Protest und die Linke: Kritik in der Krise
Werden die Rechten radikal, werden die Linken automatisch gemäßigt. Das ist ein Problem für Demokratien, die nur noch von Rechts getrieben werden.
D er Systemkritiker hat die Eliten und ihre Herrscher-Netzwerke unter Generalverdacht, und er macht sich, von diesem Verdacht ausgehend, auf Entdeckungstour. Er recherchiert, stöbert in den unterdrückten Nachrichten, kommt unbekannten Verbindungen auf die Spur, verdeckten Geheimnissen, über die man in den Konzernmedien der herrschenden Mächte niemals lesen würde. Er sieht, wie das alles zusammenhängt, wie die Etablierten ihre Macht absichern, die normalen Menschen ausbeuten, er entschließt sich, ihre Machenschaften aufzudecken.
Der Systemkritiker ist erregt ob seiner Entdeckungen, fühlt sich aber auch erhaben, weil er ein Wissen hat, das die anderen nicht haben. Die Angepassten, die von der Macht gegängelt sind, die in einem raffinierten Kokon von Komplizenschaft gefangen sind, der die Unterdrückten noch zu Kumpanen ihrer eigenen Unterdrückung macht. Ein bisschen ist der Systemkritiker wie ein Detektiv, der Puzzlesteine zusammenfügt, eine Art Hercule Poirot, insofern ist das Systemkritisieren auch eine äußerst lustvolle Tätigkeit.
Dass die Täter unentdeckt bleiben, ist übrigens gänzlich ausgeschlossen, was ein glückliches Ende der Unternehmung von vorneherein garantiert. Die Täter werden immer entlarvt, und es sind nicht zu wenige, mal heißen sie Merkel, mal Scholz, mal Gates und immer Soros. Die aktiveren Gesellen unter den Systemkritikern gründen Anti-Mainstream-Medien, in denen all die Stimmen und Fakten ausgebreitet werden.
Krise und Kritik sind eng miteinander verbunden, das wissen schon die Etymologen, die gerne auf den gemeinsamen Wortstamm der beiden Begriffe hinweisen, auf das griechische Krisis, was so viel wie „unterscheiden“, „trennen“ aber auch „zuspitzen“ heißen kann. Erstens, Kritik ist sowieso immer gut und wichtig. Zweitens: In der Krise ist die Kritik besonders notwendig. Denn drittens: Eine Krise wird nur überwunden werden, wenn kritikwürdige Umstände dem Säurebad der Subversion ausgesetzt werden. Kritik ist aber nicht nur die Antwort auf die Krise, sondern kann selbst in die Krise geraten: Die Krise der Kritik.
Kritik der Vernunft und fanatische Verbohrtheit
Die oben hingepinselten Strukturen der Verschwörungserzählung haben einige Elemente des kritischen Denkens gekapert: das Hinterfragen des Hergebrachten, des scheinbar Evidenten. Den aufklärerischen Gestus des detektivischen Enthüllens. Den gesunden Verdacht gegenüber der Macht. Distanziert betrachtet ist es erstaunlich, wie gut es gelingt, Motive des Aufklärerischen, des Emanzipatorischen in den Dienst der Verblendung, der Erzählung von Lügengeschichten und Propagandamärchen, ja, einfach in den Dienst des Fanatismus zu stellen.
Die nagende Kritik der Vernunft und fanatische Verbohrtheit und Glaubenseifer sind gar nicht immer leicht zu unterscheiden. Nun kann man es wie jener frühere US-Höchstrichter halten, der über Pornos den legendären Satz sagte, was ein Porno sei, sei schwer zu definieren, aber wenn er einen sehe, dann erkenne er ihn. Was den Unterschied zwischen aufklärerischer Kritik und verschwörungstheoretischem Dauerressentiment anlangt, wird der Unterschied ähnlich leicht erkennbar sein wie der zwischen einem Arthouse-Film mit Sexeinsprengsel und Hardcore-Pornografie.
Systemkritik ist nach Rechtsaußen gewandert
Aber: Radikale Systemkritik ist nach Rechtsaußen gewandert, sie bedient sich dabei auch Rhetoriken, die früher ausschließlich von der radikalen Linken benützt wurden (wenngleich auch meist der blödesten Rhetoriken der radikalen Linken). Zugleich ist nicht ganz klar, wo berechtigte, aber schwerst versimpelte Kritik aufhört und die Verschwörungstheorie und das Lügenmärchen schon anfängt. Ist die linke Kritik am „Neoliberalismus“ und den „Masters of the Universe“, die sich allen Reichtum krallen und bei Treffen sinistrer Figuren in Mont Pèlerin verschworen haben, eine etwas unterschlaue Kritik realer Vorgänge – oder schon eher eine Conspiracy Theory?
Nun würde dumme rechtsradikale Anti-System-Kritik nicht notwendigerweise ein Problem darstellen, wenn die Linke einfach die schlauere Kritik hätte, die die herrschenden Verhältnisse unterminiert oder sukzessive zum Besseren verändert, oder einfach eine breite, intelligente Protestbewegung triggert. Irgend so etwas halt. Das Problem ist die Neigung zur relationalen Ordnung im politischen Diskursfeld. Klingt jetzt etwas deppert akademisch. Wie könnte man das einfacher beschreiben? Dass man die eigenen Positionen nicht immer nur quasi aus sich heraus entwickelt, sondern in Abgrenzung und im Konflikt zu Positionen, die andere haben. Was dann auch heißt: Wird der breite Strom der Rechten blöde und radikal, dann werden die Linken automatisch gemäßigt, halten die Vernünftigkeit hoch, bestehen darauf, dass einfache Wahrheiten meist einfache Dummheiten sind, dass man jedes Argument zehnmal durchdenken und alle Ambiguitäten beachten solle.
Rechte haben schon „Wutherbst“ organisiert
Dass die Welt komplex sei, man nicht einfach gegen „die Teuerung“ demonstrieren könne, denn wer wäre denn der Adressat des Protestes? Putin, den das nicht scheren würde, die Bundesregierung, die dies und jenes tut, von dem manches klüger, manches schlechter sei …? Während man also über alle Kompliziertheiten von Krise, Kritik, von Systemveränderung, Transformation, Revolution und Reform räsoniert, haben die Rechtsradikalen dann schon einen „Wutherbst“ organisiert.
Ich hab da jetzt auch nicht sofort die super Lösung für dieses Problem, aber man soll auch nicht so tun, als wäre es nicht vorhanden. Im Gegenteil: Das ist ein ziemlich großes Problem, nicht nur für die Linke, sondern für die pluralistischen Demokratien als solche. Die nurmehr von Rechts vor sich her getrieben werden, während Linke daran scheitern, eine akzentuierte Alternative zu präsentieren, oder, wenn sie radikal sind, sich untereinander in die Haare kriegen, welche Frisuren man tragen darf oder ähnlichen Unsinn.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen