Vor der Preisverleihung auf dem Lido: Iranische Löwen in Venedig
Lidokino 10: Preisverdächtige iranische Werke auf dem Filmfest in Venedig. Und die Verfilmung des tragischen Lebens von Marilyn Monroe.
Die 79. Ausgabe der Internationalen Filmfestspiele von Venedig, zugleich das 90. Jubiläum des ältesten Filmfestivals der Welt, neigt sich dem Ende zu. Am Sonnabend werden die Preise vergeben, ohne dass sich abzeichnet, an welchen Film der Goldene Löwe gehen wird. Starke Kandidaten sind weiterhin „Tár“ von Todd Field und „Love Life“ von Kōji Fukada, daneben kommen im Wettbewerb einige gute und eine Reihe eher mittelmäßiger Mitstreiter.
Einer der bezwingendsten, allerdings auch am schwersten zu ertragenden Filme im Wettbewerb ist Vahid Jalilvands „Shab, Dakheli, Divar“ (Beyond the Wall), einer der zwei iranischen Beiträge neben Jafar Panahis „Khers nist“ (No Bears).
In „Beyond the Wall“ kann man das eingeschlossene Leben des fast blinden Ali (Navid Mohammadzadeh) beobachten, der seine karge Wohnung nie zu verlassen und mit seinem Leben alles andere als zufrieden zu sein scheint. Zu Beginn ist er im Bad zu sehen, wie er sich mit einer Plastiktüte zu ersticken versucht.
Heiseres Flüstern
Langsam tastend sind seine Bewegungen, seine Stimme ein heiseres Flüstern. Im Bad sieht man kurz Wunden und Prellungen an seinem Körper, die nicht erklärt werden. Jalilvand wirft das Publikum in Alis Alltag, ohne viel zu erklären. Etwa die geflüchtete Leila (Diana Habibi), die sich plötzlich in seiner Wohnung versteckt und fast permanent weint, sodass sie sich den Mund zuhält, um nicht aufzufliegen.
Kurz bevor Leila auftaucht, hatte Ali Besuch vom Hausmeister bekommen, der an seine Tür klopfte, um ihm mitzuteilen, dass sich eine gefährliche Frau im Haus aufhalte, die der Polizei zu übergeben sei.
Was Leila in die Wohnung gebracht hat, wird in zwischengeschnittenen Szenen erzählt: Sie wartet mit Kollegen vor einer Fabrik, es gibt Proteste, weil die Arbeiter vier Monate keinen Lohn erhalten haben. Leila ist mit ihrem Sohn da, auf den sie aufpassen muss; im plötzlich ausbrechenden Chaos der aufgebrachten Arbeiter, das zu einem Handgemenge mit der Polizei führt, verliert sie ihn, wird von der Polizei aufgegriffen und in einen Transporter gesteckt.
Sie schreit unaufhörlich nach dem Kind, fordert den Fahrer auf, anzuhalten und sie aussteigen zu lassen. Schließlich bekommt sie einen epileptischen Anfall, im Transporter bricht Unruhe aus, bis das Fahrzeug mit einem Lkw zusammenprallt. Leila, leicht verletzt, kann entkommen.
Starke Kontraste
Die Rückblende ist so überwältigend tumultartig gedreht, dass es einem beim Zuschauen die Kehle zuschnürt. In starkem Kontrast dazu sind die kammerspielartigen Szenen in Alis Wohnung, selbst wenn es lauter wird, von reduzierter Fokussiertheit. Nicht alle Aktionen und Bilder scheinen Sinn zu ergeben, wie die Bilder einer Überwachungskamera, die Ali aus der Vogelperspektive zeigen; auch Alis Verhalten, der zunächst vorsichtig agiert, gerät irgendwann irrational.
Gegen Ende gibt es eine Wendung, die sich durch verschiedene Details angekündigt hat, aber trotzdem überrascht und das vorangegangene Geschehen in neuem Licht erscheinen lässt. Ein Film, dessen Bilder einen verfolgen, wie Ali von seiner Vergangenheit heimgesucht zu werden scheint.
Eine seltsame Mischung aus Leichtigkeit und Schwere bietet dagegen „Blonde“ von Andrew Dominik. Ana de Armas spielt in diesem Wettbewerbsbeitrag Marilyn Monroe. Das tut sie oft weniger im Sinne einer Verkörperung als durch Imitation, wobei sie zugleich Verfremdungen hinzufügt, da ihre Norma Jean Baker, so Monroes bürgerlicher Name, mit leicht kubanischem Akzent spricht.
Die Verfilmung der tragischen Geschichte der Hollywoodikone hinterlässt einige Fragen: Möchte man die Nachbildung des Lebens der Monroe überhaupt so gern sehen wie ihre Filme? Was gibt Dominik ihrer weitgehend bekannten Vita hinzu, von den hervorgehobenen #MeToo-Aspekten abgesehen? Und bekommt Ana de Armas womöglich einen Preis?
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