Kulturpolitik in Österreich: Erst heile Welt, dann Avantgarde
Seitdem die rechte FPÖ in Graz mitregiert, gedeihen Blasmusik und Schunkelfeste. Die alternative Kulturszene fürchtet Verdrängung – und wehrt sich.
Graz taz | Es ist im Herbst am schönsten in Graz, mit 286.000 EinwohnerInnen Österreichs zweitgrößte Stadt. Dann strahlt die historische Dächerlandschaft in der tiefstehenden Sonne, verwandeln sich die üppigen, den Schlossberg säumenden Baumwipfel allmählich in ein gelbrotes Blättermeer. Dazwischen thront der Uhrturm, das Grazer Wahrzeichen, und unten schlängelt sich die Mur durch die Altstadt. Und in den Gassen buntes Treiben: Mitte September bei dem größten Volksfest des Landes, dem Aufsteirern, und kurz darauf beim Kunstfestival Steirischer Herbst, das jährlich mit mehr als 150 Ausstellungen, Konzerten, Performances, Filmvorführungen, Konferenzen und anderen Formaten aufwartet. Erst Volkskultur, dann Avantgarde.
Graz ist eine Stadt der Gegensätze. In zahlreichen Cafés genießt eine von Kaufhaustüten dekorierte konservative Klientel Melange und im Herbst dazu gerne Maronitorte. Im quirligen Stadtpark – einst als englischer Garten angelegt – tummeln sich Alternative, slacklinen, spielen Gitarre oder tanzen bis spät im Parkhouse, einem Café und Club in einem der alten Pavillons.
Graz hatte schon früh ein starkes deutschnationales Lager, noch immer zählt die Stadt über 40 Burschenschaften. Und die im Land ansonsten bedeutungslose KPÖ bekommt hier jede fünfte Stimme, mehr als die FPÖ.
Seit Februar 2017 haben die Freiheitlichen in Graz dennoch mehr zu sagen als die Kommunisten. Das bekommt derzeit auch die Kulturszene zu spüren. Unliebsame Institutionen, wie das Forum Stadtpark, greift die an der Stadtregierung beteiligte FPÖ regelmäßig an. Wo sich das Herz der unabhängigen Grazer Kunst- und Kulturproduktion befindet, im Zentrum des Stadtparks, soll eines jener Cafés mit Biergarten einziehen, von denen Graz schon so viele hat. Und bei der Gelegenheit sollen auch gleich die Punks und Obdachlosen vertrieben werden, die ihr mitgebrachtes Bier gerne am Brunnen gegenüber trinken, vor verblassenden Bronzefiguren und opulenten Wasserspielen.
Die Kurz-Strache-Version von Graz
Nach Streitigkeit im Gemeinderat über den Bau eines Kraftwerks an der Mur war es in Graz zu Neuwahlen gekommen. Die Rodung der Ufer begann am Tag danach. Noch bevor in Wien Kanzler Sebastian Kurz und FPÖ-Vize Heinz-Christian Strache Hände schüttelnd in die Kameras lächelten, strahlten in Graz Bürgermeister Siegfried Nagl, ÖVP, und sein neuer Vize Mario Eustacchio, FPÖ. Zwanzig Jahre älter als der Kanzler ist Nagl, doch erinnert auch er mehr an einen Jungunternehmer als an einen Politiker. Sonnengebräunt, stets in adrette Anzüge gehüllt. Strache und Eustacchio legen ebenfalls Wert auf Maßanzüge. Und teilen die völkische Gesinnung, die sie etwa als Mitglieder einschlägiger Burschenschaften ausleben.
Mit dem Regierungspapier „Agenda 2022“ läuteten die beiden Parteien ihre Grazer Koalition feierlich ein. Der Status als Zentrum des kulturellen Geschehens in der Steiermark umfasse „die Pflege unserer Traditionen und Volkskultur“, hieß es schon im zweiten Absatz der Präambel. Man bekenne sich klar zum Aufsteirern, stand im Kapitel zu Kunst und Kultur, kein Wort aber zum Steirischen Herbst.
Die Grazer Szene erschauderte. Beim Aufsteirern spielen die Blaskapellen auf, pflegen Burschenschaftler und Trachtenbegeisterte drei Tage lang schunkelnd die Volkskultur. Der Steirische Herbst steht hingegen für ein anderes Graz. 1968 gegründet, etablierte sich das Avantgardefestival schnell zu einem der wichtigsten Europas, zeigte neue Medienkunst, Performances, politisches Theater und legte immer wieder die nationalsozialistische Vergangenheit frei.
