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Ukrainische OffensivePotemkinsche Waffen gegen Russland

Die ukrainische Offensive schreitet voran, dabei zeitigen offenbar auch Holzattrappen Erfolge. Kommunalpolitiker warnen vor Eskalation.

Etwas ist noch ganz geblieben: Eine Bewohnerin von Charkiw nach einem russischen Angriff am 30. 8. 2022 Foto: Andrii Marienko/ap/dpa

Berlin taz | Die ostukrainische Millionenstadt Charkiw ist am Dienstag erneut Ziel schwerer russischer Angriffe geworden. Dabei seien nach Angaben des Charkiwer Bürgermeisters, Igor Terechow, und des Leiters der Militär-Gebietsverwaltung, Oleg Sinegugobow, die das ukrainische Webportal Ukrainska Pravda zitiert, mindestens fünf Menschen getötet und sieben verletzt worden.

Bei dem Beschuss mit Artillerie – Ziel sei auch ein Erholungsgebiet gewesen – sei auch ein mehrstöckiges Wohnhaus im Zentrum Charkiws in Brand geraten, sagte Terechow. Bei erneuten Angriffen am Dienstagnachmittag wurde ein weiteres Wohngebäude getroffen.

Unterdessen setzten ukrainische Truppen ihre Offensive, die sie am Montag in der Südukraine gestartet hatten, fort. Laut der ukrainischen Nachrichtenseite focus.ua berichteten Be­woh­ne­r*in­nen der von russischen Truppen besetzten Region Cherson von schwerem Beschuss sowie mehreren Explosionen. Dabei soll auch die Antoniwkabrücke erneut getroffen worden sein, die über den Fluss Dnepr im Gebiet Cherson führt.

Auf mehreren Videos sind Rauchschwaden zu sehen, die über und neben der Brücke aufsteigen. Das könnte darauf hindeuten, dass auch eine Pontonbrücke beschädigt wurde, die russische Truppen erst vor wenigen Tagen gebaut hatten, um ihre Nachschubwege sicherzustellen.

Angst vor Putins Atomwaffen

Der Lokaljournalist Konstantin Ryschenko, der aus dem nicht-besetzten Gebiet berichtet, postete ein Video von einem zerstörten Gebäude, in dem sich seiner Meinung nach ein Stützpunkt der russischen Armee befunden haben könnte.

Auch aus der südukrainischen Stadt Mykolajiw wurde erneuter Beschuss gemeldet. Dabei soll es einen Toten sowie einen Verletzten gegeben haben, wie die Ukrainska Pravda berichtete. Im Gebiet Odessa schoss die ukrainische Luftabwehr eine Aufklärungsdrohne ab, wie der Pressesprecher des Chefs der militärischen Gebietsverwaltung, Serhij Bratschuk, auf seinem Telegram-Kanal mitteilte.

Der Bürgermeister von Odessa, Gennadi Truchanow, rief dazu auf, mit dem Kreml einen Kompromiss zu suchen, um eine Eskalation des Krieges zu vermeiden. Derzeit denke Russlands Präsident Wladimir Putin nicht wie ein pragmatischer Politiker, sondern wie ein Monster, ein Produkt des Sowjetregimes und des KGB, das entschlossen sei, das russische Imperium wiederherzustellen.

Es sei militärisch gefährlich, Putin in die Enge zu treiben, da er den Befehl zum Einsatz von Atomwaffen geben könnte, sagte Truchanow der italienischen Zeitung Corriere della Sera.

Kuriose Ablenkungsmanöver

Laut einem Bericht der Washington Post setzt das ukrainische Militär bei seinem Kampf gegen die russischen Truppen zu Täuschungszwecken Waffenattrappen aus Holz ein. Diese sähen modernen US-Waffensystemen zum Verwechseln ähnlich.

Russische Drohnen, die den Standort der vermeintlichen Raketensysteme vom Typ HIMARS an die Flotte im Schwarzen Meer übermittelten, könnten die Attrappen nicht von echten Artilleriebatterien unterscheiden.

Das Manöver der besonderen Art zeitigt offensichtlich erste Erfolge. Demnach hätten innerhalb mehrerer Wochen mindestens zehn Kalibr-Marschflugkörper der russischen Armee fehlgeleitet werden können, heißt es unter Berufung auf hochrangige Beamte aus den USA und der Ukraine, die anonym bleiben wollen. Angesichts dieser positiven Bilanz sei die Produktion der Attrappen ausgeweitet worden.

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8 Kommentare

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  • 6G
    659975 (Profil gelöscht)

    Können wir nur hoffen, das Putin kein Jack D. Ripper oder Dr. Seltsam ist.

    Ansonsten wäre es ein Freifahrtschein für alle Nuklearmächte kleine Nachbarn zu überfallen und sich militärischen Widerstand zu verbieten, da sonst die A- Waffen zum Einsatz kommen.

    China könnte Taiwan ähnlich drohen.



    "Entweder ihr kommt Heim ins Reich oder wir schicken ein paar A- Raketen"



    Ein nuklear verseuchtes Taiwan wäre wahrscheinlich ein überschaubares Risiko....aus Sicht der Kommunisten in China.

