Synodale über Reform katholischer Kirche: „Ich war fassungslos“
Junge Teilnehmer*innen der Synodalversammlung wie Viola Kohlberger hatten Hoffnung – und wurden bitter enttäuscht. Geschlagen geben sie sich nicht.
taz: Frau Kohlberger, am Wochenende waren Sie in Frankfurt bei der vierten Synodalversammlung der katholischen Kirche. Dort kam es zum Eklat: Die Reform der kirchlichen Sexuallehre erhielt nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit der Bischöfe. Was ist da passiert?
Viola Kohlberger: Der wichtige Text zur Sexualmoral hat in der Tat nicht die nötige Mehrheit der Bischöfe bekommen. Jede Reform, die beim Synodalen Weg beschlossen wird, steht und fällt aber mit dieser Mehrheit. Auch wenn, wie in diesem Fall, die große Mehrheit der Teilnehmer*innen zu einem anderen Ergebnis kommt.
Wie haben Sie diese Entscheidung vor Ort erlebt?
Ich war wirklich fassungslos, dass der Text abgelehnt wurde. Denn er ist nicht etwa visionär, sondern nur eine Annäherung an die Realität. Das zu verweigern zeugt von einer Ignoranz, die ich so nicht für möglich gehalten hätte. Ich war enttäuscht, voller Wut und fassungslos.
Sie haben also nicht mit so einem Gegenwind gerechnet?
ist 30 Jahre alt und Doktorandin der Katholischen Theologie an der LMU München. Sie ist Synodale und Diözesankuratin (geistliche Betreuerin) der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) in Augsburg.
Ich weiß, dass wir in der katholischen Kirche sind und dass diese Ignoranz durchaus vorhanden ist. Ich habe es aber trotzdem nicht erwartet. Vorab haben wir jungen Synodalen darüber geredet, was wir machen, wenn ein Text abgelehnt wird. Wir hatten daher ein Banner dabei, mit dem wir schon öfter protestiert hatten. „Kein Raum für Menschenfeindlichkeit“ stand darauf. Damit haben wir uns in die Mitte des Raumes gestellt. Sehr schnell haben sich viele Menschen dazugestellt, das war echt krass. Das waren dann nicht nur wir Jungen, sondern auch Gemeinde- und Pastoralreferenten, Menschen aus dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken und Ordensleute.
Was hätte sich durch den Text verändert?
Bei der erneuerten Sexualmoral geht es um mehr Selbstverantwortung der einzelnen Menschen. Darum, dass die Selbstbestimmtheit größer wird und eben nicht mehr von der Kirche in das Leben der Menschen eingegriffen wird. Also die Annahme von Menschen mit ihrer geschlechtlichen Identität und sexuellen Orientierungen. Und die Veränderung betrifft nicht nur queere Menschen, es geht zum Beispiel auch um geschiedene, wiederverheiratete Menschen. Insgesamt geht es also um die Frage: Selbstbestimmung oder nicht.
Welche Konsequenzen hat diese Ablehnung?
Der Synodale Weg wurde im März 2019 von den deutschen Bischöfen beschlossen. Es ist der Versuch zur Aufarbeitung und Erneuerung der katholischen Kirche, nachdem die MHG-Studie (steht für „Mannheim, Heidelberg, Gießen“) 2018 das Ausmaß der sexualisierten Gewalt innerhalb der Kirche offenlegte. Die angesetzten vier Synodalversammlungen wurden um eine weitere im kommenden März erweitert. Die 230 Synodalen arbeiten in vier AGs zu „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“, „Priesterliche Existenz heute“, „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ und „Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“. Bei der vierten Versammlung standen zwei Grundlagentexte der AGs im Fokus. Der erste Text plädierte für eine Neuakzentuierung der katholischen Sexuallehre. Er wurde von der Versammlung angenommen, erreichte aber nicht die nötige Zweidrittelmehrheit der Bischöfe. Von allen angenommen wurde der zweite Grundlagentext, der die Stellung der Frauen thematisierte. Zudem forderten Versammlung und Bischöfe eine lehramtliche Neubewertung von Homosexualität sowie eine Reform des Kirchenarbeitsrechts in Bezug auf homosexuelle Mitarbeiter*innen. (lkl)
Die Ablehnung des Textes hat, glaube ich, große Auswirkungen auf viele Menschen und hat viele Menschen sehr verletzt. Sie schreibt auch die strukturelle Diskriminierung in einigen Bistümern fort und unterstützt Menschen mit menschenfeindlicher Haltung. Nicht überall, aber an einigen Stellen. Ich glaube, das ist vielen nicht klar.
Wem?
Ich habe nach dem Scheitern mit Menschen geredet, die gesagt haben: Ja, aber es gibt einfach viel mehr Frauen. Und deshalb ist es ja wichtig, dass wir uns jetzt erst mal um die Gleichberechtigung der Frauen kümmern. Sie haben gesagt, es sei nicht so schlimm, dass wir den Text abgelehnt haben, weil es da um viel weniger Menschen geht. Das ist eine absolut queerfeindliche Einstellung und menschenfeindliche Haltung und ich glaube, dass die einige Menschen vertreten.