Schaudern wird Schockstarre
Kurz nachdem die neue Stadtregierung ihre Geschäfte aufgenommen hatte, entsandte Eustacchio den stramm-rechten Ernst Brandl, langjähriger Redakteur des Grazer FPÖ-Blatts Der Uhrturm – heute: Wir Steirer – in den Aufsichtsrat des Festivals. Aus dem Schaudern wurde Schockstarre. 68 österreichische SchriftstellerInnen und Kunstschaffende forderten in einem offenen Brief eine Umbesetzung. Brandl blieb.
Aber der von der ÖVP gestellte Kulturstadtrat Günter Riegler erwirkte eine Änderung im Gesellschaftsvertrag, um der Intendanz des Festivals, die gerade die russische Kuratorin Ekaterina Degot übernommen hatte, die volle Freiheit zuzusichern. Zu den zustimmungspflichtigen Geschäften, die dem Aufsichtsrat vorgelegt werden müssen, hatte zuvor auch das künstlerische Programm gehört. Die Gefahr war gebannt, aber die Geste klar: Die FPÖ will mitmischen.
Der provokant „Volksfronten“ betitelte 51. Steirische Herbst machte von der neu gewonnenen Freiheit gleich eifrig Gebrauch. Degot widmete das gesamte Programm dem österreichischen Neofaschismus. Das brachte international Aufmerksamkeit, die dänische Tageszeitung Politiken berichtete, die New York Times, der Sydney Morning Herald.
„Tod dem Faschismus, Freiheit für das Volk!“
Die „Volksfronten“ trug Degot auch in den öffentlichen Raum. Auf dem Dach eines Hauses der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung aus den Zwanzigerjahren installierte die russische Künstlergruppe ZIP Group eine Stahlfigur, die an den jugoslawischen Widerstandskämpfer Stjepan Filipović erinnert. Mit rot leuchtenden Augen und Stern in der ausgestreckten Hand thronte sie auf dem von altdeutschen Gebäuden flankierten Bauhaus-Quader, darunter leuchtete auf Serbokroatisch die Partisanenparole: „Tod dem Faschismus, Freiheit für das Volk!“
Mitten auf den geschäftigen Hauptplatz, von dem aus man einen idyllischen Blick auf den Schlossberg mit Uhrturm genießt, setzte der japanische Künstler Yoshinori Niwa einen schwarzen Container mit der Einladung an alle GrazerInnen, die Uniform ihres Nazionkels oder andere Relikte von NSDAP, SS, SA zu entsorgen. Gleich nach dem „Anschluss“ 1938 wurde der Hauptplatz zum „Adolf-Hitler-Platz“, wurden Hakenkreuzflaggen an der klassizistischen Rathausfassade gehisst.
„Fragwürdige Vergangenheit? Einfach weg damit!“ schrieb Niwa auf seinen Container. Davon machten viele GrazerInnen Gebrauch. So einfach war das in Österreich, wo erst die Waldheim-Affäre in den Achtzigerjahren eine breite Diskussion über das braune Erbe in Gang setzte, noch nie. Und ist es noch nicht: Niwa bekam Drohanrufe, wurde im Netz beschimpft.
Doch schon vor der Regierungsbeteiligung spielte die FPÖ auf der politischen Bühne mit. 2014 ließ Eustacchio, damals Stadtrat mit Ressort Verkehr, eine Arbeit des Künstlers Jochen Gerz im öffentlichen Raum abräumen – Gedenktafeln, die unter dem Titel „63 Jahre danach“ an mehreren Orten in der Stadt an die Zeit des Naziterrors erinnerten. Als Vizebürgermeister weitet er seine Attacken aus, bevorzugt in Kollaboration mit der FPÖ-nahen Kronen Zeitung, Österreichs auflagenstärkster Boulevardzeitung.
In dieser Zeitung propagierte Eustacchio auch öffentlichkeitswirksam seine Café-Idee für das Forum Stadtpark. Das Café soll im Erdgeschoss eingerichtet werden, die KünstlerInnen aber sollen sich in Zukunft mit den kleineren Räumen im oberen Stockwerk begnügen.
