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Blick nach Osten im Steirischen HerbstIst Putin zerbrechlich?

Mit „Dem Krieg in der Ferne“ beschäftigt sich der Steirische Herbst in Graz. Dabei werden auch Depots durchforstet aus der Zeit des Austrofaschimus.

Ein weiter Weg in den Kreml: Still aus Ekaterina Muromtseva Video „A Tough Male Portrait“ Foto: Steirischer Herbst '22

Dass ukrainische Künst­le­r:In­nen zusammen mit russischen ausstellen, ist nicht mehr selbstverständlich. Ekaterina Degot ist das zur 55. Ausgabe des Steirischen Herbstes jedoch gelungen. Die Intendantin des traditionell politischen Kunstfestivals in Graz kommt selbst aus Russland, ihr Land verließ sie vor langer Zeit. Schon im Sommer zeigte sie in einem Prolog zum Festival ukrainische und russische Filme.

Seit Eröffnung des Steirischen Herbstes am 22. September sind auch Werke von Künst­le­r:in­nen aus anderen Ländern – größtenteils aus dem postsowjetischen Raum – zu sehen. Sie alle widmen sich in Ausstellungen, Performances und Diskussionen dem „Krieg in der Ferne“, so lautet der Titel in diesem Jahr.

Doch der Krieg ist näher, als wir im restlichen Europa es wahrhaben wollen. Das führt uns die Ukrainerin Zhanna Kadyrova gleich zu Beginn der Hauptausstellung in der Neuen Galerie vor Augen. Im Sommer sammelte sie in der Gegend um Kiew Trümmer von Zäunen und Dächern, die durch russische Luftangriffe herbeigeführt wurden. Nun stehen sie, minimalistisch zu weiß lackierten Quadern und Pyramiden geformt, vor dem Museumseingang. Vom Grauen, das wir nur in Medienbildern erleben, zeugen lediglich die ­Löcher in den Skulpturen ihrer Serie „Harmless War“.

Für ihren Film „Undead“ kehrte die in Moskau lebende Georgierin Keti Chukhrov in ein verlassenes Haus nach Abchasien zurück, von wo aus sie einst floh. Dort, gemeinsam mit mehreren Schau­spie­le­r:In­nen, befasst sie sich in ihrem poetisch-humoristischen Stück mit Einzelschicksalen in Folge des Georgisch-Abchasischen Krieges von 1992/93.

Steirischer Herbst

Steirischer Herbst 2022 Festival bis 16. Oktober, Ausstellung bis 12. Februar 2023

Die Reise der Autorin wurde vom Festival unterstützt.

Der Tschetschene Aslan Goisum lässt in seiner Videoarbeit, deren Bild­ästhetik an Historienmalerei erinnert, 21 Männer, Frauen und Kinder allesamt in einen Kleinwagen steigen. Zunächst steht er in der weiten Landschaft, dann fährt er los. Goisum erinnert an die Massenfluchten während der russisch-tschetschenischen Kriege in den Neunziger- und Nullerjahren.

Ohnmacht und Trauer

Flucht, das Auslöschen von Identitäten, Mobilmachung, Exil, Ohnmacht und Trauer werden auch in einer Reihe historischer Werke aus der Sammlung der Neuen Galerie thematisiert, die Degot und ihr Team in einer klugen Ausstellung mit den zeitgenössischen Arbeiten in einen Dialog bringen. Sie zeigen damit nicht nur auf, wie sich Geschichte wiederholt und dass auch der Krieg in der Ukraine in größeren historischen Zusammenhängen zu verstehen ist. Sie erkunden zudem, wie Ästhetik und politische Realität miteinander verzahnt sind.

Denn so harmlos wie Kadyrovas Quader und Pyramiden, ihr ironisch zu verstehender Griff zu einer Formsprache des Minimalismus, ist die Kunst selten. „Kunst ist nie unschuldig“, wird gar im Wandtext behauptet. Als Beweis dient der Gobelin „Steirischer Herbst“ des Künstlers und NSDAP-Mitglieds Fritz Silberbauer. 1939, ein Jahr nach dem „Anschluss“ Österreichs geschaffen, romantisiert er das bäuerliche Leben in der Steiermark. Gleich daneben steht eine goldfarbene Holzskulptur seines Parteifreunds Hans Mauracher: Zwei Männer tragen einen Stab mit Adler, an dem vorne eine nicht recht passen wollende Leier haftet – mit ihr wurde nach 1945 ein Hakenkreuz ersetzt.

Werke der beiden Nazikünstler Silberbauer und Mauracher tauchen in einer Videoarbeit ­Assaf Grubers wieder auf: In „Never Come Back“ begibt sich ein nackter Mann ins Depot der Neuen Galerie, blickt durch die käfigartigen Aufhängungen der Kunstwerke und spielt auf dem Akkordeon die Melodie des französischen Achtzigerjahre-Hits „Voyage, voyage“, dessen Songtext von einem Kolonialismus durchzogen ist.

Mit Gruber begibt sich die Ausstellung weiter auf die Suche nach Spuren musealer Gewalt in der Sammlung. Aus dem Depot wurden etwa Werke geholt, die einen exotisierenden Blick auf Menschen zeigen, andere als minderwertig konstruieren. Dem Gedanken folgend, dass das feindliche Gegenüber erst entmenschlicht werden muss, um Gräueltaten zu ermöglichen, malte die ­Ukrainerin Kateryna Lysovenko eine Reihe zarter Mensch-Tier-Chimären auf schwarzem, tiefblauem und blutrotem Grund. Gefesselt am Boden liegend erinnern sie an die Kriegsverbrechen, die russische Soldaten unter anderem in Butscha begangen haben.

Die Russin Ekaterina Muromtseva hat für „A Tough Male Portrait“ einen Hobbymaler gefilmt, der leidenschaftlich ein großformatiges Porträt Putins anfertigt. Als Vorlage dient ihm eines jener Fotos, auf denen sich Putin als naturnaher Patriarch inszeniert. Oberkörperfrei kniet er vor einem Bach und lässt das Wasser durch die Finger rinnen. Mit seinem vollendeten Werk macht sich der Protagonist auf den Weg zum Kreml, um es Putin zum Geburtstag zu überreichen. Auf der Transportkiste, die er durch Moskau schiebt, steht groß und in rot „fragile“. Ist Putin angezählt? Bei aller Schwere bleibt die Kunst dieses Steirischen Herbstes humor- und auch hoffnungsvoll.

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