piwik no script img

Fotografieausstellung im Focke-Museum„Ich hänge sehr an meiner Heimat“

Der Fotograf Julius Frank floh vor dem NS-Regime, sein Atelier musste er verkaufen. Nun widmet ihm das Bremer Focke-Museum eine Ausstellung.

Julius Frank 1936 an Bord eines Schiffs auf dem Weg ins rettende Amerika Foto: Focke Museum

Seinen Namen sucht man in Fotografenlexika vergeblich: Julius Frank, der wegen seiner jüdischen Herkunft 1936 zur Emigration gezwungen war und in die USA fliehen konnte, geriet seitdem in völlige Vergessenheit.

Seine Wiederentdeckung vollzog sich in mehreren Schritten und verdankt sich vor allem einer aufmerksamen, akribisch arbeitenden Heimatforschung. Es begann mit einem Koffer, den der Heimatverein von Li­lien­thal, dem nahe Bremen gelegenen Geburtsort Julius Franks, 2004 erhielt.

Er barg auch die Tagebücher des Schriftstellers Karl Li­lien­thal, der viele Jahre in einer Nachbargemeinde als Volksschullehrer gearbeitet hatte und mit Julius Frank befreundet war. Detailliert beschrieb er die Ausgrenzung und Not des Fotografen, die ihn zum Verlassen seiner Heimat zwang.

Die Recherchen zweier Li­lien­tha­ler Heimatforscher führten zu einem Kontakt mit den in den USA lebenden Angehörigen der Familie Frank sowie 2005 zu einer ersten Veröffentlichung ihrer Verfolgungsgeschichte.

Stolpersteine am Atelierhaus

2006 wurden vor dem ehemaligen Wohn- und Atelierhaus in Li­lien­thal Stolpersteine verlegt, um an die Vertreibung der Familie zu erinnern; noch im gleichen Jahr besuchte die 91-jährige Witwe Hilde Frank gemeinsam mit ihren Kindern den Ort, den ihr früh verstorbener Mann einst verlassen musste.

Ausstellung und Katalog

„Julius Frank. Eine jüdische Fotografenfamilie zwischen Deutschland und Amerika“. Focke-Museum, Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, 9. 11. bis 26. 2. 2023.

Der reich bebilderte Begleit­katalog ist im Dölling und Galitz Verlag, München/Hamburg erschienen und kostet 32 Euro

Schon 1985 hatte das Focke-Museum aus dem Besitz von Fritz Hahn, dem Geschäftsnachfolger Julius Franks, dessen Atelierkamera, Laborausstattung, Möbelstücke und Requisiten erhalten. Im Rahmen intensivierter Provenienzforschung suchte das Museum ebenfalls Kontakt zu den Angehörigen in den USA.

In einem seiner Briefe hatte Julius Frank die Gründe für seine Auswanderung benannt: „Es war ja am 1. April 1933 der Boykott aller jüdischen Geschäfte, der sich in den darauffolgenden Wochen und Monaten sehr stark auf den Umsatz auswirkte.“ An anderer Stelle notierte er: „Ich hänge sehr an meiner Heimat … ich würde mein Geschäft, das mein Großvater vor über 60 Jahren gründete und das mir sehr ans Herz gewachsen ist, sicher nicht verkaufen, wenn mich die Umstände leider nicht dazu zwängen.“

„Frühling im Moor“, ­Fotografie von Julius Frank (vor 1936, undatiert) Foto: Focke Museum

Der Verkauf seines Ateliers und die Geschäftsübergabe an den aus Bremen stammenden Bildberichterstatter Fritz Hahn erfolgte zu schlechtesten Konditionen. Franks Freund Li­lien­thal kommentierte diesen Zwangsverkauf in seinem Tagebuch mit entschiedener Deutlichkeit: „Das ganze Inventar bekommt er, ohne einen Pfennig zu zahlen. Der arische Hahn nutzt die Not der Juden aus, und der Jude ist der Lump.“

Ein „arisches Unternehmen“

Franks Nachfolger erhielt auch das gesamte „Negativlager ab 1904, complett ca. 300 Landschaftsnegative-Warenlager…, 3500 Lichtdruckkarten, 300 Bromsilber-Karten, ungerahmte und gerahmte Landschaftsbilder“. Nach der Geschäftsübergabe warb der neue Inhaber in Sperrschrift für sein „arisches Unternehmen“.

Karl Lilienthal schrieb zum Abschied seines Freundes: „In Osterholz hat man ihm die letzten Mark abgenommen für Umsatzsteuer von Sachen, die am Freitag versteigert werden. So hat er sich Geld leihen müssen. Die geheime Staatspolizei hat ihm bis zuletzt Schwierigkeiten gemacht. Julius war kreideweiß bei der Verabschiedung.“

Im Juni 1936 entkam Julius Frank weiterer Drangsalierung; über Hamburg floh er per Schiff nach New York. Ausgrenzung und Entrechtung der ­Familie Frank setzten sich aber auch nach 1945 fort; ihre Anträge auf sogenannte Wieder­gutmachung stießen auf taube Ohren, blieben jahrelang unbearbeitet und wurden schließlich 1968 „als verspätet zurückgewiesen“.

Angesichts dieses biografischen Hintergrunds darf es als besonderer Glücksfall betrachtet werden, dass sich die Familie Frank im Zuge der Nachforschungen des Museums zum Atelierinventar dazu entschloss, dem Haus auch den noch im Familienbesitz befindlichen fotografischen Nachlass, Originalabzüge in unterschiedlichen Formaten, Negative, Fotoalben, Urkunden, Korrespondenz zu überlassen.

