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Impfung ist kein globales Gut

Während in Deutschland rund drei Viertel der Bevölkerung schon einen vollständigen Impfschutz gegen Covid-19 erhalten hat, dümpelt die Impfquote in vielen afrikanischen Ländern auf extrem niedrigem Niveau

Von Dierk Jensen

Merkwürdig: Die weltumspannende Covid-19-Pandemie scheint hierzulande aktuell nur noch ein innenpolitisches Thema zu sein. Entweder sind es kleinteilige Fragen zur Maskenpflicht oder welche, die sich um eine vierte Impfung drehen; dies ist der öffentlich-mediale Corona-Horizont in Deutschland. Dabei warnte ausgerechnet EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen noch im letzten Frühjahr, dass „niemand sicher ist, bevor nicht alle sicher sind“. Sie sprach feierlich von „Europa als Apotheke für die Welt“. Das ist geheuchelt, denn die Menschen im Globalen Süden erhalten – wenn überhaupt – nach wie vor nur sehr eingeschränkt Zugang zu Impfstoffen. Denn noch immer haben beispielsweise auf dem afrikanischen Kontinent rund 78 Prozent der Menschen keine einzige Impfung gegen Covid-19 erhalten. Um es deutlich zu sagen: Viele Länder haben einfach nicht das nötige Geld, um sich den Impfschutz zu leisten; sie müssen, um in der bigotten Wortwelt einer von der Leyen zu bleiben, mit der „Unsicherheit“ selbst klarkommen.

„Dieser Umstand ist nur schwer zu ertragen“, bringt es Mareike Haase, Gesundheitsexpertin der Hilfsorganisation Brot für die Welt, auf den Punkt. Sie klagt die eklatante Ungerechtigkeit an, dass reiche Länder sich Impfschutz leisten, während Menschen in Bangladesch, Tansania, Ghana, Togo oder Burundi, wo erst nur 1 Prozent der Bevölkerung eine Impfung erhalten hat, weiter leer ausgehen. Allesamt Staaten, in denen in den letzten Wochen laut der Statistik der Johns Hopkins University in Baltimore keine einzige Impfung vorgenommen worden ist, während in einem Land wie Qatar mit rund drei Millionen Einwohnern im selben Zeitraum fast 80.000 Dosen geimpft worden sind.

Diese Schieflage hat knallharte ökonomische Gründe. Es geht um Patente, Lizenzen und Dividenden. Also um Interessen, um Verteilungskonflikte, um Profite. Darauf wiesen Anfang Juni die Nichtregierungsorganisationen (NGO) Brot für die Welt, Oxfam und Amnesty International zusammen mit dem Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre kurz vor der Hauptversammlung von Biontech hin. Sie forderten einen baldigen Technologietransfer und appellierten an das Mainzer Unternehmen, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Know-how zur angepeilten Produktion von mRNA-Impfstoffen in Südafrika zur Verfügung zu stellen, Impfstoffe global gerechter zu verteilen und überdies Preisgestaltung und Verträge transparent zu machen. „Nur so können sich Länder mit geringem Einkommen selbst mit lebensrettenden Impfstoffen versorgen“, heißt es in dem gemeinsamen Appell.

Nur ein paar Tage später beschloss dann die World Trade Organization (WTO) in Genf, nach fast zwei Jahren zäher Diskussionen, dass nur unter besonderen Auflagen und auch nur zeitlich begrenzt eine diskriminierungsfreie Produktion von Impfstoffgenerika erlaubt werden solle. Für die drei NGOs ein beschämendes Verhandlungsergebnis, bei dem am Ende die Gesetze der Ökonomie offensichtlich über die Gesundheit von Menschen gestellt wird.

Dabei ist es im Fall von Biontech so, dass der deutsche Staat das Pharmaunternehmen in der Vergangenheit bei seiner Entwicklungsarbeit finanziell unterstützt hat. Für Mareike Haase ist es daher eine Selbstverständlichkeit, dass eine solche Förderung an Bedingungen gebunden sein muss, damit am Ende die „Forschungsergebnisse und Arzneimittel weltweit verfügbar und erschwinglich sind. Die Nutzung öffentlicher Mittel, die Preisgestaltung und Verträge müssen deshalb offengelegt werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass alle Menschen davon partizipieren und Profite nicht über Menschenleben stehen“, so Haase weiter.

Die Enttäuschung über die halbherzige und wenig konsequente Haltung der WTO ist allenthalben groß. Sie wird der globalen Impfkampagne wohl einen Bärendienst erweisen. Und für Pia Schwertner von der Entwicklungsorganisation Oxfam habe die Pandemie deutlich gezeigt, „dass das bisherige System nicht funktioniert“. Die Referentin für Globale Gesundheit und Impfgerechtigkeit ist wie Mareike Haase von Brot für die Welt der festen Überzeugung, dass das gegenwärtige Unterlassen als Anlass genommen werden müsse, „um generelle Fragen rund um den Zugang zu Medikamenten und Impfstoffen, deren Preise und globale Verteilung zu stellen. Hier braucht es dringend mehr Transparenz, um sicherzustellen, dass Profite nicht über Menschenleben stehen. Weltweit wurden Milliarden öffentlicher Gelder in die Erforschung und Entwicklung der Covid-19-Impfstoffe gesteckt, davon profitiert haben aber nur die Pharmakonzerne.“

Fakt ist tatsächlich, dass beispielsweise die 51 Länder Afrikas bislang fast 99 Prozent ihrer Impfstoffe importieren. Auch deshalb ist die Impfbereitschaft in vielen Ländern inzwischen total im Keller. Falls es der Weltgemeinschaft wirklich um die Gesundheit der Menschen geht, dann darf der faule WTO-Kompromiss zu Covid-19-Patenten nicht so stehenbleiben und sollte dringend erweitert werden.

Aber auch die Bundesregierung und die EU seien in der Pflicht, betont Annelen Micus, Menschenrechtsexpertin von Amnesty International. „Die Bundesregierung muss nun zumindest dafür sorgen, dass die mit viel Steuergeld entwickelte Technologie zur Herstellung des Biontech-Impfstoffs mit einkommensschwachen Ländern geteilt wird, damit diese sich selbst mit den wichtigen mRNA-Impfstoffen versorgen können“, klagt Micus ein und verweist auf das Marktversagen bei der globalen Verteilung von Covid-19-Impfstoffen.

Und wer weiß, vielleicht wird das Versagen, Impfen als global-gemeinschaftliches Gut nicht etabliert zu haben, wie ein Bumerang bei den Vierfachgeimpften zurückkommen: Die niedrigen Impfquoten in ärmeren Ländern erhöhen eben auch die Wahrscheinlichkeit für neue Virusmutationen hierzulande.

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