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Britischer Elektronikproduzent Mark FellGeisterfahrer des House

Gegenwartsbritzeln: Der Brite Mark Fell experimentiert beim Festival „Aggregate“ in der Berliner Gedächtniskirche mit einer elektronischen Orgel.

Mark Fell im Unterholz Foto: The Death of Rave

„Es ist nicht meine Absicht, konfrontative Musik zu machen, in meinen Ohren klingt sie einfach nur schön.“ Herausfordernd ist Mark Fells Musik auf jeden Fall, immer direkt, dabei nie ihre Aggregatzustände verhehlend. Gerade, weil Klangwelten vollständig maschinell erzeugt werden, führt Fells Musik sofort zu Wirkungen: Man wird in sie, wie von der Düse eines Staubsaugers, eingesaugt.

Seit er Ende der Neunziger, erst als Teil des Sheffielder House-Duos SND, später solo, etwa mit dem Projekt Sensate Focus aktiv war, stand er mal näher, mal weiter entfernt vom Diskurs, ungeachtet dessen hat er kontinuierlich weiter gewerkelt. „Angefangen habe ich mit Billo-Drumcomputern und Monosynthesizern. Ihr rhythmisches Grundrauschen und ihr synthetischer Sound prägen mich heute noch“, erzählt Mark Fell der taz.

Man bemerkt in seinem Sound das, was vorher an Synth-Pop, Industrial-Music und Rave stattgefunden hat. Aber was Fell daraus macht klingt wie nichts sonst von dieser Welt. Immer blitzt darin die Gegenwart auf und nicht ein sentimentaler Aufguss von tausendmal erhitzter Vergangenheit.

Stolpern und Luftholen

„The Neurobiology of Moral Decision Making“, ein Album, das der Brite 2015 zusammen mit Gabor Lazar veröffentlicht hat und das vor Kurzem erneut herauskam, ist so ein Fall: trockene Tontrauben, denen der Rhythmus spielerisch den Boden wegzieht und doch im Flow: kristallklares Pfeifen und Prasseln, Stolpern, Luftholen und Wieder-Stolpern.

Mark Fell beim Festival „Aggregate“

Aggregate Festival, 11. bis 13. Oktober Gedächtniskirche/Kapelle der Versöhnung in Berlin. Mark Fells Werk wird am 13. 10. in der Gedächtniskirche uraufgeführt. Programm unter. https://gamutinc.org/aggregate/

Charakteristische Dancefloor-Elemente wie Handclaps oder das Wummern einer Bassdrum sind vorhanden, aber verquer im Klangraum angeordnet: Ein Geisterfahrer des House. „Eigentlich laufen meine Kompositionen auf spektrale statische Formen hinaus, interessant daran sind die Klangumgebungen, und wie ich diese kombinieren und in neue Patterns sequenzieren kann.“

Für die Produktion nutzt der Produzent die objektbasierte Programmiersprache Max/MSP. Diese funktioniert visuell, das heißt, die Entwicklungsumgebung wird am Bildschirm grafisch dargestellt. „Ich bin mir bewusst, dass meine künstlerische Praxis auf systemischen Verfahrensweisen basiert. Aber ich arbeite zusammen mit anderen Menschen und schaue mir Analog-Instrumente an, um zu erforschen, wie dabei Klangmuster generiert werden.“

Unvorhersehbares Spiel

Nach Berlin kommt Fell, um beim Festival „Aggregate“ in der Gedächtniskirche eine Auftragskomposition zu präsentieren. Dort befindet sich eine digital gesteuerte „Hyperorgel“, deren automatische MIDI-Einstellung Fell jedoch erst mal ignoriert. „Meine Idee ist, zwei Mu­si­ke­r:In­nen dazu zu bringen, auf dieser Orgel möglichst maschinell zu spielen. Was bei Computern exakt programmierbar ist, haut bei Menschen nicht hin, ihr Spiel bleibt unvorhersehbar. Diese Unvorhersehbarkeit nutze ich ästhetisch.“

Angst vor Technologie? Es geht Mark Fell darum, dass Technologie als konstituierend für den Alltag im 21. Jahrhundert wahrgenommen wird. Er sieht zwischen Kreativität und Technisierung keinen Gegensatz. Ob zu Hause oder im Büro, wir sind umgeben von Technologie. Und trotzdem verschwindet Technik oft hinter einem „konzeptuellen“ Sichtschutz und wird in Gehäusen und Rechnerräumen verborgen.

„Eine Unterscheidung zwischen Kultur und Technologie macht doch gar keinen Sinn. Oft heißt es, Technologie diene Kunst und Kreativität, das finde ich problematisch. Ich verstehe Kreativität so, dass sie in die technisierte Welt eingebettet ist und sich darauf aktiv bezieht. In der Technologie werden neue Ideen begründet, das ist mehr, als sie nur darzustellen. Die technologische Umgebung ist zugleich die kognitive Umgebung.“

Mit Berlin verbindet Mark Fell eine spezielle Geschichte. Für die Musiksoftware-Firma Native Instruments und seinen Kumpel Erik Wiegand (alias Errorsmith, Teil des Duos MMM) hat er Presets designt. Diese wurden zwar abgelehnt, Fell hat sie dann für das Album „Manitutshu“ verwendet, extrem schlaue Housemusic.

Und dann erzählt Mark Fell der taz noch eine Anekdote, die unterstreicht, dass die vielbeschworene Achse Detroit-Berlin um die Koordinate Sheffield erweitert werden muss. „Als Housesound um 1987 aus Chicago und Detroit nach Großbritannien spülte, wurde das Versprechen von Industrial Music als ekstatische psychedelische Tanzmusik eingelöst. Robert Barker von der Industrial-Band Clock DVA aus Sheffield hat für Dimitri Hegemann in Berlin Tapes mit House aufgenommen.“

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