Gerade war unten noch jede Menge feuchte Erde aufgeschüttet. Milica Tomić hatte sie für den Steirischen Herbst aus dem vergessenen Zwangs- und Außenlager im südsteirischen Aflenz herbringen lassen. Im Jahr 1944 und 1945 bauten dort Insassen einen unterirdischen Steinbruch als Produktionsstätte für die Steyr-Daimler-Puch AG aus, damals Österreichs wichtigster Waffenhersteller.
Statt Avantgarde bald Maronitorte?
Der modernistische Bau, fast nur aus Glas, ist zum Park hin offenen. Als Kunst- und Kulturschaffende das Forum Stadtpark 1959 gründeten, retteten sie das ehemalige Café vor dem Abriss, erweiterten den Bau und machten ihn zum Zentrum der Avantgardekultur. Die Literaturzeitschrift Manuskripte und Camera Austria International, ein Fotomagazin, wurden hier gegründet, auch der Steirische Herbst nahm hier seinen Anfang.
Dass hier unmöglich ein Café einziehen kann, dafür versucht Leiterin Heidrun Primas derzeit in Gesprächen mit Nagl und Riegler Überzeugungsarbeit zu leisten. Primas hat kurze dunkle Haare, eine ruhige aber resolute Stimme, ist exzentrisch gekleidet, so bunt wie das Programm ihres Hauses. Die Verdrängungspolitik hinter dem Anliegen sei offensichtlich, sagt sie. „Sie betrifft kritische, widerständige KünstlerInnen und andere, die nicht ins Sauberkeits- und Sicherheitsbild der Stadt passen, wie die Leute rund um den Brunnen.“
„Die Verdrängungspolitik betrifft widerständige KünstlerInnen und andere Menschen“
Schon vergangenes Jahr, als der diskursiv ausgerichtete „Disobedience! Kongress für zivilen Ungehorsam“ zu Gast im Forum Stadtpark war, holte Eustacchio zum Schlag aus. Da saß die NoG20-Aktivistin Emily Laquer auf einem Podium. „Da Laquer sich in einem Interview nicht klar von Gewalt distanziert hatte, wurde uns ihre Präsenz beim Kongress von der FPÖ zum Vorwurf gemacht“, erzählt Primas.
Als es am selben Wochenende in Graz zu Vandalismusschäden kam, zitierte die Kronen Zeitung Eustacchio, der diese prompt mit der Veranstaltung in Verbindung brachte: Hinter dem harmlos klingenden Begriff „ziviler Ungehorsam“ verstecke sich in Wahrheit ein Aufruf zur Gewalt. Nach einem FPÖ-Antrag musste das Forum Stadtpark im Gemeinderat Stellung nehmen.
Wo nur möglich angreifen und diffamieren – das ist die Strategie, die Eustacchio verfolgt. Heidrun Primas setzt auf Dialog. Nachdem sie auf Kulturstadtrat Riegler zugegangen war, berief dieser sie zusammen mit anderen Grazer Kulturschaffenden sogar in einen Beirat, der ihn bei der Entwicklung einer kulturpolitischen Strategie unterstützen soll. Dabei gerät er, wie schon bei der Entsendung Brandls in den Aufsichtsrat des Steirischen Herbst, immer wieder zwischen die Fronten. Um „die Verschiedenheit der Standpunkte“ wisse er, beschwichtigt Riegler, freue sich aber, mit der Kulturszene als auch dem Koalitionspartner ein „gutes und sachliches Gesprächsklima“ gefunden zu haben. Die FPÖ wollte dazu keine Fragen beantworten.
Während die Freiheitlichen auf Volkskultur pochen und unliebsame AkteurInnen zu verdrängen suchen, geht es der ÖVP vor allem um Gewinnmaximierung. Dass sie dafür immer weiter nach rechts rückt, hält Simon Hafner für besorgniserregend. Der Grazer produziert Musik, ist DJ und Kulturarbeiter, im Forum Stadtpark hilft er als Tontechniker. Er trägt Skaterschuhe, hat einen Dreitagebart, die Pulliärmel sind hochgeschoben. Es gibt viel zu tun.