Der Grundtext zu „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ wurde ja angenommen. Ist das ein erster Schritt?
Klar ist es gut, dass der Antrag zu den Frauen angenommen wurde, aber es fühlt sich nicht wie ein Erfolg an. Das fühlte sich an wie eine milde Gnadengabe der Bischöfe. So ein: Na gut, dann schicken wir es noch mal nach Rom. Und dann fragen wir den heiligsten Vater noch mal, ob er nicht doch noch eventuell eine Überlegung starten könnte.
Bei der Sexuallehre zeigten sich die Bischöfe weniger gnädig. Und das, obwohl der Großteil der Synodalversammlung der Reform zustimmte. Wieso gibt es das Vetorecht der Bischöfe?
Im Synodalen Weg gibt es das Vetorecht, weil es in der Satzung verankert ist und die Satzung im Vorfeld von der Deutschen Bischofskonferenz verabschiedet wurde. Die Vereinbarung wurde auch von dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken akzeptiert. Ich als Synodale habe an der Satzung nicht mitgearbeitet oder ihr aktiv zugestimmt.
Kann eine Erneuerung der Kirche überhaupt entstehen, wenn es das Vetorecht der Bischöfe gibt?
Ich denke, die Erneuerung der Kirche passiert nicht durch den Beschluss von Texten. Der Wunsch und das Hinwirken der Erneuerung müssen von ganz vielen unterschiedlichen Stellen ausgehen. Und ein Weg ist natürlich, dass Texte rezipiert werden. Das geht auch, wenn sie nicht offiziell beschlossen werden. Und das ist gut so. Es gibt einige Bischöfe, die sagen, sie wollen den Text zur Sexualmoral trotzdem umsetzen.
Das heißt auch, dass alle beschlossenen Texte nur freiwillig umgesetzt werden müssen?
Genau. Ich komme aus dem Bistum Augsburg. Und sagen wir mal so, da sind viele sehr konservativ. Mich hat das ganze Wochenende über beschäftigt, was nach der Synodalversammlung passiert. Denn ich sehe wenig bis keinen Veränderungswillen in Augsburg. Das habe ich auch in einem Gespräch mit dem bayrischen Jugendbischof gemerkt. Zu ihm habe ich gesagt, dass ich hoffe, dass die Beschlüsse der Versammlung in Augsburg umgesetzt werden. Und er schaut mich an und sagt: Das hoffe ich nicht.
Was hat das mit Ihnen gemacht?
Ich habe mich leer gefühlt. Ich war so verzweifelt. Ich kann diese Haltung nicht verstehen.
Und trotzdem haben Sie danach noch einen Redebeitrag gehalten. Woher kam die Kraft, weiterzumachen?
Ich glaube, es war vor allem die Wut. Um allen Menschen, die sich nicht von der Kirche gesehen fühlen, zu sagen: Ich weiß, dass ihr da seid, und ich sehe euch und ich kämpfe für euch.
Gerade junge Katholik*innen erleben die Grenzen der katholischen Kirche. Wie schwer ist das?
Wir alle kommen aktuell an unsere Grenzen. Zwei junge Synodale sind vorzeitig abgereist. Viele junge Erwachsene, die die Sitzung im Livestream verfolgten, haben mir geschrieben, dass sie fertig sind und die Sitzungen nicht weiterverfolgen können. Doch wir reden viel miteinander und stützen uns gegenseitig. Insgesamt erlebe ich eine riesige Solidarität.
Hauptsächlich ging es in Frankfurt um Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche. Dennoch haben wieder Männer entschieden. Welche Rolle spielt Männlichkeit in der Kirche?
Eine sehr große. An den Schaltstellen sitzen Männer. Und die können dann überlegen, ob sie Frauen – wenn wir im binären System bleiben – Macht abgeben wollen. Das sieht man auch bei der Diakoninnen- und Priesterinnenweihe. Wir wünschen uns, dass Rom noch mal darüber nachdenkt. Aber auch da sitzen wieder nur Männer. Ich habe mich auf der Versammlung mit einem Weihbischof darüber unterhalten. Er konnte es nicht verstehen, warum eine Priesterinnenweihe gut wäre und ich die Entscheidungsprozesse unfair finde. Ich glaube, die Kirche ist zu sehr in den absolutistischen Strukturen verwickelt.
Aber die lassen sich aufbrechen?
Ich glaube daran, dass wir diese Strukturen reformieren können. Sonst würde ich mich nicht so einsetzen. Aber ich weiß, dass das sehr schwierig ist und dauern wird. Wie mit allen Machtstrukturen. Denn die erhalten sich selbst.
Wie kann es weitergehen?
Es muss sich beweisen, dass wir eine Kirche im Aufbruch sind. Das waren erste Minitrippelschritte. Jetzt muss sich zeigen, wie wir mit Beschlüssen und auch mit Nichtbeschlüssen umgehen. Was sich bereits verändert hat, ist die Dialogkultur. Die Art und Weise, in der miteinander ins Gespräch gekommen wird. Der synodale Weg kann zeigen, dass es Kirche wirklich ernst meint. Ich sehe gerade noch nicht, dass das passiert. Aber es wäre möglich.
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