  • Die Position des Bürgermeisters von Odessa, Truchanow, finde ich realistisch und vernünftig ... ob er damit in Kiew Gehör findet?



    Gerade weil sich Russland militärisch in die Enge gedrängt sieht - ein Umstand, den wir eigentlich begrüßen - ist das Szenario mit den taktischen Atomwaffen auf der Krim leider nicht auszuschließen. Wie Truchanow sagt, muss also hinsichtlich der Krim ein (vorläufiger) Kompromiss gefunden werden, der jedoch mit dem "Monster" Putin nur schwer zu verhandeln sein wird.



    Bei aller Freude über das Fortschreiten der ukrainischen Offensive in Cherson ist wegen der russischen tactical nukes den ukrainischen Ambitionen bezüglich der Krim ein deutlicher Riegel vorgeschoben.

  • "Potomkinsche Waffen gegen Russland"



    Brrr, könnte jemand bitte den Namen in der Überschrift korrigieren? Der Mann hieß Potemkin... wie der Panzerkreuzer, der nach ihm benannt wurde...

    • @Encantado:

      Er hieß Потёмкин, das wird üblicherweise mit Potjomkin transkribiert. Auch der Panzerkreuzer hieß Потёмкин.

      • @Francesco:

        "Er hieß Потёмкин, das wird üblicherweise mit Potjomkin transkribiert."



        Mag sein. Als eingedeutschter Name gilt meine Aussage dennoch.

        Ich danke den Verantwortlichen für die prompte Reaktion.

  • "Laut einem Bericht der Washington Post setzt das ukrainische Militär bei seinem Kampf gegen die russischen Truppen zu Täuschungszwecken Waffenattrappen aus Holz ein. Diese sähen modernen US-Waffensystemen zum Verwechseln ähnlich."

    Ist jetzt aber keine neue Idee, basiert auf der sowjetischen Maskirovka/маскировка, die wurde sogar in Grundzügen bei der BW gelehrt.

    "Die Doktrin umfasst ein breites Spektrum an Maßnahmen zur militärischen Täuschung, von der Tarnung bis zur Verleugnung und Täuschung.

    Zu den Maßnahmen der Täuschung gehören Verschleierung, Nachahmung mit Ködern und Attrappen, Manöver zur Täuschung, Verleugnung und Desinformation."

    en.m.wikipedia.org...military_deception

    • @Sven Günther:

      Die Geschichte mit den Holzattrappen in militärischen Auseinandersetzungen reicht sogar noch weiter zurück ... schon die Sezessionisten setzen im US-Bürgerkrieg 1861 riesige Geschützattrappen am Suedufer des Potomac ein, um die Unionstruppen am Vordringen auf ihr eigenes Territorium zu hindern. Weil McClellan als Oberbefehlshaber der Potomac-Armee darauf hereinfiel - oder das zumindest gegenüber dem zum Angriff drängenden Präsidenten Lincoln vorgab, um seine eigenen Soldaten zu schonen - zog sich der Krieg noch vier Jahre in die Länge ... neben anderen Faktoren natürlich.

  • Mit Truchanow übernimmt dann der Nächste den russischen Spin, und dem wird wohl keiner unterstellen, dass er was dafür kriegt. Natürlich ist er näher dran als die meisten anderen, aber umso erstaunlicher find ich das ausgerechnet nukleare Schreckgespenst. Weder Russland noch die UdSSR haben jemals Atomwaffen - die praktisch ohne mil. Nutzen sind - eingesetzt. Dafür gibt es mannigfache Beispiele für die Verwendung chemischer Waffen, sowohl für Attentate als auch im großflächigen (Massenvernichtungs)einsatz. Das wäre nicht nur eine dicke Eskalationsstufe vorher sondern Fallout und Spill lassen sich auch noch etwas besser kontrollieren. In der Ukraine gibt es bisher zum Glück aber auch keinen belegbaren Einsatz dieser, noch Anzeichen dafür und das hat sehr gute Gründe, die weitergehende Schauergeschichten nicht überzeugender machen. Ich halte das auch nicht für konstruktiv sowas zu streuen. Jeder unbestreitbare Einsatz von MVW durch Russland würde auf ukr. Seite moralisch nur die letzten Raketen zünden und nebenbei die USA auf den Tisch rufen bzw. in die Luft, denn das würde eine sofortige (konventionelle) Reaktion zur Folge haben. So sind die Spielregeln und das weiß man in Washington wie in Moskau. Ganz offensichtlich ist das aber genau der Schritt, den sie lieber auslassen. Die Vorstellung hingegen ein erst fallender Putin würde sich mit einem Feuerwerk verabschieden find ich erst recht sowas von abwegig, historisch beispiellos und wird dem psychologischen Makeup wie auch der Verfassung dieses Mannes nicht gerecht. Moskau hat gar nicht mehr soviele Optionen (noch) weiter zu eskalieren, auch mangels Reserven, aber wenn dann würde man mutmaßlich wieder die zweite, bzw. dritte Front eröffnen im Norden, d.h. über Belarus, wofür man aber wahrsch. schon die Verstärkung durch belaruss. Truppen bräuchte und die wären noch deutlich schlechter zu motivieren als selbst die russischen. Putins beste Karte ist was Truchanow hier fordert und so wird's wohl auch kommen.