Die Sozialdemokraten fehlen schmerzlich
Seit einiger Zeit engagiert er sich als Mitglied im Vorstand der IG Kultur Steiermark und Österreich, die in Publikationen und Radiosendungen auch über die prekäre kulturpolitische Lage informieren. Die bürgerlichen Kräfte innerhalb der ÖVP, die früher extrem stark gewesen seien und Projekte wie den Steirischen Herbst oder das Forum Stadtpark gefördert hätten, seien weggebrochen. Auch das Wegfallen der Sozialdemokratie mache sich bemerkbar, sagt Hafner. Nach den Wahlen 2017 ist die SPÖ erstmals seit 1945 nicht mehr in der Grazer Stadtregierung vertreten.
Der Kunstbegriff der ÖVP ist heute radikal neoliberal: Kulturelle Ressourcen sieht sie als ökonomisches Kapital. Ist Output messbar, zum Beispiel in Form internationalen Renommees, protegiert sie auch mal Projekte mit traditionell linken Inhalten, etwa das Grazer Elevate, ein Festival für Musik, Kunst und politischen Diskurs. Doch auch viele kleine Initiativen hätten das Elevate mit aufgebaut, sagt Hafner. Es brauche einen kleinstrukturierten, vielfältigen kulturellen Boden. Die öffentliche Förderung für diesen aber sei in Gefahr.
In diesem Jahr legte der Kulturstadtrat ein Papier zur Kulturpolitik vor. Von „Messbarkeit künstlerischen Erfolgs“ ist da die Rede, vom „Nutzen“ für die RezipientInnen und BürgerInnen. Ob es noch sinnvoll sei, Vielfalt zu fördern, oder doch nicht eher Schwerpunktbildung, fragt er. Auch der auf Bundesebene für Kultur zuständige Kanzleramtsminister Gernot Blümel von der ÖVP stellt das „Gießkannenprinzip“ infrage. Für kleinere Initiativen ist es aber überlebenswichtig.
„Es geht um nicht weniger als die Zerstörung der liberal-demokratischen Ordnung“
Ganz entlang der neoliberalen Logik sollen Kunst und Kultur in Graz künftig vor allem der Tourismuswirtschaft zuträglich sein. Das Aufsteirern passt da gut ins Bild. Auf vermarktbare Attraktionen zielt auch die neueste Idee von FPÖ und ÖVP: ein vom Grazer Kulturamt kuratiertes „Kulturjahr 2020“ mit einem Budget von fünf Millionen Euro. Institutionen und Festivals sollen von der Regierung vorgegebene Fragen unter dem großen Thema „die Zukunft der städtischen Zivilisation und der städtischen Kultur“ behandeln.
Das „Kulturjahr 2020“ sei Teil eines von Bürgermeister Siegfried Nagl initiierten „Re-Brandings“ der Stadt, sagt Kulturanthropologin Lidija Krienzer-Radojević. Sie promoviert derzeit zum Einfluss des Neoliberalismus auf das Kulturfeld und beobachtet die kulturpolitische Situation in Graz schon länger. Mit der FPÖ könne der Bürgermeister seine Projekte leichter durchsetzen, sagt sie. Eine Gondel soll demnächst durch die Stadt schweben, Schiffe sollen die Mur herunterfahren, die gerodeten Ufer aufwendig gestaltet werden. „Die ganze Kunst- und Kulturproduktion soll am Re-Branding mitwirken.“
Die FPÖ stellt die Förderung infrage
Noch im Oktober, wenige Tage nach Ende des Steirischen Herbstes, meldete sich die FPÖ Steiermark zu Wort und forderte die Landesregierung „angesichts des millionenschweren Fördervertrags“ für das Festival auf, eine Umfrage durchzuführen, um zu klären, „ob das von der Bevölkerung finanzierte Kulturangebot überhaupt bei ebenjener ankommt“. Jetzt werden im Grazer Gemeinderat die mehrjährigen Verträge diskutiert, die Institutionen wie den Steirischen Herbst und auch das Forum Stadtpark sichern. Vom Tisch ist auch das Café noch nicht.
Immer neue Angriffe von rechts, neoliberaler Druck von oben: In Graz wird es eng für die Kunst. Doch auch der Widerstand von unten wächst. Hafner hofft, dass die Kulturschaffenden aufwachen. „Wenn zivilgesellschaftliche AkteurInnen, und dazu rechne ich das Kulturfeld, nicht mehr die ökonomische Kraft haben, dem etwas entgegenzusetzen, ist es zu spät.“ Und Krienzer-Radojević warnt: „Es geht um nicht weniger als die Zerstörung der liberal-demokratischen Ordnung. Die müssen wir jetzt und hier verteidigen.“