Jüdische Herkunft

Zu dem Konvolut zählt auch ein weißes Turnhemd des Turnvereins Lilienthal, das über Jahrzehnte aufbewahrt wurde. Ein nur auf den ersten Blick belangloses Erinnerungsstück, das für den sportbegeisterten Julius Frank den mit seiner jüdischen Herkunft begründeten Ausschluss aus seinem geliebten Sportverein symbolisierte.

Nach zweijähriger Durchsicht und Inventarisierung können all diese hervorragend erhaltenen fotografischen Kostbarkeiten nun in einer höchst bemerkenswerten Ausstellung betrachtet werden. Dank der spürbaren Sensibilität der Kuratorin Karin Walter eröffnet sich der Blick auf eine drei Generationen umfassende Lebensgeschichte der jüdischen Fotografenfamilie Frank.

„The Tower“, ­Fotografie von Julius Frank Foto: Focke Museum

Jedes Naserümpfen ob der vermeintlichen fotografischen Provinz verbietet sich, denn die unzähligen gerahmten, passepartourierten Fotografien sind nicht nur aus handwerklichen wie fotoästhetischen Gründen von Bedeutung. Hinter ihnen steckt auch die berührende Geschichte einer Vertreibung, eines Heimatverlusts, aber auch einer starken Heimatverbundenheit, die dank der Großzügigkeit der Familie in dieser Ausstellung unübersehbar ist.

Ausstellung mit Originalfotografien

Besucher werden von einem vergrößerten Bild des Ateliers empfangen, umrahmt von der mehr als 100 Jahre alten, wuchtigen Atelierkamera der Franks sowie einer kleinen Bank, die für Kinderaufnahmen genutzt wurde. Daran anschließend präsentiert die Schau 110 Originalfotografien, faszinierend für jeden Fotoenthusiasten zuweilen auch deren Rückseiten, die mit Stempeln und Beschriftungen auf deren Nutzung in Publikationen und Ausstellungen verweisen.

Die geografische Nähe zum Teufelsmoor sowie die Begeisterung einer städtischen Bevölkerung für die „Binnenexotik“ dieser spezifischen Region fand ihren Widerhall in den Bildmotiven der Familie Frank, ob sie nun „Am Schiffgraben“, „Birken im Sturm“ oder „Torfschiffe auf der Hamme“ heißen.

In Bildaufbau und Perspektive erinnern sie an Motive der Worpsweder Künstlerkolonie, an Zeichnungen und Gemälde von Hans am Ende, Fritz Mackensen, Otto Modersohn oder Fritz Overbeck. Welch ein Kuratorinnenglück, aus unterschiedlichen Formaten, aus Abzügen auf Karton oder Bromöldrucken auf Bütten­papier aussuchen zu können.

Und alles flankiert von privaten Fotoalben, Alben für Ansichtskarten, Urkunden und Medaillen, ein schier unglaublicher Fundus, der auch den Kontext der Fotografien, ihre Veröffentlichungsorte in Büchern, Bildbänden und Fachzeitschriften vor Augen führt.

Allein das vergrößerte Geschäftspapier von „Julius Frank, Lilienthal“ unterstreicht die Vielseitigkeit der Fotografenfamilie; die Unterzeile verwies nicht nur auf das „Atelier für künstlerische Photographie und Vergrößerungen“, sondern auch auf die „Photohandlung“ und den „Heimatphoto-Verlag“. Mit all dem war Schluss, als mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten die systematische Ausgrenzung und Entrechtung einsetzten.

Über New York nach Kalifornien

Über New York gelangte Julius Frank nach Detroit, wo ihm ein Neustart gelang, zuerst als Leiter der Fotoabteilung der Firma Multicolor, später als Porträtfotograf in seinem Wohnort Kalamazoo am Michigan-See. Nach seiner Militärzeit in Europa 1944/45 lebte er mit seiner Familie in Kalifornien, wo er Mitarbeiter des renommierten Architekturfotografen Julius Shulmann wurde.

Julius Frank, der auch in den USA an fotografischen Wettbewerben teilnahm und prämiert wurde, und einen Monat vor seinem Tod zum Master of Photography ernannt wurde, starb am 22. August 1959.

Dank der großzügigen Geste der Familie und einer einfühlsamen Kuratorin kann er nun in einer begeisternden Ausstellung wiederentdeckt werden. Die Reise ins Bremer Focke-Museum, sie lohnt sich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Andreas Fanizadeh , Autor , Ressortleitung Kultur

    Hallo Frau Köhn,



    der Autor schreibt:



    "Dank der spürbaren Sensibilität der Kuratorin Karin Walter eröffnet sich der Blick auf eine drei Generationen umfassende Lebensgeschichte der jüdischen Fotografenfamilie Frank."



    Viele Grüße

  • Hallo TAZ und Autor des Artikels, Winfried Wenkde, ich war am letzten Wochenende in dieser besonderen Ausstellung und finde, dass der Artikel eine sehr gute Zusammenfassung bietet, was den Werdegang und die Vertreibung von Julius Frank und seiner Familie angeht und die inhaltichen Auseinandersetzung mit seinen Bildern betrifft.



    Warum aber wird Dr. Karin Walter, die Kuratorin, die diese Ausstellung überhaupt möglich gemacht hat, nicht erwähnt? Sie hat Groártiges geleistet und hat es nicht verdient, nur als "einfühlsame Kuratorin" bezeichnet zu werden. Ich dachte, wir hätten die Zeiten, in denen Frauen, die Bedeutsames leisten, hinter uns. Es macht mich wirklich ärgerlich und hinterlässt einen schalen Nachgewschmack bei mir.