBD) treffen und ihr schon vor zwei Jahren ausgelaufenes Abkommen erneuern. Wie können sie die Natur und ihre Vielfalt bis 2030 schützen und ihre Ressourcen gerecht verteilen? Um nicht weniger geht es.

Über den Schutz der biologischen Vielfalt jenseits von Staatsgrenzen - nämlich auf hoher See - geht es in der Seerechts-Konvention, die vom 15. bis 26. August in New York verhandelt wird.

Was macht man in Ländern ohne Zivilgesellschaft?

Das ist in der Tat ein anderes Problem – die Lage in Russland und China ist da anders gelagert. Die Aichi-Ziele, die in dem CBD-Abkommen standen, das jetzt erneuert werden muss, waren zum Beispiel eine riesige Errungenschaft, die auch durch die engagierte Führung Japans erreicht wurde. Die sehe ich derzeit in der Präsidentschaft Chinas nicht. Aber in Deutschland und in Europa gibt es Bestrebungen, im Naturschutz die zivilgesellschaftliche Beteiligung zu stärken. Daraus kann man etwas entwickeln, das man anderen Ländern dann als Angebot machen kann. Für autoritäre Länder wie China müssen wir andere Wege finden. Zum Beispiel ist das Land als Exportweltmeister abhängig davon, dass seine Produkte abgenommen werden. Sobald Märkte wie Europa hier Anforderungen an die Nachhaltigkeit stellen, muss auch die chinesische Regierung sich etwas überlegen.

Es sieht zurzeit aber nicht so aus, als ob das diesen Ländern klar wäre. Gerade China und Russland mit ihren großen Fischereiflotten wehren sich zum Beispiel wirksam gegen Schutzgebiete in den Ozeanen. Was bringen Abkommen, wenn die beiden nicht im Boot sind?

Die Fischerei und die Ozeane sind ein gutes Beispiel für die Tragik der Allmende. Alle Länder nutzen die Ressource Fisch in der Hochsee als Gemeingut, und jeder befürchtet, der andere würde mehr rausholen – also fischen alle so viel, wie sie können. Es gibt keine Meerespolizei, die das beaufsichtigen würde.

Die Tragik der Allmende – da waren wir mit der Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom oder der deutschen Forscherin Silke Helfrich schon mal weiter.

Sie sagen ja gerade, dass die Tragik der Allmende überwunden werden kann, wenn die Gesellschaft es schafft, sich Regeln zu geben. Da sind wir dann wieder bei den Abkommen, darin müssen wir uns Regeln geben, die alle anerkennen, auch die mit großen Fangflotten. In vielen anderen Bereichen des Naturschutzes liegen die Möglichkeiten aber in den Grenzen der Staaten. Wenn sich hier ein paar Länder zusammentun, könnten sie Nachhaltigkeit an Handelsvorteile binden.

Eine Art Biodiv-Handelsabkommen?

Nein, kein eigenes Abkommen, der Schutz der Biodiversität muss in bestehende Handelsabkommen hinein, also etwa entwaldungsfreie Lieferketten in das Mercosur-Abkommen.

Endet das Interesse an Nachhaltigkeit in der EU nicht immer dann, wenn Handel und Geldverdienen beginnen?

So negativ würde ich das nicht sehen. Wir haben sehr mächtige Politikinstrumente auf der EU-Ebene: die Richtlinie Fauna-Flora-Habitat, die gemeinsame Fischerei- und Agrarpolitik. Aber wir haben nicht die politische Power, die guten Inhalte durchzusetzen. Hier in Deutschland haben wir mit dem natürlichen Klimaschutz jetzt eine Möglichkeit, die es im Naturschutz finanziell noch nie gegeben hat. Er ermöglicht es der öffentlichen Hand, Landnutzern und -besitzern finanzielle Angebote zu machen, wenn sie zum Klimaschutz beitragen. Aber natürlich müssen wir auch unsere eigenen Hausaufgaben erledigen. Wir können kaum vom Globalen Süden den Schutz seiner Artenvielfalt verlangen, wenn wir unsere eigene Agrarpolitik und unser Ernährungsverhalten nicht in den Griff bekommen.

In der EU werden gute Politikansätze oft am Ende weichgespült. Im Mercosur-Abkommen stehen zwar entwaldungsfreie Lieferketten drin, aber so formuliert, dass es am Ende nichts nutzen wird

Das liegt an der Fragmentierung innerhalb der Regierung, an den administrativen Monstern, die wir erschaffen haben. Auf EU-Ebene haben die Direktionen für Umwelt und die für Industrie wenig mit­einander zu tun. Die führen getrennte Diskurse, und am Ende kommt es darauf an, wer sich durchsetzt. Aber Ansätze wie der Green Deal oder die Farm-to-Fork-Strategie verlangen, dass die verschiedenen Ministerien miteinander arbeiten, dass sie ein Main­streaming betreiben, also alle Gesetze und Maßnahmen darauf überprüfen, ob sie zum Klima- und Naturschutz beitragen. Das bietet etwa die Möglichkeit, falsche Anreize bei Subventionen abzustellen. Und wenn die EU, Norwegen, Japan oder Kanada nicht vorangehen – wer soll es denn dann machen?

Verlieren die nicht angesichts des Ukrainekriegs gerade weltweit an Einfluss?

Die derzeitige Situation ist neu. Solange es die internationalen Abkommen zur Nachhaltigkeit gibt, gab es immer einen Prozess der Annäherung. Dass dieser Prozess jetzt stoppt, diese Rückentwicklung globaler Politiken, damit müssen wir umgehen. Wir brauchen jetzt auf UN-Ebene Koalitionen der Willigen. Das ist gut machbar, denn die Konventionen sind so gestrickt, dass es niedrigschwellig möglich ist, beizutreten. Und dann gibt es Möglichkeiten, in weiterführenden Abkommen und Protokollen ambitioniertere und stärker bindende Ziele festzulegen. Das Nagoya-Protokoll zum Schutz genetischer Ressourcen haben auch nicht alle Mitgliedstaaten unterschrieben. Gleichzeitig können wir die Gesprächskanäle mit Russland und China offenhalten. Wenn wir das nicht schaffen, haben wir gar keine Optionen mehr, zu gemeinsamen Zielen zu kommen. Aber wir müssen eben nicht bei allen Themen auf sie warten.

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