: „Diese Krise dauert ein bis zwei Jahre“
Wenn die Unternehmen ihre Abhängigkeit von fossilen Energien beendet haben, geht es wieder aufwärts, sagt Berlins parteiloser Wirtschaftssenator Stephan Schwarz. Für diesen Winter fordert er von allen Seiten weitere Sparanstrengungen beim Gas
Interview Bert Schulz und Stefan Alberti
taz: Herr Schwarz, wie beurteilt der – ehemalige – Unternehmer Stephan Schwarz die wirtschaftliche Lage?
Stephan Schwarz: Wir erleben eine herausfordernde Zeit. Es gab noch nie eine so enge Taktung von Krisen, man kann ja sagen: von gestapelten Krisen. Bisher habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass man am Ende stärker aus der Krise hervorgeht, als man hineingegangen ist.
Diese Sätze hätte jetzt genauso der Politiker Stefan Schwarz sagen können.
Ja, das stimmt.
Die Position von Unternehmer und Politiker ist also identisch?
Als Politiker wie als Unternehmer muss man auch die Chancen erkennen, die in jeder Krise stecken. Viele Unternehmen haben das getan – das haben wir bei Corona gesehen in einem Maße, das wir nicht für möglich gehalten haben. Den Riesenschwung an wirklich notwendigen Transformationen, das haben wir erst jetzt durch die Krise erlebt. Die Unternehmen sind viel wettbewerbsfähiger, flexibler, agiler geworden, etwa bei der Digitalisierung. Es war absolut richtig, sie in dieser Situation und auch beim Neustart zu unterstützen.
Das klingt, als bräuchten Unternehmen Krisen, um sich wettbewerbsfähig zu halten.
Ja, manchmal bewirken Krisen, dass der Schalter wirklich umgelegt wird. Sie führen dazu, dass Veränderungsprozesse schneller laufen. Das kann angesichts der aktuellen Situation vielleicht zynisch klingen, weil viele darunter leiden. Aber wir hinterfragen jetzt endlich unsere hohe Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen in einer Geschwindigkeit und Wucht, die vorher schon notwendig gewesen wäre. Wir hinterfragen auch unsere Abhängigkeit von Lieferketten und merken, dass wir für bestimmte Produkte keinen fairen Preis gezahlt haben. Klar ist aber auch: Diese Krise wird nicht ewig dauern, sondern vielleicht ein, zwei Jahre.
Wie kommen Sie darauf?
Ich will damit nicht sagen, dass ich weiß, wie lange der Krieg in der Ukraine dauert. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir nach einer gewissen Zeit aus der Energiekrise rauskommen, weil eben diese Transformation in großen Schritten vorangetrieben wird. Und das wird wieder zu einer Entlastung für Wirtschaft und Verbraucher führen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Bei den Erneuerbaren löst sich gerade ein Knoten. Viele Unternehmen in Berlin planen ernsthaft, in alternative Quellen zu investieren, in Geothermie, Photovoltaik oder den Bau von Windanlagen auf ihrem Gelände.
Zwei Wumms und alles wird gut – wie stehen Sie zum Weg, mit dem Kanzler Olaf Scholz das Land durch die Krise bringen will, sprich die Energiepreisbremse?
Erst mal ist es gut, dass die Ampel ein gemeinsames Verständnis dafür entwickelt hat, dass wir vor gewaltigen Herausforderungen stehen. Das signalisieren der Scholz’sche Doppelwumms und die 200 Milliarden Euro.
Und wie bewerten Sie die Umsetzung des Energiedeckels, sprich die Vorschläge, die die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission Anfang vergangener Woche gemacht hat? Verbraucher und Unternehmen sollen den Dezember-Abschlag der Gasrechnung ersetzt bekommen, ab Frühjahr sollen dann 80 Prozent des Gasverbrauchs preislich fixiert werden.
Ich hätte mir weniger Gießkanne gewünscht. Nicht jeder ist gleich stark betroffen von der Krise, mir sollte der Steuerzahler die Dezemberrechnung nicht zahlen. Jetzt geht’s um Schnelligkeit, und der Grundgedanke der Vorschläge ist richtig, weil man damit direkt an eine Ursache der Krise rangeht, nämlich die hohen Energiepreise. Gleichzeitig hoffe ich, dass trotz der Deckelung immer noch genügend Sparanreize da sind. Mit dem ungedeckelten Anteil ist sichergestellt, dass Marktmechanismen noch wirken. Preissignale sind wichtig, um auf die sich abzeichnende Verknappung zu reagieren und einer möglichen Gasmangellage vorbeugen zu können.
Kann das Land Berlin sich nun die eigene Energiekostenhilfe sparen, die sicherheitshalber vorgesehen war?
Es war gut, dass sich die rot-grün-rote Koalition in Berlin sehr schnell auf ein eigenes Entlastungspaket verständigt hat. Was die Wirtschaft angeht, haben wir ein Darlehensprogramm entwickelt, das in Kürze verfügbar sein wird. Unternehmen, die aufgrund der Energiepreise in richtige Schwierigkeiten kommen, sollen damit schnell unterstützt werden. Beim Energiekostenzuschuss müssen wir schauen, welche Maßnahmen das Bundesprogramm konkret enthält und ob es die besonderen Berliner Bedarfe abdeckt. Wir haben hier ja zum Beispiel mehr als hunderttausend Soloselbstständige, die hat der Bund nicht immer auf dem Schirm.
Wird es im Winter zu einer Gasmangellage kommen?
Wir können sie nicht ausschließen. Die letzten Monate sind auch von der Bundesregierung gut dafür genutzt worden, genau das abzuwenden. Wir haben uns alternative Lieferwege gesichert, etwa durch die Flüssiggasterminals, von denen zumindest eines zum Jahreswechsel schon verfügbar sein wird. Wir haben Gas gespart, wenn auch nicht genug, aber die Gasspeicher sind zu fast 95 Prozent voll. Wir haben also eine realistische Chance, eine Gasmangellage abzuwenden. Aber gebannt ist die Gefahr noch nicht.
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